Brauchen wir Freunde?

DSCN0049„Oh, meine Freunde, es gibt keinen Freund!“ Paradox klingt der Ausruf den der Aristoteles einst getan haben soll. Man ahnt, dass eine schmerzliche Erfahrung dahinter steckt: die Enttäuschung darüber, dass einer, den er für einen Freund hielt, sich nicht als solcher bewährte. Und seien wir ehrlich: Wer kennt das nicht? Wer hat noch nicht erfahren müssen, dass einer nicht gehalten hat, was wir uns von ihm als Freund versprochen hatten? Da kann man dann auf den Gedanken kommen: lieber gar keine Freunde, als solche Enttäuschungen erleben.

Aber keine Freunde sind auch keine Lösung. Denn wenn wir genau hinschauen, sind meist nicht die Menschen das Problem, sondern die Bilder und Konzepte, die wir in uns tragen und an denen wir maßnehmen, wenn’s um die Frage geht, ob einer wirklich ein Freund ist – oder ob eine sich als Freundin eignet. Hier steckt der Grund mancher Enttäuschung: Denn es könnte ja sein, dass wir einem Ideal von Freundschaft aufsitzen, das der Realität nicht standhält; das so unrealistisch ist, dass jeder Mensch aus Fleisch und Blut an ihm scheitern muss.

Viele Ideale spuken unbewusst in unserem Kopf. Die meisten schleichen sich auf leisen Sohlen rein: im Kino etwa, wo so wundervolle Geschichten von „ziemlich besten Freunden“ wie Phillipe und Driss erzählt werden; oder in Frauenzeitschriften, die in bunten Bildern und schönen Worten die feine, heile Freundinnenwelt verklären. Nicht, dass all das unwahr wäre, aber gar zu oft werden die Fallstricke und Klippen des Lebens verleugnet, an denen sich echte Freunde bewähren müssen; und an denen wir sie immer wieder brauchen.

Doch wer sind die wahren Freunde? Hier lohnt es, die Philosophen zu konsultieren – allen voran den schon erwähnten Aristoteles. Wie bei einem alten Griechen nicht anders zu erwarten, verstand er ziemlich viel vom Thema. Er sagte: Freundschaft geschieht dann, wenn zwei Menschen eine Leidenschaft teilen. Dabei ist zunächst egal, welche Leidenschaft das ist. Es kann die geteilte Liebe für den 1. FC Köln sein oder fürs Tennisspiel – dann sind das Sportsfreunde. Andere wollen zusammen Geld verdienen – das sind Geschäftsfreunde. Wieder andere teilen ihre Begeisterung für politische Projekte – dann haben wir es mit Parteifreunden zu tun. Alles recht bodenständige Freundschaftsformen, die man nicht unbedingt braucht, die aber gut und schön sind. Und sie haben ein Manko: Erlischt die Leidenschaft oder das Interesse, ist‘s auch mit der Freundschaft aus.

Was wir aber dringend brauchen, ist eine andere Art von Freundschaft, die de-luxe-Variante sozusagen: die wahre Freundschaft. Sie brauchen wir, um Mensch zu werden. Denn sie verbindet Menschen, die sich fürs Gute begeistern: die sich einander anziehen, weil sie in ihrem Freund einen guten Menschen sehen, mit dem sie in Resonanz sein möchten, um das eigene, in ihnen noch schlummernde Potenzial zum Guten wachzukitzeln; nicht zum moralischen Gutmenschentum, darum geht es nicht. Gut heißt hier: mit sich und der Welt im Reinen sein – stimmig, glücklich, lebendig. Gute Freunde sind solche, die sich auf dem Weg dorthin unterstützen und inspirieren. Das scheint noch immer die Essenz gelingender Freundschaft zu sein. Und die brauchen wir – auch dann, wenn sie im konkreten Leben manchmal nicht so pittoresk daherkommt wie im Kino.

Zu Person: Dr. Christoph Quarch ist Philosoph, Berater und Autor. Zuletzt: Das große Ja. Ein philosophischer Wegweiser zum Sinn des Lebens. (Goldmann, 8,99 Euro). Er spendet sein Honorar für die Erstauflage an www.solidarity.org

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