Weibliche Wechseljahre und männliche Krise

Foto: Sabine Herm

Foto: Sabine Herm

Auszüge aus “Mut zum Lebenswandel – Wie Sie Ihre biografischen Erfahrungen sinnvoll nutzen“ von Brigitte Hieronimus. Das sechste Jahrsiebt (35-42 Jahre). Wenn die alte Ordnung nicht länger stimmt, wollen untaugliche Muster über Bord geworfen und verabschiedet werden. So kündigen sich die Wechseljahre meist schon um das 40. Lebensjahr an, wobei der erste hormonelle Umstellungsprozess bis zur Menopause vier bis fünf Jahre dauern kann und es nach der Menopause nochmals solange braucht, bis der weibliche Körper sein gesamtes Hormonprogramm absolviert hat. Vorwärtsdrängende Energien, die sich in einer Aufbruchsstimmung, vermehrter Reizbarkeit oder Konfliktfreude zeigen können, sind bereits Vorboten der weiblichen Wechseljahre. Stimmungsschwankungen signalisieren, was genau im Leben nicht länger stimmig ist. Die Reizbarkeit weist darauf hin, dass der Reiz an einer Sache verloren ist oder etwas ganz Neues in Angriff genommen werden möchte. Noch glaubt man, es seien die pubertierenden Kinder, der von der Midlife-Crisis geschüttelte Gatte, der grantige Chef, die nörgelnde Schwiegermutter, die selbstverliebten Freundinnen, die einem das Leben schwer machen …

Noch zeigt man mit dem Finger auf die anderen, bis man bemerkt, dass ein innerlicher Wandlungsprozess im Gange ist. Wer sich jetzt pflegeleicht gibt, obwohl es innerlich kocht, verpasst seinen fruchtbaren Wandel und bleibt im Schonwaschgang eines vor sich hin dümpelnden Lebens hängen. Wer sich jetzt am Jungseinwollen krampfhaft festhält, den straft das Leben früher oder später mit Langeweile und Verdruss, schlimmstenfalls mit Depressionen. Zugegeben, es ist nicht gerade leicht, mit dem sichtbar werdenden Alter klarzukommen, vor allem wenn mädchenhafte Schönheit und eine ebensolche Figur der Quell für die eigene Attraktivität waren. Deshalb sind es meist auch die „Gefalltöchter“, die es im Klimakterium schwer haben.

Sie registrieren nicht nur bei sich, sondern auch bei anderen Frauen jedes noch so winzige Zeichen altersbedingten Verfalls und ackern Tag für Tag unermüdlich an ihrem Äußeren, um ihr Weiblichkeitsideal zu bewirtschaften. Und eines Tages, das Gesicht dicht vor dem Vergrößerungsspiegel, entdecken sie die feinen Härchen auf der Oberlippe und fragen sich entsetzt, ob sie nun endgültig eine alte Hexe werden. Zumindest werfen Freundinnen und Kolleginnen ihnen das immer öfter vor: „Du bist ja nicht mal mehr mit der Kneifzange anzupacken“, „Warum guckst du immer so giftig?“, „Musst ja nicht gleich herumkeifen“ …

Was einst sinnvoll erschien, macht plötzlich keinen Sinn mehr. Das viel zu große Haus in der feinsten Wohngegend, umgeben von hochnäsigen Nachbarn. Der nagelneue Caravan, der nur in der Garage herumsteht. Der teure Segelschein, nur wegen des attraktiven Segellehrers … Dabei drücken die finanziellen Schulden, weil man sich unbedingt mit einem kleinen Café verwirklichen wollte. Es belastet die beginnende Demenz der Mutter, die trotzdem nicht in eine betreute Wohngruppe will. Es fällt schwer, die Trennungen befreundeter Paare zu akzeptieren, weil wir spüren, dass es auch in unserer Ehe nicht zum Besten steht, und ahnen, warum der Gatte plötzlich nichts mehr gegen mehrtägige Dienstreisen hat.
Eigentlich stehen neue Entscheidungen an, vor denen wir uns aber noch drücken.

Vom Sinn der Fragen
Während dieser Lebensphase tauchen nagende Sinnfragen auf, die sich mit einstigen Irrtümern und Enttäuschungen auseinandersetzen. So gibt es wegweisende Irrtümer, die wachrütteln, die zu Innehalten und Umkehr zwingen; und es gibt Enttäuschungen im Leben, die tiefgreifend kränkten. Möglicherweise haben wir wirklich nur das registriert, was nicht funktioniert hat, was nicht gelungen ist. Dann gilt es jetzt herauszufinden, welche Erwartungen und Wünsche tatsächlich unerfüllt geblieben sind. War es der Kinderwunsch? Der Traumberuf? Die allzu idealisierte Vorstellung von unserer Mutterschaft, unserer Liebesbeziehungen? Wo klafften Ideal und Realität auseinander? Die meisten wunde Punkte sind Selbstwertverletzungen, die wir uns haben zufügen lassen und sind Bestandteil jeder Biografie. Wer fester im Lebenssattel sitzt, und über ein stabiles Selbstwertgefühl verfügt, ist weniger verletzbar. Ja, es gab Menschen, denen wir vertraut, auf deren bedingungslosen Halt wir gebaut haben, und die uns trotzdem zurückstießen oder fallen ließen. Oft denken wir dabei an uns nahe stehende Menschen wie Partner, Kinder oder enge Freunde. Doch diese Menschen sind nicht die eigentliche Quelle der Verletzungen. Denn diese liegt in unserer Ursprungsfamilie.

Nun also beginnt die Zeit, wo das Erkennen und Verstehen unserer Kränkungsgeschichten allmählich dazu führen wird, dass der alte Schmerz allmählich verschwindet, dass die Wunden verheilen und wir neue Lebensenergie gewinnen. Aber natürlich offenbaren sich die tieferen Zusammenhänge nicht auf Anhieb, und nicht jeder bringt den Mut auf, wirklich hinzuschauen. Zumal immer noch Abenteuer und Verführungen locken, die für kurzfristiges Wohlbefinden sorgen und den Schmerz für eine Weile überdecken. Manche Frauen lassen sich vorübergehend auf eine Affäre ein, fühlen sich wieder begehrt. Männer geben vor, auf Tagungen zu sein, und besuchen heimlich Tantra-Kurse oder lassen sich im Hotel erotisch massieren. Einige Frauen suchen nach kreativen Wegen, um dem schnöden Alltag zu entfliehen und hoffen, das eigene Ich wieder zu entdecken: Sie malen in der Toskana, bildhauern auf schick hergerichteten Höfen, singen Mantras und tanzen um den Lebensbaum. Nicht selten satteln Männer noch einmal beruflich um oder steigen ganz aus. Für manche Menschen ist es bedeutsam, jetzt ihre Religion oder ihre politische Gesinnung zu wechseln. Es gibt Wandlungen von Haltungen und Einstellungen …

All diese Auf- und Umbrüche weisen auf das hin, was neu belebt oder angeschaut werden will und welche Potenziale oder Talente noch vor sich hin schlummern. In diesen Jahren der Wandlung geht es biografisch um die Erweiterung der eigenen Identität. Bei Frauen geht es nun um den endgültigen Abschied von der körperlichen Fruchtbarkeit, um den geistig-seelischen Aufbruch in neue Gefilde und Lebensaufgaben. Diese herauszufinden ist oft mühsam. Da wir sie aber brauchen, suchen und finden wir sie am liebsten in unserem nahen Umfeld. Das ist auf den ersten Blick bequemer. Beim eigenen Mann zum Beispiel: Da sehen wir auf Anhieb, was nicht stimmt, stoßen ungefragt männliche Seelentüren auf und beginnen, gründlich dahinter aufzuräumen. Natürlich ist seine Mutter schuld! Seine Angst vor Nähe kommt von dieser kaltherzigen Frau. Und sein Perfektionszwang hat mit seinem tyrannischen Vater zu tun. Alles klar. Jetzt besorgen wir uns die passende Ratgeberliteratur und lesen dort schwarz auf weiß, was wir schon ahnten und nun mit Fachwissen untermauern können. Wunderbar. Zur Sicherheit und weil wir ja ganzheitlich orientiert sind, lassen wir uns noch ein Partnerschaftshoroskop erstellen und wählen hilfreiche Bachblüten aus. Unsere weiblichen Hormone kommen jetzt so richtig auf Touren …

Vom heilsamen Schmerz zur gesunden Liebe
In den Jahren des Wechsels kann sich plötzlich die Lust breitmachen, unbedingt mit jemandem abrechnen zu wollen. Was da schwelt, hat mit einem verborgenen Teil unserer Vergangenheit zu tun, der jahrelang dafür sorgte, dass unglückliche Lebens- und Liebesgeschichten sich wiederholten; der Schmerz ballte und staute sich auf. Die entlastende, heilsame Auseinandersetzung mit diesem verborgenen Teil findet jedoch nicht statt. Stattdessen verlagern wir das Kampffeld nach außen: Innere Konfliktherde entzünden sich und werden zu Flächenbränden, so dass wir uns gezwungen fühlen, Kriege in unserem sozialen Umfeld anzuzetteln. Denn all das, was uns dort aufregt und wehtut, spiegelt den inneren Schmerzherd wider. In den emotionalen Beziehungsgeflechten zum Partner, zu unseren Kindern und Eltern, aber auch zu engen Freunden und Kollegen, zeigt er sich besonders deutlich, weshalb wir schwere Geschütze auffahren, um endlich abzurechnen …

Natürlich sind daran nicht die Hormone schuld, aber die wechseljahrbedingten Schwankungen von Östrogen und Progesteron beeinflussen das Gefühlsleben ähnlich stark wie in der Pubertät. Das Unterste wird nach oben gekehrt; bei vielen wächst die Angriffslust. Frauen sagen wie aus heiterem Himmel Nein, grenzen sich rigide ab, wo sie vorher noch aufs innigste verschmolzen waren. Jetzt beginnt die Phase des radikalen „Absterbens“ und „Loslassens“ übriggebliebener Irrtümer und Illusionen: Es braucht nun viel Zeit, um mit sich ins Reine zu kommen. Die biografische Aufgabe und Herausforderung, sich immer weniger mit dem Außen zu identifizieren und mehr mit den Innenräumen zu beschäftigen, begleitet nun für einige Jahrsiebte und wird weitere Reifeprüfungen nach sich ziehen.

Biografische Fragen für das sechste Jahrsiebt (35-42 Jahre)
Anmerkung: Ab hier gilt für alle Biografischen Fragen: Beantworten Sie die jeweilige Frage als erinnernde oder als aktuelle Reflexionsfrage, je nachdem in welchem Lebensjahrsiebt Sie gerade sind.

  • Gab/Gibt es eine Aufbruchsstimmung? Worauf gründet/e sie sich?
  • An welchem Höhepunkt oder Tiefpunkt stehe/stand ich?
  • Was hat sich daraus entwickelt?
  • Welcher Wandel kündigt/e sich an?
  • Was stimmt/e nicht länger?
  • Was reizt/e mich? Was will/wollte ich unbedingt in Angriff nehmen?

Hintergrund: Das ist der erste Teil einer neuen Serie bei den newslichter, in der monatlich immer ein Lebensjahrsiebt vorgestellt wird. Dank an den Kamphausen Verlag für die Freigabe der Auszüge aus dem Buch Mut zum Lebenswandel – Wie Sie Ihre biografischen Erfahrungen sinnvoll nutzen. Eine ausführliche Besprechung des Buches hier.

brigitteZur Person: Brigitte Hieronimus arbeitet als erfahrene Paar-und Biografieberaterin, Trainerin, Referentin zum Thema Wechseljahre und Dozentin für biografisches Schreiben. Der Autorin gelingt es auf lebendige Weise, den Lesern eine mutmachende neue Sichtweise zu vermitteln. Daher ist sie immer auch gefragte Interviewpartnerin in TV, Hörfunk und Presse. Mehr auf ihrer Webseite www.brigitte-hieronimus.de

Sharing is Caring 🧡
Posted in Heilung Verwendete Schlagwörter: , ,

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

*

Dein Kommentar wird nach der Prüfung freigeschaltet. Bitte beachte, Einschätzungen und Meinungen in Ich-Form zu formulieren und die AutorInnen zu wertschätzen. Nicht identifizierbare Namen (Nicknames), Kommentare ohne erkennbaren Bezug auf den Inhalt des Artikels und Links zu nicht eindeutig verifizierbaren Seiten bzw. zur Eigenwerbung werden grundsätzlich nicht freigeschaltet.