Friedenspreis gegen den Hass!

Foto: Carolin Emcke

Foto: Carolin Emcke

Ich freue mich sehr, dass der Friedenspreises des Deutschen Buchhandels diesmal eine mutige, kluge Frau, die Publizistin Carolin Emcke, geht. In der Begründung des Stiftungsrats heißt es: „Den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels verleiht der Börsenverein im Jahr 2016 an Carolin Emcke und ehrt damit die Journalistin und Publizistin, die mit ihren Büchern, Artikeln und Reden einen wichtigen Beitrag zum gesellschaftlichen Dialog und zum Frieden leistet.

Ihre Aufmerksamkeit gilt dabei besonders jenen Momenten, Situationen und Themen, in denen das Gespräch abzubrechen droht, ja nicht mehr möglich erscheint. Carolin Emcke setzt sich schwierigen Lebensbedingungen aus und beschreibt – vor allem in ihren Essays und ihren Berichten aus Kriegsgebieten – auf sehr persönliche und ungeschützte Weise, wie Gewalt, Hass und Sprachlosigkeit Menschen verändern können. Mit analytischer Empathie appelliert sie an das Vermögen aller Beteiligten, zu Verständigung und Austausch zurückzufinden. Das Werk von Carolin Emcke wird somit Vorbild für gesellschaftliches Handeln in einer Zeit, in der politische, religiöse und kulturelle Konflikte den Dialog oft nicht mehr zulassen. Sie beweist, dass er möglich ist, und ihr Werk mahnt, dass wir uns dieser Aufgabe stellen müssen.“

Lachenden Mut
Sie selbst schreibt in einem bemerkenswerten Interview mit dem Spiegel: „Jedenfalls nicht, indem man Hass und Gewalt mit Hass und Gewalt begegnet. Ich sehe nicht ein, warum ich mich intellektuell und emotional verstümmeln lassen sollte durch diesen Hass. Ich denke, es braucht Einspruch, Widerspruch, aber einen, der all das mobilisiert, was den Fanatikern der „Reinheit“, den Dogmatikern des Homogenen und angeblich Ursprünglichen abgeht: nämlich die nicht nachlassende Bereitschaft zu differenzieren und das, was Hannah Arendt einmal „lachenden Mut“ nannte. Eine gewisse heitere, mutige Freude daran, auch mal Ambivalenzen auszuhalten, Selbstzweifel zuzulassen, auch ein Zutrauen in die Fähigkeit, gemeinsam zu handeln.“

Und hier ein Auszug aus ihrer Dankesrede bei Verleihung:

Menschenrechte sind kein Nullsummenspiel. Niemand verliert seine Rechte, wenn sie allen zugesichert werden. Menschenrechte sind voraussetzungslos. Sie können und müssen nicht verdient werden. Es gibt keine Bedingungen, die erfüllt sein müssen, damit jemand als Mensch anerkannt und geschützt wird. Zuneigung oder Abneigung, Zustimmung oder Abscheu zu individuellen Lebensentwürfen, sozialen Praktiken oder religiösen Überzeugungen dürfen keine Rolle spielen. Das ist der Kern einer liberalen, offenen, säkularen Gesellschaft.

Verschiedenheit ist kein Grund für Ausgrenzung.

Ähnlichkeit keine Voraussetzung für Grundrechte.

Das ist großartig, denn es bedeutet, dass wir uns nicht mögen müssen. Wir müssen einander nicht einmal verstehen in unseren Vorstellungen vom guten Leben. Wir können einander merkwürdig, sonderbar, altmodisch, neumodisch, spießig oder schrill finden.

Um es für Paulskirchen-Verhältnisse mal etwas salopp zu formulieren: ich bin Borussia Dortmund Fan. Ich habe, nun ja, etwas weniger Verständnis dafür, wie man Schalke Fan sein kann. Und doch käme ich nie auf die Idee, Schalke Fans das Recht auf Versammlungsfreiheit zu nehmen.

„Die Verschiedenheit verkommt zur Ungleichheit,“ hat Tzvetan Todorow einmal geschrieben, „die Gleichheit zur Identität.“ Das ist die soziale Pathologie unserer Zeit: dass sie uns einteilt und aufteilt, in Identität und Differenz sortiert, nach Begriffen und Hautfarben, nach Herkunft und Glauben, nach Sexualität und Körperlichkeiten spaltet, um damit Ausgrenzung und Gewalt zu rechtfertigen.

Deswegen haben die, die vor mir hier standen und wie ich von einer besonderen Perspektive gesprochen haben, doch beides betont: die individuelle Vielfalt und die normative Gleichheit.

Die Freiheit, etwas anders zu glauben, etwas anders auszusehen, etwas anders zu lieben, die Trauer, aus einer bedrohten oder versehrten Gegend oder Gemeinschaft zu stammen, den Schmerz der bitteren Gewalterfahrung eines bestimmten Wirs – und die Sehnsucht, schreibend eben all diese Zugehörigkeiten zu überschreiten, die Codes und Kreise in Frage zu stellen und zu öffnen, die Perspektiven zu vervielfältigen und immer wieder ein universales Wir zu verteidigen. Hier weiterlesen.

Zur Person: Carolin Emcke, geboren 1967 in Mülheim an der Ruhr, lebt als freie Publizistin in Berlin.
Von 1998 bis 2006 arbeitete Carolin Emcke als festangestellte Redakteurin beim Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“. Ab 1999 bereiste sie als Auslandsredakteurin zahlreiche Krisenregionen und berichtete unter anderem aus dem Kosovo, Afghanistan, Pakistan, Irak und dem Gaza-Streifen. Von 2007 bis 2014 arbeitete sie als freie Autorin für DIE ZEIT und veröffentlichte Reportagen aus dem Irak, Haiti, dem Gazastreifen sowie zahlreiche Essays.
Seit Oktober 2014 schreibt sie für die Wochenendausgabe der „Süddeutschen Zeitung“ eine wöchentliche Kolumne. 2010 wurde Carolin Emcke zur Journalistin des Jahres gewählt.

Ihre Aufmerksamkeit gilt dabei besonders jenen Momenten, Situationen und Themen, in denen das Gespräch abzubrechen droht, ja nicht mehr möglich erscheint. Carolin Emcke setzt sich schwierigen Lebensbedingungen aus und beschreibt – vor allem in ihren Essays und ihren Berichten aus Kriegsgebieten – auf sehr persönliche und ungeschützte Weise, wie Gewalt, Hass und Sprachlosigkeit Menschen verändern können. Mit analytischer Empathie appelliert sie an das Vermögen aller Beteiligten, zu Verständigung und Austausch zurückzufinden. Sie beweist, dass Dialog möglich ist, und ihr Werk mahnt, dass wir uns dieser Aufgabe stellen müssen.“

gegendenhassCarolin Emcke studierte ab 1987 Philosophie, Politik und Geschichte in London, Frankfurt am Main und an der Harvard University. Ihre Doktorarbeit „Kollektive Identitäten. Sozialphilosophische Grundlagen“ wurde 2000 im Campus Verlag veröffentlicht.

Aus den Briefen, die sie zwischen 1999 und 2003 als Auslandsredakteurin aus zahlreiche Krisenregionen an ihre Freunde schrieb, entstand 2004 ihr erstes Buch „Von den Kriegen – Briefe an Freunde“ .

2003 bis 2004 ging Carolin Emcke für ein Jahr als Visiting Lecturer an die Yale University und lehrte unter anderem über „Theorien der Gewalt“. Seit 2004 kuratiert und moderiert sie zudem die monatliche Diskussionsreihe „Streitraum“ an der Berliner Schaubühne.

2007 thematisiert sie in ihrem Buch „Stumme Gewalt – Nachdenken über die RAF“ den Terror der Roten Arme Fraktion.

2012 setzt sie sich mit „Wie wir begehren“ mit ihrem Lesbischsein und den Mechanismen von Ausgrenzung und Anders-Sein, von Lügen und Schweigen auseinander – und der Sehnsucht nach einer Sprache für das eigenen Begehren.

Carolin Emcke wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, unter anderem mit dem Lessing-Preis des Freistaats Sachsen (2015), dem Johann-Heinrich-Merck-Preis für literarische Kritik und Essay (2014) und dem Theodor-Wolff-Preis (2008).

Im Oktober 2016 ist mit „Gegen den Hass“ eine essayistische Auseinandersetzung mit dem Rassismus, dem Fanatismus und der Demokratiefeindlichkeit erschienen.

Aktuelle Termine mit ihr hier.

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2 Kommentare zu “Friedenspreis gegen den Hass!
  1. Anne P.-D. sagt:

    Carolin Emcke – Friedenspreis:
    Herzlichen Glückwunsch zu dieser Ehrung! Gute Wünsche und weiterhin guten Erfolg!
    Anne Peters-Dings

  2. Steffen Walter sagt:

    Sehr schön – es hätte keine passendere Preisträgerin geben können. Herzlichen Glückwunsch an Carolin Emcke!

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