Zeit für den nächsten Schritt

Foto: Sabrina Gundert

Foto: Sabrina Gundert

Von Sabrina Gundert. Als Regina Schlager mit 36 ins Krankenhaus kommt, verändert sich ihr Leben tiefgreifend. Eigentlich ist es nur eine Routineoperation, der Blinddarm, den sie jedoch als tiefen Eingriff erlebt. Danach ist alles in Aufruhr in ihr. Sie spürt: Große Veränderungen stehen an.

Hinzu kommt: Neben ihr im Krankenhaus liegt eine junge Frau, die jeden Tag von ihrer Schwester besucht wird: einer schönen Frau, die auf Regina Schlager lebendig und lebensfroh wirkt. Kurz darauf erfährt Regina, dass diese junge Frau ganz unerwartet gestorben ist, Mitte dreißig. Sie besucht das Grab der Frau und spürt plötzlich so deutlich, wie kostbar das Leben ist, wie vergänglich.

Ein Moment, der zum Ausgangspunkt einer Reise nach der Frage wird, was sie wirklich nährt und ihre innere Flamme lodern lässt.Aus diesem Moment folgen viele Veränderungen: Die Trennung von ihrem Mann. Die Kündigung ihres Angestelltenjobs. Der Umzug von Wien nach Zürich. Und der Sprung in die Selbständigkeit.
Mit Mut, sagt Regina, hatte das nicht viel zu tun. Vielmehr damit, zu spüren, was jetzt ansteht. Und mit Courage – damit, dem Herzen zu folgen.

Wie sie herausgefunden hat, was ihre Berufung ist und wodurch gerade die Trauer in der Wandlungszeit zu einem Halt für sie werden konnte, davon erzählt Regina in unserem Gespräch.

Regina

Regina

Regina, du warst verheiratet, hattest einen guten Job in einer internationalen Beratungsfirma, eigentlich, so könnte man denken, ging es dir gut.
Und doch – was steckte hinter diesem Aufruhr in dir, hinter deiner Suche?

Von außen betrachtet fehlte mir nichts, mir ging es gut. Und doch war da eine Stimme in mir, die fragte: Wer bist du? Wozu bist du hier? Das waren plötzlich nicht mehr Fragen aus der Philosophiegeschichte, wie noch während meines Studiums. Jetzt gingen sie mich selber etwas an, sie trafen mich im Innersten.
Die Themen – Wissen und Lernen – meiner Arbeit erfüllten mich und doch – immer mehr machte sich das Gefühl breit, nicht an dem Platz zu sein, an dem ich das Meine einbringen kann.
Dann kam diese Blinddarmoperation. Zunächst nahm ich danach wahr: Etwas in mir ist in Aufruhr. Mein Körper signalisierte mir: Hör auf dich. Sorge für dich. Ich begann mit der Ernährung, fragte mich: Welche Nahrung tut mir gut? Und landete so bei der 5-Elemente-Küche der Traditionellen Chinesischen Medizin.
Es folgten TaiJi, QiGong, Feldenkrais und Meditation. Rückblickend kann ich sagen: Ich habe damals begonnen, Kontakt mit mir selbst aufzunehmen. Und spürte dabei: Ich bin verbunden mit allem und allen.

Es ist ein großer Sprung, den du gewagt hast: raus aus der Ehe, Umzug in ein neues Land, der Sprung in die Selbständigkeit und vor wenigen Monaten die Heirat mit deinem neuen Lebensgefährten. Woher wusstest du, wann es Zeit war, zu springen?
Was wie ein Sprung aussieht, waren letztendlich lauter kleine Schritte. Als ich all diese Sprünge gewagt habe, die du erwähnst, war dem bereits ein jahrelanger Prozess vorangegangen. Und auch die einzelnen Sprünge waren nicht alle gleichzeitig, sondern wiederum eine jahrelange Entwicklung, Schritt für Schritt. Das zu betonen finde ich wichtig. Oft scheint es ja in Lebensgeschichten so, als würden sich einschneidende Entwicklungen ganz plötzlich über Nacht ergeben.
Ich erlebte es so, dass bei jedem Sprung in mir ein Es ist soweit war. Das kam wirklich plötzlich und war nicht planbar. Es war körperlich spürbar: in meinem Bauchraum, den ich als mein Kraftzentrum wahrnehme. In diesem ganz deutlichen Jetzt ist es soweit! waren keine Zweifel, keine Bedenken.

Was hat dich in dieser Zeit des Umbruchs getragen?
Ganz entscheidend war, dass ich einen Zugang zu mir selbst gefunden habe, der von Warmherzigkeit und Fürsorge geprägt ist. Das ist ein ständiger Übungsweg.
Und gleichzeitig hat mir buchstäblich der Boden unter den Füßen geholfen: Ich lenke meine Aufmerksamkeit immer wieder auf den Kontakt meiner Füße zum Boden oder beim Sitzen auch des Gesäßes zur Stuhlfläche. Das kann ich beim Arbeiten am Computer tun, in einer Coachingstunde oder beim Warten an der Busstation. Da entwickelt sich das Gefühl: Ich stehe in meinem Leben.
Was mich auch trägt: Meine Familie. Und wirkliche Begegnungen, die mir Energie, Zuversicht und Inspiration schenken.
So eigenartig es vielleicht zunächst klingt: Ich habe auch Halt gefunden in meiner Trauer. Das annehmen, was geschehen ist und wie ich gehandelt habe. Mich von dem verabschieden, was mir lieb war: Das bedeutete auch, viel Besitz loszulassen, wie unzählige Bücher. Mich versöhnen mit Aspekten des Lebens, die ich selbst nicht gelebt habe und nicht leben werde: dazu gehört das Muttersein.

Als ich mit meinem neuen Lebenspartner Thomas zusammenkam, war ich offenbar bereit für eine Liebesbeziehung in einer für mich ganz neuen Qualität. Die Auseinandersetzung mit mir selbst, das beständige Üben einer freundschaftlichen Haltung mir selbst gegenüber, das Annehmen all dessen was ist, das hat mich bereit gemacht für eine Partnerschaft, die mich trägt. Das ist nicht nur angenehm im Sinne von “sie lebten glücklich bis an ihr Lebensende”, das verlangt mir einiges ab. Im Zusammenleben mit Thomas kommen Themen hoch, die ich bisher noch nicht verarbeitet habe und die nun eine Chance haben gelöst zu werden. Und auch ihm geht es so. Das ist ein Riesengeschenk.

Gab es Momente, wo du dachtest: Ich gehe zurück – nach Österreich, in meinen alten Job, zu meinem Ex-Mann?
Nein, die gab es nie. Was es gab, waren immer wieder Momente der Trauer. Und auch der Dankbarkeit: für meine Familie und Freunde in Österreich, für die gemeinsame Zeit mit meinem Ex-Mann und für das, was ich in meinem Angestelltenjob lernen durfte.

Wenn ich etwas rückgängig machen könnte, dann die Art und Weise der Trennung von meinem damaligen Mann. Es war eine Entscheidung, die für mich ganz klar war. Und doch hat sie mir sehr weh getan, und ihn hat dieser für ihn plötzliche Schritt unglaublich verletzt. Heute sage ich mir: Ich habe so gehandelt, wie es mir damals möglich war. Aber da bleibt eine Wunde.

Heute begleitest du Frauen darin, die Arbeit zu finden, die ihnen wirklich entspricht. Eine Arbeit, die zugleich deine Berufung ist, wie du sagst. Was hat dir geholfen herauszufinden, was wirklich Deines ist?
Ganz ausschlaggebend war die Beschäftigung mit dem, was mir wirklich gut tut. Das habe ich dann auch im Berufungscoaching, bei dem ich mich begleiten ließ, als Basisfrage erlebt. Dieses Coaching hat mir sehr geholfen, Klarheit zu erhalten über meine Vision und wie meine nächsten Schritte ausschauen.
Schon 2007 gab es für mich solch einen Moment der Klarheit, zwischen Schlafen und Wachen, eine Art Vision. Darin sah ich deutlich, dass mich mein Weg zu mir selbst und gleichzeitig zu anderen Menschen führt, dass das zusammengehört.
Da war ein tiefes Wissen, dass ich hier bin, um ein ganzheitliches, selbstbestimmtes Leben zu führen und Menschen zu helfen, ihre Berufung zu leben. Und dass es um größere Zusammenhänge geht.
Heute bilden für mich Denken, Fühlen und Körperempfindungen eine Einheit. Ich lerne, den Moment achtsam wahrzunehmen und empfänglich zu werden für die Zukunft, die durch mich entstehen will.
Das sind für mich weibliche Qualitäten, die in unserer Kultur lange vernachlässigt wurden. Ich bin davon überzeugt, dass unsere Zeit die Wiedererinnerung und Pflege dieser Qualitäten braucht, und ich spüre, dass hier mein Beitrag liegt.

Braucht es Mut, um große Veränderungen im Leben zu wagen? Und was kann ich tun, wenn ich das Gefühl habe, dass mein Mut nicht reicht für so große Schritte?
Mut ist ein großes Wort, das viele mutlos macht. Mir gefällt Courage viel besser. Das ist im Wienerischen sehr gebräuchlich. Da ist das lateinische Wort cor, Herz, drin, französisch coeur. Es bedeutet, unserem Herzen zu folgen. Wenn wir das tun, dann fühlen sich die Schritte plötzlich leicht, weil einfach richtig, an: Es geht.
Die großen Schritte setzen sich zusammen aus vielen kleinen. Oft reicht es, sich das bewusst zu machen und sich den ersten kleinen Schritt vorzunehmen. Dann kommen wir in Bewegung. Wir wissen ja auch gar nicht, wo uns unsere Schritte letztendlich hinführen.
Wir können visionieren, und das finde ich sehr sinnvoll und empfehlenswert, wir können uns auch Ziele setzen und auf den Weg machen. Aber was das Leben dann mit uns vorhat, das wissen wir noch nicht.
Lassen wir uns also überraschen! Es kommt dann nämlich erfahrungsgemäß so, wie wir es uns vorher nicht zu erträumen gewagt hätten. Was ich zudem als sehr ermutigend empfinde ist, über Menschen zu lesen oder mit ihnen zu reden, die ihren Weg gehen.

Foto: Regina Schlager

Foto: Sabrina Gundert

Wenn du heute auf die vergangenen Jahre voller Veränderungen blickst: Würdest du den Wandel wieder wagen?
Ja, auf jeden Fall. Es ist mein Leben. All das, was passiert ist, hat mich zu der gemacht, die ich heute bin. Und ich spüre ganz deutlich: Ich gestalte meinen Weg.
Es fühlt sich stimmig und richtig an. Es führt mich in meine Kraft und Lebendigkeit. Es bereitet sich auch einiges vor in mir. Ich ahne, dass da noch viel kommt.

Wenn du für eine andere Frau auf dem Herzensweg einen Rucksack packen würdest – welche drei Dinge würdest du ihr als Proviant unbedingt mit einpacken?
Einen Spiegel, der ihr zeigt: So schön bin ich und so liebenswert!
Einen Schalk, der aus dem Rucksack klettert und sich ihr in den Nacken setzt.
Ein Buch mit inspirierenden Geschichten von Frauen, die ihren Weg gehen.

Danke dir ganz herzlich für das Gespräch, Regina!

Sabrina Gundert: Workshops, Coachings und Bücher für Frauen, die ihren eigenen Weg gehen wollen.
www.handgeschrieben.de

Mehr zu Regina Schlager hier

 

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