SEELENARBEITER – Kein Job wie jeder andere

Foto: Evelin Rosenfeld

Foto: Evelin Rosenfeld

Vor 15 Jahren kehrte ich der Berufswelt, wie wir sie von klein auf erklärt bekommen, den Rücken zu – und widmete mich mit voller Aufmerksamkeit den Fragen zum größeren Zusammenhang. Die Frage nach der Wirkung unseres Arbeitsverständnisses auf unsere psychische und soziale Gesundheit, zum Beispiel. Oder die Frage nach dem Frust, dem Hass, der Unaufrichtigkeit in unseren Beziehungen. Der Frage nach Sinn und Leben.

Zunächst schien es wie ein „Selbsterfahrungstrip“ – wie ich da wochen- und monatelang im Dschungel verbrachte, ohne Plan und Ziel, nur mit diesen Fragen befasst – und irgendwann nur noch mit einer Wahrnehmung dessen, was sich unmittelbar zeigte. In diesen Monaten ist meine Persönlichkeit, wie ich sie bis dahin kannte, verbrannt. Ich war an einen Punkt gelangt, an dem es keinen Fixpunkt über den Moment hinaus mehr gab. Kein Ziel, kein Wunsch – aber auch keine Angst.

ERWACHEN AUS DEM ERWACHEN
So hätte es bleiben können. Ich hätte in meiner „erleuchteten“ Wolke und seligen Genügsamkeit einfach in diesem Dschungelparadies bleiben können.
Doch dann kam etwas hinzu: Es kamen die Bilder von Menschen, die aufgefressen wurden von ihrer Verzweiflung und Frustration, stur Wege verfolgend, die andere ihnen gewiesen hatten. Es kamen Bilder von sterbenden Tieren, vergiftete Flüssen, verseuchter Erde – all die Folgen blinden Funktionierens.
Und da erwachte ich von meinem Erwachen: Ich war Teil dieser Geschichte, Teil dieser Menschheit und ich hatte etwas beizutragen.
Dass das Kämpfen an Verhandlungstischen oder auf Demonstrationen ist genauso Makulatur wie die Suche nach technischen Lösungen. Das Übel beginnt nicht auf der Sachebene, dort, wo Fische am Quecksilber im Fluss ersticken. Dies sind lediglich die Symptome einer Menschheit, die aus Angst agiert. Einer Menschheit, die rafft, verteidigt und abgrenzt, weil sie weder an sich noch an irgendetwas anderes glaubt. Daher richtete ich meine Aufmerksamkeit auf diesen Anfang: Auf die Angst und ihre Treiber, auf die Einzelnen und ihre alltäglichen Entscheidungen.
Mein Anliegen war nicht, nach Art der Psychologen temporäre oder dauerhafte Störungen in der Leistungsfähigkeit von Menschen zu beheben. Auch nicht, seelische Schmerzen zu lindern. Auch nicht, Überlebensstrategien in der Kampf- und Leistungslandschaft zu trainieren. Nein, all das nicht.

DER UNTERSCHIED ZWISCHEN THERAPEUTEN UND SEELENARBEITERN
Mein Anliegen ist, Menschen in eine Verfassung zu führen, in der sie ihre Angst sehen und besiegen – denn das ist die Voraussetzung dafür, sich lebensbejahend zu orientieren. Und diese Orientierung liegt in jedem Menschen. Ich nenne sie „Seele“ und betrachte diese Seele als Bindeglied zwischen dem Wesenskern eines Menschen und Gott.
So begann für mich ein neues Leben: Ein Leben, das angstbewusst und ausschließlich an dem Wunsch ausgerichtet ist, die Angst zu besiegen und den Wesenskern zum einzigen Orientierungspunkt werden zu lassen.
Dieses Anliegen machte keinen Unterschied zwischen mir selbst und den Menschen, die ich in diese Richtung unterstütze: Ich arbeitete gleichzeitig an meiner eigenen Makellosigkeit (angstfreie und ausschließliche Orientierung am Seelenanliegen) und an dem Erwachen der Menschen, die zu mir kamen.
Das dürften mittlerweile über 800 Menschen. Und diese gut 800 Menschen machen einen Unterschied: Viele haben ihre Jobs gekündigt und eine Arbeit aufgenommen, die (in ihren Augen) Sinn macht und wertvoll ist. Viele haben alte Schuldenbücher endlich geschlossen und können ihre Energie nun ganz auf das, was wirklich wichtig ist, richten. Sie wirken auf Menschen und Vorgänge in ihrem unmittelbaren Umfeld: Sie nähren keine Ängste mehr und fördern Leben.
Für mich persönlich ist das ein sehr schönes Resümée.
Der Preis: 15 Jahren recht strikte spirituellen Praxis und sehr weitgehende Zurückstellung der „üblichen“ persönliche Bedürfnisse.

MENSCH UND GRENZEN
Eine Auszeit, zum Beispiel, bedeutet für mich persönlich: 14 Tage 24Stunden Dienst.
Es ist nicht zu leugnen, dass das nicht nur körperlich und mental einen enormen Kraftakt darstellt. Es erfordert einige Disziplin, ununterbrochen mit Schatten und Widerständen, Ängsten, Verwirrungen und Altlasten mehrerer Menschen, mehrerer Leben gleichzeitig befasst zu sein. Erstaunlich ist: Ich scheine mich während dieser Arbeit tatsächlich zu „entselbsten“ – sehe die Träume, inneren Bilder und Impulse der Menschen, für die ich mich zur Verfügung stelle, durchlebe die Widerstände und Ängste, die sich hier auftun.
Jede/r, der in einer tiefen Liebesbeziehung ist, hat eine Ahnung davon, wie das ist. Für mich, während ich arbeite, ist das aber eben nicht mit einem einzigen Menschen und wechselseitig – sondern mit mehreren Menschen gleichzeitig und NICHT wechselseitig. Meine „Themen“, meine Grenzen sind vollkommen zurück genommen, bei mir, dürfen den Prozess (idealerweise !) nicht berühren.
Ganz ist das nicht möglich. Doch sehr weitgehend, denn es ist auch sehr kraftspendend, Teil dieser Befreiung zu sein.
Und doch: Ich kenne einige Heiler und Seelenarbeiter, die nach ein paar Jahrzehnten selbst krank geworden sind. Die permanente Einbindung in Transformationsprozesse erfordert Kraft. Denn wir sind Menschen, selbst wenn unser Weg darin besteht, uns immer mehr und immer wieder von unserer persönlichen Geschichte, Zeitillusionen und Mangel zu reinigen.

SELBSTFÜRSORGE UND HINGABE
Es gibt – immer nur: temporäre – Zustände der vollkommenen Entselbstung und Einheit.
Die Kraft, anderen die nötige „Zündung“ für anstehende Transformationsprozesse zu geben, die Kraft, die Phase des „in between“ zu halten, zu stabilisieren und immer wieder die Ausrichtung herzustellen, ist persönliche Kraft. Denn anders als bei den „Es-geschieht“-Kollegen, gibt es bei uns ein konkretes Entwicklungsanliegen und einen sehr präzise definierten energetischen „Punkt“, auf den hingearbeitet wird: Der inerte Wesenskern, der stabil im Spannungsfeld zwischen Absolutem und Individuellen existiert und wirkt, ein ganz bestimmtes, die Person definierendes Seelenanliegen, das einen Namen und eine ganz bestimmte Frequenz hat.
Der Seelenarbeiter hat die Funktion, diese Richtung sicherzustellen und die sich aufbauenden Widerstände zu konfrontieren. Das ist seelische Hochspannung für den Begleiter. Und diese Hochspannung geht nicht spurlos vorüber am Seelenarbeiter.
Es gibt einige Dinge, die wir tun können, um unsere Kraft nicht zu verschwenden und einzuschätzen, wo unsere menschlichen Grenzen sind.
So ist eine meiner wichtigsten „Vorsorgen“, bevor ich in Gruppen gehe, die Überprüfung der Intention. Meine „Kraft“ ist da, wo ich bin, was ich bin: Wahrhaftigkeit in Transformation. Wenn ich mich – zugunsten von Anfragenden – aus diesem präzisen Feld herausbewege und etwa mit Menschen arbeite, die „Festigung“ oder „Solidarität“ oder „Verbundenheit“ suchen, schade ich beiden: Dem Klienten und mir.
Ich habe mir angewöhnt, bereits in den Vorgesprächen sehr radikal zu sein: 7 von 10 Anfragen richten sich nach wie vor nicht darauf, die eigene Wahrheit zu finden (und den Preis dafür zu bezahlen) sondern eher darauf, besser, leichter, bequemer mit der Außenwelt klar zu kommen.
Nur ein sehr kleiner Teil der Menschen, die Veränderung und Unterstützung begehren, sind bereits an den Punkt gelangt zu erkennen, dass sie an der eigenen Wahrhaftigkeit arbeiten müssen. Und so schicke ich 7 von 10 Menschen wieder weg. Ich arbeite nicht mit Menschen, die ein Anliegen haben, das nicht mit meinem Feld, meinem Potenzial identisch ist.

IMMER WIEDER DIE EIGENE FEHLBARKEIT ENTBLÖSSEN
Und auch das Menschsein neben dem Führen, hält einige Herausforderungen für uns bereit.
Kurz vor einem Jahrestreffen etwa hatte eine herbe persönliche Enttäuschung hinzunehmen. Ich teilte ich der Gruppe mit, was geschehen war und dass ich deswegen etwas „neben der Spur sei“. Einer meiner Alumni sprach aus, was ich auch in manch anderen Gesichtern sah: „Was ?! Ich hätte nicht gedacht, dass DIR so etwas passiert…“ – Könnt Ihr Euch vorstellen, wie so etwas erstmal bei meinem kleinen Ego ankommt ?
Oder eine andere Situation, in der ich nicht schnell genug wahrgenommen hatte: Eine Klientin schrieb mir eine sehr geladene Liebeserklärung. Ich reagierte sofort, beendete unsere Zusammenarbeit, drückte mein Mitgefühl aus – und auch, dass ich diese Gefühle nicht erwiderte. Ich bat sie, unseren Kontakt eine zeitlang ruhen zu lassen. Etwa einen Monat später rief mich die Vermieterin eines der Seminarhäuser für die Auszeiten an und teilte mit, dass diese Klientin unter Bezugnahme auf mich das Seminarhaus auf Dauer mieten wolle. Was macht ein Seelenarbeiter da ?

Wer sich in diese Arbeit begibt sollte mit radikaler Ehrlichkeit prüfen:
Bin ich in der Verfassung, meine eigenen Gefühle, Bedürfnisse, Überzeugungen komplett aufzuheben und mich ausschließlich in die Seelendynamik meines Gegenübers zu begeben ?
Halte ich den Projektionen stand, die mich zu etwas Übermenschlichem, Vollkommenem oder endlos Liebenden machen – das ich nicht bin ?
Wie verhalte ich mich bei Übergriffen, in denen die definierten Rollen infrage gestellt oder vernichtet werden ?
Wie gehe ich um mit Menschen, die ihren Prozess immer wieder unterbrechen, immer wiederkommen, neu ansetzen, mit Menschen, die versuchen, eine Abhängigkeit zu mir oder dem Prozess zu installieren ?
Halte ich diese Einbahnstraße zwischen mir und meinem Klienten aus, in dem meine eigene Person nur empfängt und spiegelt – jedoch niemals sendet und manipuliert ?
Das sind extreme – fast übermenschliche Anforderungen. Und ich kann nach fünfzehn Jahren ernsthaften Strebens, massiver Disziplin und tausenden von „Verzichten“ wenigstens von mir selbst sagen, dass ich das 100%ige „ja“ nie erreicht habe.
Ich spüre, dass vieles von dem, was ich zur Makellosigkeit, zum Dienen und zum „Wirklich wichtig“ gefunden, gelebt und gelehrt habe, sehr hilfreich ist, zu Freiheit, Frieden und Kraft führt.
Doch hier sind auch Grenzen.
Die Grenzen des Menschseins.
Die Integration der ewigen Spirale zwischen Lehren und Lernen, Geben und Nehmen.
Ich wünsche mir, dass diese Gedanken vor allem diejenigen unter Euch erreichen, die selbst Seelenarbeitersind. Dass wir gemeinsam mehr und mehr einen Weg entdecken, der wahr ist. Spirituell wie emotional.

Dies ist die gekürzte Fassung aus dem newsletter von Evelin Rosenfeld,  Langversion hier lesen.

Evelin Rosenfeld

Evelin Rosenfeld

Zur Person: Evelin begleitet Menschen in Lebensphasen, in denen alte Strukturen und Überzeugungen zusammenbrechen und die Frage nach dem Sinn des eigenen Lebens und Strebens deutlicher hervortritt. Selbst ehemals Konzernstrategin führt sie durch einen strukturierten Prozess, die Füße fest auf dem Boden von Gemeinschaft, Wirtschaft und Mitverantwortung – das Herz weit für die urmenschliche Sehnsucht nach Integrität, Verbundenheit und einem Dienst aus dem Herzen.
Das Buch zum Prozess „Was Dir wirklich wichtig ist. Arbeitsbuch zum Personal Empowerment“ erschien 2004 im Junfermann Verlag und ist bei Amazon bestellbar.
Mehr zu ihrer Arbeit unter www.evelinrosenfeld.de
Nächste Wochenendkurse:
FÜNF WANDLUNGSPHASEN DER SEELE – Diagnostik: 27. ‐ 28. Juni 2015, FÜNF WANDLUNGSPHASEN DER SEELE – Therapie: 15. ‐ 16.August 2015; ERNÄHRUNG NACH DEN FÜNF ELEMENTEN: 29. ‐ 30. August 2015
Sechsmal im Jahr gibt sie „Auszeiten“ – 14-tägige Retreats in Thailand, Teneriffa und Thüringen, in denen der Prozess sehr kompakt durchlaufen wird. Mehr Info: www.seminar-und-reisen.de
Nächste Reisetermine:
Thüringen: 1.- 15. August 2015, Teneriffa: 12. – 26. September 2015, Thailand: 26.12.15 – 09.01.2016
Eben sind neue Kurzvideos zu ihrer Arbeit veröffentlicht worden, die sich auf Youtube finden.

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Ein Kommentar zu “SEELENARBEITER – Kein Job wie jeder andere
  1. Björn Spiering sagt:

    Ein toller Artikel, der mich sehr berührt hat. Danke für’s Einstellen, liebe Bettina. Und ein Danke für die offenen Worte, Evelin.

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