ANZ, die Bank, die sich selbst rettete

Ist es möglich, dass eine Bank sagt: „Wir wollen ein Unternehmen sein, das mit Liebe geführt wird, nicht mit Angst.“? Kann eine internationale Bank Meditations-Räume in allen Niederlassungen einrichten, die ihre Mitarbeiter sogar zum Schlafen nutzen dürfen? Kann diese Bank innerhalb von 15 Monaten vom dem am wenigsten gefragten zum beliebtesten Arbeitgeber in der Finanzbranche werden? Kann eine solche Bank gleichzeitig ihren Aktienkurs von 9 auf 31 Dollar steigern, in vier Jahren? Die Antwort auf all diese Fragen war für die ANZ Bank ein deutliches „Ja“. Sonia Stojanovic war in den Jahren 2000 bis 2004 Head of Breakout and Transformation Group bei Bank. Sie teilte in einem Interview ihre Erfahrungen mit Adriana Casas und Ulrike Syamken, den Organisatorinnen des Kongresses „Visionäres Wirtschaften“, der im Oktober erstmalig in München stattfindet.

Damals wie heute: Die Finanzkrise und ihre Auswirkungen

Die Bilder gleichen sich: Wenn die Börsen dramatisch nachgeben, sind Fakten meist nicht mehr relevant. Gefühle steuern die Märkte. Angst, Panik, Nervosität gepaart mit der Gier derjenigen, die auch mit fallenden Kursen Geld verdienen wollen. Genauso waren die Reaktionen auch bei der Asienkrise 1999 und trafen auch die australische ANZ-Bank, die aufgrund dieser Krise kurz vor dem Bankrott stand. Tiefgreifende Entscheidungen mussten getroffen werden, um die Bank zu retten. Der neue CEO, John McFarlane wurde als Turnaround-Experte an Bord geholt. Innerhalb von 3 Jahren reduzierte er die Mitarbeiterzahl dramatisch von 45.000 auf 31.000. Die Bank schrieb folglich ihr bestes Ergebnis im Jahr 2000. Doch der Erfolg kam nicht von Umsatzsteigerungen, sondern einzig von Kostensenkungen in Höhe von 20 Prozentpunkten. Es gab kein faktisches Wachstum, und so konnte es nicht weitergehen.

Auch die konsultierten Berater von McKinsey sahen das so. Sie überzeugten den Vorstand davon, dass die Bank nur dann mit den Top-5 Banken in Australien konkurrieren könnte, wenn sie vom Generalisten zum Spezialisten wurde. Der CEO wollte die Bank zu einer Reihe von Nischenanbietern umbauen. Das hieß, die einzelnen Geschäftsbereiche konkurrierten intern miteinander. Nach den anstrengenden Jahren der Kosteneinsparungen war dies mit dem bestehenden Team kaum zu schaffen. Zu schlecht war die Stimmung und zu niedrig die Motivation. Und neue gute Mitarbeiter zu finden, war sehr schwierig, denn von allen Mitbewerbern war die ANZ-Bank bei den Bankern am unbeliebtesten. Der Vorsitzende der ANZ Bank, McFarlane wurde intuitiv klar, dass der einzige Ausweg war, die Kultur innerhalb der Bank zu verändern und so das Vertrauen der Menschen wieder zu gewinnen.

In drei Phasen zu neuen Ufern

Im Oktober 2000 wurde bei der ANT-Bank das Programm „Breakout“ ins Leben gerufen, für das Sonia Stojanovic von Beginn an verantwortlich war. Sie berichtete direkt an den CEO und hatte, im Gegensatz zur Personalabteilung, eine strikt strategische Position. „Wir wollten die menschliche Bank sein, die mit dem Herzen Geschäfte macht und deren Mitarbeiter stolz sind, ein Teil von ihr zu sein“, so Stojanovic. „Also nutzten wir die erste Phase, um die Mitarbeiter als Menschen zu stärken und individuell zu entwickeln. Sie sollten ihre Talente entdecken und Selbstvertrauen gewinnen. Gleichzeitig passten wir die sehr komplexe Administration an und verbesserten Richtlinien, Systeme und Prozesse inklusive des Beurteilungssystems und der Gehaltsstruktur.“

„Nach sechs Monaten konnten wir endlich mit dem ersten „Personal Mastery Workshop“ beginnen. An diesem nahmen die obersten 35 Führungskräfte teil. Im nächsten Schritt folgten die Top 300 Manager, und der Workshop wurde ab sofort „Breakout“ genannt. Es ging darum, einen größeren Sinn in unserem Leben und unserer Arbeit zu finden. Wir vereinten spirituelle, emotionale und intellektuelle Aspekte. Mit Themen wie Persönliche Transformation, Selbstverwirklichung, Stärkenfindung und bessere menschliche Beziehungen ist uns das gelungen. Die Teilnehmer wollten unbedingt, dass alle 5.000 Manager diesen Workshop besuchten. Um das zu schaffen, trainierten wir unsere eigenen Workshop-Leiter. Vorher hatten Berater von McKinsey die Workshops durchgeführt. Und als schließlich alle Manager teilgenommen hatten, fühlten sie sich so inspiriert, dass sie alle ihre Mitarbeiter, das waren 31.000 in 30 Ländern, an diesem Workshop teilhaben lassen wollten.“

Die zweite Phase, „Accelerating Breakout“ genannt, brachte ein neues Entwicklungsprogramm hervor mit dem Namen „Inspired Leaders“. Das Erzählen von Geschichten (Story Telling) und wie man mit seinen schwachen Seiten umgeht waren die Schwerpunkte des Programms.

Im dritten Schritt („Delivering the Agenda“) wurde eine interne Coaching Akademie gegründet, in der eigene Coaches ausgebildet wurden. Es gab drei verschiedene Coaching-Ebenen: Leaders Coach, Coaches Coach und Master Coach, und das gesamte Programm war an die fünf Werte der Bank geknüpft. Das Ziel war eine werteorientiere Führung.

„Alles, was wir taten, basierte auf emotionaler und spiritueller Intelligenz“, so Stojanovic weiter. „Die Workshop-Leiter stellten sicher, dass die Energie immer so war, dass die Menschen sich sicher fühlten, offen zu reflektieren. Stille und Meditation waren jeweils Teil der Workshops. Unsere Mitarbeiter lernten alle, wie man meditiert. Wir haben sogar eine Meditations-CD erstellt, die die Leute am Arbeitsplatz oder in unseren Meditationsräumen in jeder Niederlassung nutzen können. Wir hielten es für sehr wichtig, den ganzen Menschen zu betrachten und allen zu helfen, sich von Glaubenssätzen zu befreien, um ihr volles Potenzial auszuschöpfen. Es war authentisch und echt, und das spürten alle. Wir sprachen über das Herz von ANZ, wir sprachen von Liebe statt von Angst, wir wollten ein Unternehmen sein, das mit Liebe geführt wird, also nutzten wir diese Worte. Das Schönste dabei war, dass es in allen Kulturen funktionierte. Ob in Australien, Europa oder Asien – die Herzen der Menschen waren überall gleich offen. Überhaupt war die Kommunikation sehr wichtig. Wir stellten sicher, dass in allen Kommunikationsbereichen, intern wie extern, dieselbe Sprache gesprochen wurde. Dazu schrieben wir zahlreiche Geschichten, die sorgfältig und konstant genutzt wurden und trainierten viele Führungskräfte darin. Der CEO und alle Direktoren hatten eigene Webseiten, auf denen sie geschäftliche und private Informationen veröffentlichten. Es entstanden Aktivitäten rund um Musik, Kunst und Kultur, die weit über die täglichen Bankgeschäfte hinaus gingen.“

Sicht- und spürbare Auswirkungen

All das Engagement, die Zeit und die Investition haben sich gelohnt. Der Return-On-Investment ließ sich ablesen an einem Aktienpreis, der innerhalb von 4 Jahren von rund 9 auf 31 Australische Dollar stieg. Die Mitarbeiterzufriedenheit verbesserte sich von 48 auf 84 Prozent und schon nach 15 Monaten war die ANZ Bank der beliebteste Arbeitgeber der Finanzbranche in Australien. Hatten sich in früheren Jahren ca. 1.100 Absolventen jährlich beworben, waren es 2004 12.000 junge Menschen, die für die Bank arbeiten wollten! Der Hauptgrund, den sie angaben, war das „Breakout-Programm“. Sie sahen, dass die Bank sich um ihre Mitarbeiter kümmerte und ihnen tolle Möglichkeiten bot.

Ja, es gab auch Mitarbeiter, die die Bank verließen. Manche, weil sie mit der neuen Kultur nichts anfangen konnten. Andere, weil sie im Laufe des Programms feststellten, dass der Beruf des Bankers nicht der richtige für sie war. Diese Mitarbeiter wurden ermutigt und dabei unterstützt, ihren Weg zu gehen und ihre Passion zu finden. „Als menschliche Bank wollten wir keine „Gefangenen“ haben. Wir wollten Mitarbeiter haben, die hier sein wollten, weil es sich für sie richtig anfühlte“, erklärt Stojanovic die Strategie. „Wir haben die Leute einbezogen, viel Wert auf Anerkennung ihrer Leistungen gelegt und dafür gesorgt, dass alle Spaß hatten. Darum ging es in erster Linie, um Spaß bei der Arbeit!“

Beeindruckende Folgen

Die Geschichte war so einzigartig und erfolgreich, dass das Team um Sonia Stojanovic sich selbst finanzierte. Die internen Workshops, sowie interne Beratungen und der Verkauf von Merchandising-Artikeln wurden von den einzelnen Geschäftsbereichen und Abteilungen bezahlt. Ein jährlicher Umsatz von 10 Mio. Australische Dollar wurde allein dieser Abteilung zugerechnet. Bald sahen dies auch externe Interessenten. Es gab ein Angebot, ein komplettes Breakout-Team zu kaufen, um es für andere Firmen einzusetzen. Das Angebot wurde abgelehnt. Dennoch oder gerade deswegen wird die ANZ Bank nach wie vor als „das dramatischste Beispiel einer Unternehmensumformung“ bezeichnet.

Schade findet Stojanovic, die zwischenzeitlich für McKinsey arbeitete und nun ihre eigene Beratungsfirma führt, dass es weltweit nur sehr wenige „Nachahmer“ gibt. Sie sagt: „Nur wenige Unternehmen hatten oder haben den Mut, sich einer ähnlich dramatischen Wandlung zu stellen. Viele der Kunden, mit denen ich zusammen arbeite, ignorieren den menschlichen Faktor komplett. Es scheint, als ob sie immer noch in den 80ern leben. Der Grad der Ignoranz auch in den USA und Europa ist mehr als schockierend.“ Vielleicht erreicht sie ein Satz von John McFarlane, der die ANZ-Bank: „Wir müssen die Kosten senken, aber auch die Menschen einbeziehen. Denn ohne die Menschen ist die Bank nur ein Haufen von Gebäuden, Computern und Festplatten.“

Autorin dieses Artikels: Gaby Feile, Kommboutique

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