Warum ich dem Sohn Gottes dankbar bin

Blume-des-Lebens-1Von Jumana Mattukat. Xaver saß an seinem kleinen Tischchen. Über ihm prangte Christus am Kreuze. Überdimensioniert, vielleicht war er es, der seine ganze Kammer so grauslig erscheinen ließ. Selbst das helle Sonnenlicht dieses Tages, das durch das kleine Fensterchen herein schein, konnte dem Raum die Beklemmung nicht nehmen. Beklemmung, das war das einzige Wort, das Xaver an diesem Nachmittag einfiel. Er hatte es in sein kleines Heft geschrieben.
Sie sollten einen Aufsatz für die Schule schreiben. Das Thema war „Jesus Christus- warum ich dem Sohn Gottes dankbar bin.“

In Xaver sträubte sich alles. Er konnte es körperlich spüren. Schon als der Religionslehrer die Aufgabe am Morgen stellte, ist ihm die Anspannung in den Nacken gezogen.
Dabei liebte er es zu schreiben und sein Deutschlehrer hatte ihn schon oft gelobt. Dafür, dass er so lebendig schrieb, so voller Phantasie und voller Wärme für die Dinge, die er beschrieb. Man könne seine Liebe zu den Worten seiner Geschichte förmlich spüren.
Xaver hatte sich sehr über das Lob des Lehrers gefreut. Er hatte das Gefühl von ihm verstanden zu werden. Außerdem mochte er ihn gut leiden. Er hatte eine ganz besondere Art zu unterrichten. Wenn er Geschichten vorlas, erwachten sie förmlich zum Leben. Sogar seine Klassenkameraden, die sich sonst nur für Fußball interessierten, hörten diesem Lehrer gebannt zu. Der junge Mann brachte diese lauten wilden Kerle sogar dazu, Gefallen am Schreiben zu finden.

Der Religionslehrer hingegen würde es mit seiner spinnerten Aufgabe wohl eher schaffen, diesen zart erwachten Keim wieder zu zerstören.
Wenn er es schon bei Xaver geschafft hatte, der nichts mehr liebte als sich seinen Füller zu schnappen, sein Notizbuch und loszulaufen- egal wohin- Hauptsache in die Natur. Dorthin, wo er sich ungestört hingeben konnte – all den Einfällen, die ihm kamen sobald er zur Ruhe kam, sobald seine Gedanken endlich aufhörten sich wie wild im Kreis zu drehen. Dann kamen ihm wunderbare Ideen von Ameisen, die sich auf Weltreise begaben, von Igeln, die lieber ohne Stacheln leben würden und von Bäumen, die gerne wüssten wie es wohl am Nordpol so aussieht. Während er ganz eintauchte in sein Inneres, um zu erforschen, welche Schätze in ihm noch geborgen werden wollten, fühlte er sich nicht nur von der Muse geküsst, sondern jedes Mal wie von der Natur belohnt. Mal streichelte ihn sanft der Wind, mal umschmeichelte ihn ein Schwarm von Schmetterlingen zart.
Während er an diesem düsteren Ort davon träumte in der Natur über die Dinge zu schreiben, die ihn wirklich bewegten, merkte er zwar wie sein Körper entspannte, sein Blatt aber war immer noch so weiß wie zuvor.

Warum ich Jesus dankbar bin- was ihn daran störte- das merkte er jetzt- war gar nicht so sehr das Thema. Es war die Erwartungshaltung, die dahinter steckte. Der Lehrer wollte gar nicht wissen, was die Schüler wirklich fühlten. Er wollte nur, dass sie niederschrieben was er ihnen an katholischem Gesülze vorgekaut hatte.
Was aber, wenn es gar nicht so war? Was wenn Xaver dem Lehrer unrecht tat und nur dachte, dass der diese Haltung habe?
Vielleicht war nicht der Lehrer derjenige, der an alten katholischen Glaubenssätzen festhielt, sondern Xaver der, der hier an einem Vorurteil klebte und sich nicht bewegen wollte. Warum überhaupt hatte er sich so trotzig an diesen doofen Platz gesetzt wo ihm im Leben noch keine Zeile durch die Feder geflossen war?
„Mmh“ Xaver überlegte „Auf einen Versuch kommt es an.“

Er schnappte sich seinen Notizblock und rannte los. An seinem Lieblingsplatz, gleich unter dem Fliederbusch legte er los und schrieb was ihm zu Jesus Christus einfiel. Dass er nicht wisse, ob Jesus wirklich der Sohn Gottes sei, ob es ihn überhaupt gebe, dass er aber ganz sicher sei, dass irgendeine göttliche Kraft in dieser Welt wirke. Dass es ihm herzlich egal sei, wer oder was es sei, dass er dieser göttlichen Kraft aber dankbar sei für die Schönheit der Natur, bei der ihm manchmal die Spucke wegblieb, die ihn so sehr in Staunen versetzte, dass ihm fast schwindlig wurde und dass er vor dieser Kraft sein Haupt neige, auf die Knie gehe und sie täglich in sein Gebet mit einschließe.
Als Xaver seinen Aufsatz beendet hatte, lief er beschwingt nach Hause- 5 Seiten waren daraus geworden und er hüpfte vor Freude und dankte dem Leben dafür, dass er über seinen Schatten gesprungen war ohne sich dabei zu verbiegen.

Auch wenn er nicht ausschließen konnte, dass er für diesen Aufsatz vom Religionslehrer eine Ohrfeige bekam und wegen Blasphemie vom katholischen Gymnasium geworfen wurde- er stand zu seiner Wahrheit und wer weiß, vielleicht war der Lehrer ja sogar begeistert und wollte gerade das aus den jungen Menschen heraus kitzeln?
Xaver jedenfalls nahm seinen Jesus von der Wand, küsste ihn auf den Mund und schlief erwartungsvoll ein.

Jumana_Mattukat_01Zur Person: Jumana Mattukat ist 39 Jahre alt, verheiratet und Mutter zweier Kinder. Sie arbeitet als freie TV-Journalistin und Kameratrainerin. Ihr Buch
Mami, ist das vegan?: Ein Erfahrungsbericht ist 2013 erschienen.

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