Hochsensibilität – Herausforderung und Gabe

Foto: Sabrina Gundert

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Von Sabrina Gundert Dichtes Gedränge auf Weihnachtsmärkten, die volle U-Bahn am Morgen, der Lärm der Hauptverkehrsstraße vorm Haus, ja, selbst die Gerüche, die sich in einem Einkaufszentrum vermischen, das Regal mit 50 Shampoos zur Auswahl in der Drogerie – all das bringt Hochsensible rasch an ihre Grenzen.

Hochsensibilität ist eine neurologische Besonderheit. Einfach ausgedrückt: Bei Hochsensiblen lässt der Filter, der bei Normal-Sensiblen viele Reize vorab aussortiert, mehr Reize durch. Zudem verarbeiten Hochsensible Reize intensiver. Somit kommen pro Minute bei ihnen deutlich mehr Reize an als bei Normal-Sensiblen – die intensiv betrachtet, durchdacht und verarbeitet werden wollen.

Hochsensibilität im Alltag
Wie sieht das nun konkret aus? Ein Normal-Sensibler und ein Hochsensibler gehen beispielsweise in ein Einkaufszentrum. Nervensystem und Gehirn des Normal-Sensiblen melden: Rechts eine Bäckerei, links ein Kleidungsgeschäft, vielleicht später eine Jeans kaufen. Alle anderen Reize – wie die Geräusche der Baustelle nebenan, Gespräche der anderen Passanten und das Dudeln der Kaufhausmusik im Hintergrund – dringen gar nicht erst ins Bewusstsein vor. Anders beim Hochsensiblen. Nervensystem und Gehirn melden bei ihm zur gleichen Zeit: Die Bäckerei hat heute sogar Haferflockenbrot im Angebot – das gibt es sonst doch nur freitags. Die Nusscroissants sind auch neu. Und dieses Kleidungsgeschäft dort drüben – haben sie dort die Deko im Schaufenster verändert? Seit wann läuft eigentlich dieser Radiosender, vor drei Wochen war es doch noch ein anderer. Habe ich die Frau dort im roten Mantel nicht gestern im Buchladen gesehen? Und riecht es hier nicht schon wieder nach Currywurst? Die nächste Bude ist doch erst am Bahnhof!

15 bis 20 % der Menschen sind hochsensibel
1997 brachte die amerikanische Psychologin Elaine Aron mit Sind Sie hochsensibel? das erste Grundlagenwerk zum Thema auf den Markt. Heute gibt es immer mehr Bücher, Seminare und Angebote rund um die Hochsensibilität. Der Bedarf ist da: 15 bis 20 % der Menschen (und Tiere), so heißt es, sind hochsensibel. Ein Merkmal, das nach aktuellem Stand der Forschung vererbt wird.

Hochsensibilität an sich ist dabei weder eine Krankheit noch ein Problem. Doch in unserem oftmals sehr reizüberfluteten Alltag kann sie rasch zu einer Herausforderung werden. Beispielsweise am Arbeitsplatz, wo nicht selten das Radio im Hintergrund läuft, Kollegen immer wieder ins Büro platzen, das Telefon permanent klingelt, rasche Leistung gefordert wird, Termindruck herrscht und auf diese Weise eine hohe Anzahl an Reizen in kurzer Zeit auf hochsensible Menschen einströmen.

Hochsensible brauchen Rückzugsmöglichkeiten
Fehlt es Hochsensiblen an ausreichend Rückzugsmöglichkeiten, Stille, der Möglichkeit, sich zu regenerieren und das Erlebte zu verarbeiten, können aus der Reizüberflutung Krankheiten entstehen – häufig sind dies Erkrankungen an Magen und Darm (beispielsweise Reizdarm und Reizmagen), der Haut, Schlafstörungen oder auch Kopf- und Rückenschmerzen.

Foto: Sabrina Gundert

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Hochsensibilität als Gabe
Doch Hochsensibilität ist auch eine Gabe – so fällt es Hochsensiblen leicht, sich in andere Menschen hineinzuversetzen, sie sind empathisch, lieben tiefgehende Gespräche, sind oftmals sogar hellfühlig oder hellsichtig, hören das, was hinter dem Gesagten steckt.
Folgen Hochsensible ihren Bedürfnissen – beispielsweise denen nach ausreichend Schlaf, regelmäßigen Essenszeiten und genügend Pausen – erfahren sie die Qualitäten und den Reichtum ihres Andersseins: Sie sind kreativ, oft sehr künstlerisch begabt, gute Zuhörer und Gesprächspartner, reflektiert, umsichtig, erfassen Zusammenhänge meist intuitiv und von verschiedenen Seiten aus. Sie können auch kleine Freuden – wie ein Blatt, das vom Sonnenlicht angeschienen wird, die frische Morgenluft an einem kalten Wintertag oder auch das Lächeln eines Unbekannten – intensiv erleben und genießen, was sehr erfüllend sein kann.

Die Stärken von Hochsensiblen
Begegnen Hochsensible auf diese Weise ihrer Hochsensibilität, können aus den vermeintlichen Schwächen Stärken werden: Eine hochsensible Person nimmt besonders intensiv wahr, wie andere Menschen empfinden? In ihrer Arbeit als Psychologin kann ihr dies sehr zugute kommen. Eine hochsensible Person spürt Konflikte besonders schnell? Als Streitschlichterin und Mediatorin ist sie unter Kollegen besonders geschätzt. Eine hochsensible Person weiß intuitiv, was jeder denkt, fühlt und möchte? Bei schwierigen Entscheidungen behält sie den Überblick, kann die unterschiedlichsten Wünsche aufnehmen und ein stimmiges Ergebnis für alle Beteiligten finden.

Es gibt niemals nur eine Seite. Hochsensibilität ist nicht von sich aus eine Schwäche oder Stärke – sie ist einfach. Eine Coachin, die auf die Arbeit mit Hochsensiblen spezialisiert und selbst hochsensibel ist, hat dies einmal sehr schön ausgedrückt: „Würden Sie einem zwei Meter großen Mann unterstellen, er wäre aufgrund seines Körperbaus krank? Der Mann müsste sich ein Bett, ein Auto und seine Kleidung mit Sondermaßen kaufen. Bei seiner Partnerwahl könnte dieses Persönlichkeitsmerkmal ebenso von Vor- wie von Nachteil sein. Jenseits der Norm ja, aber krank?“

Das Wissen um die eigene Hochsensibilität hilft
Während viele Hochsensible sich oftmals lange Zeit „wie von einem anderen Stern“ fühlen, atmen die meisten erleichtert auf, wenn sie von ihrer Hochsensibilität erfahren. Wesensmerkmale, die ihnen vorher unerklärlich waren, werden selbstverständlich, die Puzzleteile fügen sich zusammen. Plötzlich entdecken sie, dass es da noch „andere“ gibt, die so sind, wie sie, und dass ihre Andersartigkeit, unter der sie vielleicht viele Jahre gelitten haben, ein besonderer Wesenszug von ihnen ist – und zu einer Stärke werden kann.

Viele Informationen und Bücher zum Thema wie auch Kontaktmöglichkeiten zu anderen Hochsensiblen bietet dabei der Informations- und Forschungsverband Hochsensibilität e. V. (IFHS) auf seiner Website: www.hochsensibel.org.

Sabrina Gundert

Sabrina Gundert

Zur Person: Sabrina Gundert (26) unterstützt als Autorin, Seminarleiterin und Wegbegleiterin andere Menschen darin, ihren einzigartigen Weg zu entdecken – und ihm zu folgen. Ihr Herzblut sind das Schreiben, die Natur und das Gehen des eigenen Herzensweges. Sie ist reglmäßige Autorin für die newslichter und hat gerade ihr neues Buch „Hab Mut und geh“ veröffentlicht.  www.handgeschrieben.de

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