Beiträge zu Tamera

Tamera: Besuch in einem Modell für die Zukunft

Foto: Tamera

In Gemeinschaft leben, in Frieden mit sich selbst, anderen und der Natur, das entwickelt eine immer größere Faszination. Und immer mehr Menschen wagen den Schritt von der Theorie in die Praxis. So kam vor über 30 Jahren ein Team um den Psychoanalytiker Dr. Dieter Duhm, der Theologin Sabine Lichtenfels und den Physiker Charly Rainer Ehrenpreis auf die Idee, ein Modell für eine zukünftige Weltgesellschaft konkret zu verwirklichen. So entstand das Friedensforschungsprojekt Tamera im Alentejo in Portugal. Fast 200 Menschen leben und arbeiten heute in dem sich über 134 Hektar erstreckenden hügeligen Gelände. Wir haben das Heilungsbiotop mit seinen drei zentralen Bereichen, der Permakultur und Wasserlandschaft, der Solartechnologie und der Friedensausbildung in diesem Sommer besucht.

Energieautonomie im Solar Village

Es war einiger der wenigen bedeckten Tage in Portugal, der Nebel lag fast wie ein feiner Regen auf die Haut, als wir Tamera erreichten. Der erste Eindruck war beeindruckend. Mitten in der sonst so ausgedörrten Landschaft tat sich plötzlich eine Seenlandschaft auf, die blühendes Leben eröffnet. Und als unser Rundgang begann, kam auch die Sonne raus, die als zentrale Energiequelle im „Solar Village“ genutzt wird. Das Modelldorf für 50 Menschen, das sich autark mit Energie für Wärme, Kochen und Strom versorgt. Der süddeutschen Physikers und Erfinder Jürgen Kleinwächter liefert die Technologie, die keiner großindustrieller Fertigungsprozesse bedarf und deswegen auch in Entwicklungsländern hergestellt und betrieben werden. (Film The Solar Power Village)

Ausbildung im Global Campus

Die Seenlandschaft ist in Zusammenarbeit mit dem österreichischen Agrarreformer Sepp Holzer entstanden. Eine Reihe großer Rückhaltebecken machen zusammen mit der umgebenden Permakultur das umliegende Land wieder feuchter und fruchtbarer. Denn in Portugal fällt genauso viel Regen wie in Deutschland. Nur muss das Wasser des Winters auch für den Sommer erhalten bleiben. Tamera ist auch ein weltweit vernetzter Ausbildungsort. Aus allen Erdteilen kommen junge Friedensarbeiter, um hier zu studieren und sich in den Kenntnissen und Fähigkeiten auszubilden, die für den Aufbau von Friedensdörfern und autonomen Siedlungen gebraucht werden. Der Campus von Tamera ist Teil des „Globalen Campus“. Seit 2006 haben über 150 StudentInnen eine mehrmonatige bis 3-jährige Friedensausbildung durchlaufen.

Natürlicher Lebensraum für Kinder und Pferde

Wir gingen weiter über das Gelände, auf dem uns viele lächelnde und offene Menschen begegneten und kamen zum Platz der Kinder, ein geschützter Lebens- und Lernraum. Schwerpunkte der Schulausbildung in Tamera sind neben den Grundfächern Sprachen, Mathematik und Weltkunde der Kreativbereich Musik, Kunst und Theater und internationale Netzwerkarbeit mit Kindern aus aller Welt, eine Escola de Esperança: „Schule der Hoffnung“. Doch nicht nur Kinder, sondern auch Pferde haben in Tamera eine besondere Heimat gefunden. 11 Pferde leben das ganze Jahr über frei auf großen Koppeln mit einem freizugänglichen großen Offenstall. Zukünftig sollen die Pferde möglichst artgerecht und dennoch im Kontakt mit dem Menschen leben. Deshalb werden eingezäunte Waldstücke als zusätzlichen Lebensraum erschlossen.

Friedenspilgerschaften Grace

Ein spezielles Projekte, das im Laufe der Jahre in Tamera entstanden ist, sind die „Grace“-Pilgerschaften“ von Sabine Lichtenfels. Heute verabschieden sich Freunde vom Partnerprojekt in Kolumbien (siehe Das Wunder von Mulatos). Das Institut für Friedensarbeit hat auch seinen Platz auf dem Gelände gefunden. Besonderheit: Alle Schreibtische stehen im Kreis und jede Stunde ertönt eine Klangschale, um nicht völlig in den virtuellen Welten zu verschwinden. Weiter geht es zum veganen Mittagessen, das auf Solarherden gekocht wird. Viele der Lebensmittel werden inzwischen auf dem Gelände angebaut. Bald ist Olivenernte, die jedes Mal zu einem großen Gemeinschaftserlebnis wird.

Ein magischer Steinkreis

Zum Abschluss durften wir noch den neu anglegten Steinkreis betreten. In der „Naturkathedrale“ finden sich 96 Steine, die verschiedenen archetypischen Aspekte des Lebens und ihre Heilungsmöglichkeit verkörpern. Drei Zugänge eröffnen den Eintritt in das Erlebnis des Orts, dessen geomantische Grundlage das Herzzentrum des Holons Tamera bildet. An jedem der Eingänge markiert ein Hüterstein die Schwelle, die einlädt und zu Klärung und innerer Ausrichtung auffordert, bevor man das Innere des Kreises betritt. Ein kraftvoller Ort, der auch in der sengenden Mittagshitze seinen Zauber entfaltet. Wir beschlossen unseren Besuch mit einem Bad in einem der Teiche. Wir waren ganz erfüllt von den vielfältigen Eindrücken, den herzlichen Begegnungen und Impulsen auf vielen Ebenen. Das einzige Irritierende bleibt, die vielen Geschichten, die rund um das Thema „freie Liebe“ in Tamera rumgeistern. Immer wieder tauchen sie auf und es scheint ein Schattenthema zu sein. Denn weder in den Gesprächen vor Ort noch im Internet oder im Buch wird dazu und den damit verbundenen Missbrauchsthemen eindeutig Stellung bezogen. Schade, denn diese Irritation verhindert meiner Meinung nach eine noch größere Ausstrahlungskraft der vielen guten Ideen und Umsetzungen.

Buchtipp: Leila Dregger „Tamera – Ein Modell für die Zukunft“

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Das Wunder von Mulatos

Mulatos Foto: Martin Winiecki

Von Martin Winiecki. Das Friedensdorf San José de Apartadó ist eine ländliche Gemeinde von über 1.500 Menschen im Norden Kolumbiens. Sie gehören keiner Organisation an, tragen keine Waffen und sind durch eine unerschütterliche Friedensethik miteinander verbunden. Aber sie stehen den Globalisierungsplänen von Regierung und Konzernen im Weg, deshalb geht der Staat brutal gegen sie vor. Sie haben in den letzten 13 Jahren fast 200 Mitglieder verloren, ermordet durch Militär, Paramilitärs und Guerilla. Im Jahr 2005 wurde Luis Eduardo Guerra, einer ihrer Visionäre und Führer, zusammen mit seiner jungen Frau, seinem kleinen Sohn und einer weiteren Familie von Militär und Paramilitär brutal ermordet. Er verkörperte wie kaum ein anderer die Kraft der Gemeinschaft, immer weiter nach vorne zu gehen. Seine Ermordung war ein so heftiger Schlag, dass die Gemeinschaft drohte zu zerbrechen.

Gloria Cuartas, die als ehemalige Bürgermeisterin von Apartadó die Friedensgemeinde von Anfang an begleitet hat, startete einen Notruf für Unterstützung in diesem schweren Moment. Sie hatte Jahre zuvor das Friedensforschungszentrum Tamera und deren Vison von einem realen Lebensmodell für eine friedliche Zukunft kennengelernt. „Ihr habt hier“, sagte sie zu den Menschen Tameras, „unseren eigenen Traum weitergeführt, den wir schon so lange begraben haben.“ Jetzt spricht sie Tamera an und schlägt vor, zwei Vertreter von San José einzuladen. Und wirklich, Eduar und Padre finden in Tamera das ursprüngliche Seelenbild von Gemeinschaft wieder. Es ist der Anfang von gegenseitigen Besuchen, einer sich stetig vertiefenden Kooperation und immer tieferen Freundschaft zwischen beiden Gemeinschaften. Sabine Lichtenfels, Mitgründerin von Tamera, lädt seit 2005 mehrfach zu Friedenspilgerschaften „im Namen von Grace“ ein. Im Oktober 2008 führt sie die erste Caminata por la Vida, eine Pilgerschaft im Namen von Grace, durch San José de Apartadó, um das Licht der internationalen Aufmerksamkeit auf die Friedensgemeinde zu richten und Anteil zu nehmen.

Auch davon getragen zieht im Dezember 2009 eine Kerngruppe bergauf zu der Todesstätte von Luis Eduardo Guerra. Sie wollen dort einen Ort schaffen für planetarische Friedensarbeit. Trotz schwierigsten Bedingungen steht nach zwei Monaten Bauzeit ein fertiges Zentrum. Fernab von Straßen, ohne Geld, in ständiger Bedrohung und umzingelt von bewaffneten Gruppen haben die Männer, Frauen, Jugendliche der Friedensgemeinde viele Stunden von ihrem Wohnort entfernt drei Hektar Wald gerodet. Versammlungsplätze und Unterkünfte für 120 Menschen, Schulhaus und Küche errichtet. Tag und Nacht haben sie gearbeitet und Besuchern erscheint die Fertigstellung wie ein Wunder, es ist das Wunder von Mulatos. Am Eingang verkündet ein Schild „Willkommen im Friedensdorf Luis Eduardo Guerra“. Der Ort ist bereit für den Empfang von ca. 100 Pilgern, die hier oben im Februar 2010 am „Globalen Campus“ teilnehmen, eine internationale Universität, die von dem Friedenszentrum Tamera in Portugal gegründet wurde für die Ausbildung von Friedensarbeitern in aller Welt.

Was gab den Bewohnern von San José die Kraft für dieses Wunder von Mulatos, trotz der erlittenen Grausamkeiten durchzuhalten und in so kurzer Zeit ihr neues Zentrum zu errichten? Es war die Entscheidung, unter allen Umständen ein Zeichen für den Frieden zu setzen und für alle bedrohten Völker ein Modell zu schaffen für die Möglichkeit des Überlebens.

Martin Winiecki hat das Wunder von Mulatos mit eigenen Augen gesehen und erlebt.
Sein ganzer Bericht ist auf www.verlag-meiga.org nachzulesen.

Hintergrund:
San José de Apartadó liegt im Norden Kolumbiens, einem vielfach von Gewalt heimgesuchten Gebiet des Landes. Reich an Bodenschätzen und an landwirtschaftlicher Vielfalt, liegt sie strategisch wertvoll nahe an der Grenze zu Panama: eine Verbindungsregion zwischen Zentral- und Südamerika. Nordamerikanische Konzerne planen hier wirtschaftliche Großprojekte, um die Naturressourcen abzubauen, Agrarprodukte industriell anzubauen und zu verschiffen. Die in unmittelbarer Nähe geplanten Trockenhäfen („puertos secos“) gehören zu einem geostrategisch bedeutenden Verkehrskonzept: Eine Ergänzung zum Panamakanal, der Kolumbien den ersehnten wirtschaftlichen Aufschwung bringen soll. Seit Jahrzehnten geschehen unzählige Vertreibungen und Massaker an der Landbevölkerung, die den Plänen von Konzernen und Regierung mit ihrem bloßen Dasein im Wege stehen und vom Staat nicht geschützt werden. Die Geschichte der Region zeigt die erbarmungslose Gewalt, mit der die Globalisierung der Märkte heute in weiten Teilen der Erde durchgesetzt wird.

Vor diesem Hintergrund kamen einige Leiter der Gemeinde San José de Apartadó vor mehr als 13 Jahren zusammen, um darüber nachzudenken, was man tun könnte, um sich gegen die Vertreibung zu schützen. Gemeinsam mit Padre Javier Giraldo, der seit langer Zeit als kirchlicher Menschenrechtsaktivist viele verfolgte Aktivisten und Gemeinden in Kolumbien unterstützt, entstand der Gedanke, dass sie – wenn der Staat sie nicht beschützt und sogar an ihrer Bekämpfung teil nimmt – dann ganz austreten müssten aus diesem System. Sie entschlossen sich zur Gründung einer Friedensgemeinde, eines neutralen Dorfes, in dem die Bewohner gemeinsam gewaltfreien Widerstand leisten gegen Krieg aller Parteien.

Nach einem Höhepunkt der paramilitärischen Gewalt, im März 1997, kamen 1350 Campesinos der verschiedenen Weiler von San José de Apartadó zusammen und unterzeichneten die Gründungserklärung der Friedensgemeinde. Wer ihr beitritt, verpflichtet sich, mit keiner der Konfliktparteien zu kooperieren, keine Waffen zu besitzen, keine Drogen und keinen Alkohol zu konsumieren, sowie sich an den Gemeinschaftsarbeiten des Dorfes zu beteiligen. Für ihre Arbeit wurde die Friedensgemeinde San José de Apartadó 2007 mit dem Aachener Friedenspreis ausgezeichnet und im selben Jahr für den Friedensnobelpreis nominiert. Ihr Schutz besteht in der internationalen Aufmerksamkeit. In Spanien und Italien entstanden Solidaritätsnetzwerke. Menschenrechtsorganisationen wie „Amnesty International“ haben sich eingeschaltet, „Peace Brigades International“ und „Fellowship of Reconciliation“ sind seit vielen Jahren dauerhaft präsent und schützen die Menschen so gut sie können vor Angriffen.

Hintergrund Tamera:
Das Friedensforschungszentrum Tamera beruht auf einer radikalen, über 30-jährigen Forschungsarbeit für den Frieden. Dieter Duhm, einer der geistigen Anführer der 68er Studentenrevolution in Deutschland, war aus seinem bürgerlichen Leben ausgetreten, auch aus dem Marxismus, weil er an keiner Struktur mehr teilnehmen konnte, die auf Gewalt und Ausbeutung anderer beruht. 1978 kam er mit Sabine Lichtenfels und anderen zusammen, um ein neuartiges Projekt für einen anderen Gedanken der Revolution zu gründen. Sie wussten, dass Widerstand und politische Appelle allein den Krieg nicht beenden würden, sondern dass neue reale Lebenssysteme nötig sind. Sie wollten ein Friedensmodell aufbauen, das an keiner Stelle mehr auf Gewalt und Heuchelei beruht.

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Leben in Gemeinschaft

In den letzten Jahren wird das Bedürfnis von vielen Menschen nach einem Leben in Gemeinschaft immer größer. Die klassische Kleinfamilie erweist sich als Modell wenig stabil und erscheint kaum mehr zukunftsfähig. Doch zurück zur alten, engen Dorfgemeinschaft soll es auch nicht gehen. Deswegen haben sich in ganz Europa alternative Gemeinschaften gebildet, die nach neuen Formen des Zusammenlebens suchen. Der österreichische Dokumentarfilmer Stefan Wolf hat ein Jahr lang zehn Ökodörfer und Gemeinschaften aus acht europäischen Ländern besucht. Sein zweistündiger Film „Ein neues Wir“ gewährt einen ausführlichen Einblick in deren Leben. Hier der Trailer.

Der Zuschauer erhält direkt von den Bewohnern der einzelnen Projekte vielfältige Informationen über die Organisationsform, die Entscheidungswege, die Finanzierung, die Ernährungsweise, die Versorgung mit Lebensmitteln und Energie, dem Umgang mit Spiritualität und dem Lebensraum für Kinder. Die Bilder und Kommentare vermitteln dazu das jeweilige Lebensgefühl. Fazit: Die Gemeinschaften sind in Ausrichtung und Umsetzung so bunt und unterschiedlich wie das Leben. Doch die Mitglieder scheinen in der Mehrzahl ihr Glück in dieser Lebensform zu finden. Und wie sagt Thomas Meier vom Schloss Tondorf: „Ich kann nur jeden ermuntern, es zu versuchen…Tu diesen Sprung, sonst wirst du am Ende nicht wissen, wie es gewesen wäre. Das wäre Schade.“

Die große Vision macht Charly Rainer Ehrenpreis von Tamera auf: „Die Vision ist letztendlich, dass die ganze Menschheit es wieder findet in Gemeinschaft zu leben. Ich glaube der Mensch ist ein Gemeinschaftswesen, der Mensch ist kein Individuum, in dem Sinne dass man alles alleine können muss… Vor vielen tausend Jahren war das auch so. Da haben die Menschen in Gemeinschaft zusammengelebt. Das Patriachat hat diese Idee zerstört, das in den letzten 5 bis 10tausen Jahren zerstört, hat die Menschen regierbar wurde. So gibt es heute eine Machtelite, die einen Großteil der Menschen regiert. Wenn aber der Großteil der Menschheit es wieder lernt in Gemeinschaften, in tribes zusammen zu leben, hollen sie viel viel mehr von ihrer eigenen Kraft zurück. Irgendwann brauchen wir keine übergeordneten Regierungen mehr, dann brauchen wir etwas ganz anderes.“

Übersicht, die 10 Gemeinschaften aus 8 Ländern:
Sieben Linden Deutschland
Schloss Tonndorf Deutschland
Krishna Valley Ungarn
Damanhur Italien
Schloss Glarisegg Schweiz
La Borie Noble Frankreich
Valle de Sensaciones Spanien
Matavenero Spanien
Tamera Portugal
Finca Tierra Kanarische Inseln

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