Esmeralda – eine wundervolle Erzählung

esmeraldaRose ist 22 und will aus der Schweiz nach Australien auswandern. Trude ist 82 ist in Estland geboren und aufgewachsen. Sie erlebt den ersten Weltkrieg hautnah und dem zweiten entkommt sie gerade noch. Mit Valentin und der Kinderschar emigriert sie nach Australien bevor es in Europa zu brennen beginnt. In Brisbane kreuzen sich ihrer Lebenswege Anfang der 1980er Jahre. In der Erzählung „Esmeralda“ dürfen wir ihre Geschichten folgen. Rose steht am Anfang und Trude am Ende ihres Lebens.

Beide Frauen sind Reisende zwischen den Welten. Weder Roses noch Trudes Träume erfüllen sich. Nicht auf Anhieb. Und in der Zwischenzeit machen sie das Beste aus dem, was ihnen das Leben stattdessen vorschlägt. Alle Abenteuer von Rose haben sich tatsächlich so zugetragen. Trudes Geschichte ist aus der Erinnerung nacherzählt.

Ich habe dieses leicht lesbare und doch tiefsinnig geschriebene Buch mit viel Freude gelesen. Trude ist mir dabei besonders an Herz gewachsen. Ein Frau, die mit aller Macht in einer Männerdominierten Welt ihren Weg findet. Eine Welt, die erst 100 Jahre zurück liegt und uns einerseits so fremd vorkommt und dann doch wieder so nah, wenn wir uns als Frauen immer wieder in unserem Selbstausdruck zurück nehmen.

Das Buch „schreit“ nach einer Fortsetzung, aber Autorin Rose Marie Gasser Rist braucht dazu auch finanzielle Unterstützung. Also kauft ihre Bücher hier!

Mit ihrer freundlichen Genehmigung dürfen wir hier den Epilog aus dem Jahre 2014 veröffenlichen:

Die Schweiz ist ein schönes Land. Den typischen Schweizer gibt es nicht. Es gibt in diesem Land bald acht Millionen Individuen, jeder mit einem einzigartigen Lebenslauf. Das Volk besteht aus Menschen mit einem Schweizer oder ausländischen Pass. Diese Bevölkerung hat sich zusammengerauft und in den letzten Jahrhunderten eine Meisterleistung vollbracht. Es ist ihr gelungen, Kulturen, Sprachen und den Kantönligeist unter einen Hut zu bringen und ein ziemlich friedliches Zusammenleben zu gestalten. In der Schweiz bin ich geboren, aufgewachsen, von ihr abgehauen und wieder zu ihr zurückgekehrt. Ich habe heute meinen Platz in diesem kunterbunten Schweizer- und Ausländergarten gefunden.

In der Rückblende verstehe ich, dass ich 1988 fluchtartig die Schweiz verlassen wollte, nicht weil die Schweiz grundsätzlich unfreundlich war, sondern weil ich mich als Frau in einem Männer glorifizierenden Umfeld aufwachsen sah. Mein Unwohlsein hatte also nichts mit der Schweiz zu tun, sondern mit meinem Geschlecht. Als Kind glaubte ich wahrhaftig daran, dass Eva aus der Rippe von Adam entstanden ist und wir Evastöchter demnach dem Manne untertan waren. In meinem kindlichen Umfeld wurde dieses Patriarchat gelebt. Heute muss ich über die „Eva-aus-der-Adam-Rippe-Sache“ herzhaft lachen. Die (feministische) Theologie kennt längst andere Auslegungen der Schöpfungsgeschichte.

Aber man stelle sich mal vor, wie dieses Bild seit zweitausend Jahren den Männern die Legitimation gab, mit uns Frauen umzugehen, als seien wir Menschen minderen Wertes! Mit gesundem Menschenverstand betrachtet, ist die Bibel ein mystisches Geschichtenbuch. Sie ist ein fantastischer Fundus an Gleichnissen, die bei der Sinnsuche Wegweiser sein können. Aber den spirituellen Weg muss jeder selber gehen und erfahren.

Seit der Einführung des Frauenstimmrechts 1971 in der Schweiz hat sich in der Geschlechterlandschaft vieles getan. Die Gleichberechtigung ist von Gesetzes wegen gegeben. Die Umsetzung in den politischen Ämtern oder in der Wirtschaft dauert zwar noch etwas. Es braucht für Veränderungen halt mehrere Generationen. Aber der Blick nach vorn stimmt mich zuversichtlich.

Die Australienreise und insbesondere die Begegnung mit Trude waren ein Meilenstein. Es hat mir den Horizont erweitert. Ich bekam eine Ahnung davon, dass wir uns in Dimensionen bewegen, von denen wir nur einen klitzekleinen Ausschnitt erkennen. Wir sind freie, spirituelle Geschöpfe, die als Wohnort die Erde gewählt haben. Wir haben unendlich viele Möglichkeiten, unser Leben zu gestalten. Gesetze werden gemacht, um das Zusammenleben auf dem Planeten zu regeln. Aber je weiter wir uns entwickeln, und das hat und wird sich die Menschheit ohne Zweifel, können Gesetze auch wieder neu geschrieben werden. Nichts ist in Stein gemeisselt. Diese Einsicht schenkte mir grosse Freiheit – und Lust mich zu engagieren.

Das Zusammenleben ist ein organischer Prozess, der sich ständig weiterentwickelt. Und es gibt ein paar Herausforderungen, wie die Welternährung, einen möglichen ökologischen Kollaps und der Klimawandel, die uns in den nächsten fünfzig Jahren ziemlich beschäftigen werden. Ich sehe darin eine Chance, uns als Menschheit zusammenzuraufen und den Blick über die Landesgrenze hinaus zu heben. Es steht der Weltengemeinschaft sehr gut, die Frauen mit ins Boot zu holen und sie bei der Lösungssuche mitdenken zu lassen.

Foto. Rose Marie Gasser Rist

Foto. Rose Marie Gasser Rist

Trude und ich blieben nach meiner Reise in Kontakt. Wir schrieben uns ein- bis zweimal im Jahr. Gesehen haben wir uns nie mehr. Ihre Geschichte aufzuschreiben, war für mich bedeutungsvoll, um der Frau, die ich nur während vierzehn Tagen meines Lebens gesehen habe, die aber mein Welt- und Frauenbild völlig auf den Kopf gestellt hat, eine Art Denkmal zu setzen. Wie sie ihr Schicksal nach Valentins und Juris Tod gemeistert hat, könnte wohl noch einmal ein ganzes Buch füllen. Trude hat sich nicht unterkriegen lassen. Sie hat ihren ganz persönlichen Weg gefunden, mit Glück und Unglück umzugehen und nicht daran zu zerbrechen.

Trude ist mein weibliches Vorbild, ein inneres Bild einer Person mit einem starken Rückgrat. Sie hatte Humor, war blitzgescheit und von einer Dimension beseelt, die ich erst jetzt langsam erfasse. Ich verstehe jetzt, warum Trude Victor Hugos Esmeralda brauchte. Starke Vorbilder sind eine Ausrichtung. Tote Menschen machen es einem zudem einfacher, sie sich zurechtzuschnitzen und zu idealisieren. Ich weiss nicht, ob Trude mit meiner Version von ihr einverstanden wäre. Vielleicht schaut sie mir jetzt gerade beim Schreiben über die Schultern und lacht mich aus. Ja, ich glaub’ ich hör da grad was..

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