Radio Shangri-La

Ein Radiosender im glücklichen Königreich Buthan. Und eine Journalistin aus Los Angeles, die sich beim Aufbau des Senders Kuzoo FM  neu entdeckt. Das Buch Radio Shangri-La von Lisa Napoli erzählt im Stile von Liz Gilberts Eat, Pray, Love von dieser inneren und äußeren Reise. Am Ende steht ihr Vorsatz: „Der Welt irgendwas zu geben, als immer nur aus der Sicht eines Journalisten oder Nachrichtensenders ihren Untergang zu beschreiben.“ Sie konnte nicht einfach in eine Welt zurückkehren in der sich alles nur um Freizeit, Arbeit und Konsum dreht und arbeitet inzwischen immer wieder in Buthan. Mit freundlicher Genehmigung des Kamphausen Verlages veröffentlichen wir Teile des Vorwortes.

„Der steile, sich in Serpentinen windende Pfad zum heiligsten Kloster im Königreich Bhutan ist – besonders da, wo man den Gipfel schon fast greifen kann – heimtückisch. Ein falscher Schritt und man stürzt in den gähnenden Abgrund. Zu gewissen Zeiten während der vergangenen paar Jahre hätte ich mir vielleicht genau das gewünscht. Heute ist ein eiskalter Samstag mitten im Winter, düster und wolkenverhangen. Dichte graue, schneegeschwängerte Wolken halten die Berge in ihrer Umarmung.

Ich bin in Begleitung einiger Mittzwanziger, Mitarbeiter eines neuen Radiosenders in Bhutans Hauptstadt, bei dem ich als ehrenamtliche Helferin arbeite. Kuzoo FM 90: Die Stimme der Jugend. Pema hat Jeans und ein Sweatshirt an, dazu flache weiße Schuhe von der Art, wie man sie zu einem sittsamen Kleid auf einer Teeparty trägt. Ngawang trägt oben herum das Gleiche, an den Füßen hat sie allerdings Turnschuhe. Jede der Frauen hat einen Ranzen bei sich, in dem sich ihre Kira befindet – die offiziell vorgeschriebene Nationalkleidung für jede Bhutanerin, die den Gipfel erreicht. Kesang hat seinen Gho, die männliche Variante, bereits angezogen. Auf dem Rücken stemmt er einen Rucksack mit zehn Pfund Öl, um die Dutzenden Butterlampen zu füllen, die als Opfer an die Götter entzündet werden. Ich selbst bin zwanzig Jahre älter als der Rest und eher praktisch veranlagt: Ich trage meine Wanderschuhe mit den dicken Sohlen, einen unansehnlichen langen, schwarzen Daunenmantel mit Kapuze und darunter sechs Lagen Kleidung.
Soviel also zu der Ausdauer, die ich mir durch meine tägliche Schwimmübungen zugelegt zu haben glaubte; ich schnaufe und keuche gegen die Höhe und den anstrengenden Aufstieg an. Meine neu gewonnenen Freunde verlangsamen ihr Tempo, damit ich nicht verloren gehe.

Die Bhutaner sind in vielerlei Hinsicht ein abgehärtetes Völkchen – sie leben von dem, was die Natur ihnen bietet und sind an das harte Leben als Bauern gewöhnt –, doch wenn sie den Weg nach Taktshang auf sich nehmen, jenes Kloster, das in luftiger Höhe von dreitausend Metern auf nackten Fels gebaut ist, legen sie sich sogar noch ein bisschen mehr ins Zeug. Wie groß ihre Ergebenheit ist, zeigt sich spätestens in dem Augenblick, als plötzlich aus dem Nichts ein strahlender zehnjähriger Junge auftaucht und an uns vorübereilt, splitternackt und völlig unbeeindruckt von den eisigen Temperaturen und dem steilen Anstieg. Hinter ihm ein feierliches Gefolge erwachsener Männer. Nicht einer von ihnen macht auch nur den geringsten Fehltritt. Später erfahren wir, dass es sich bei diesem glückseligen Jugendlichen um einen reinkarnierten Lama auf Pilgerreise gehandelt hat, die in den entlegenen östlichen Winkeln dieses winzig kleinen Landes begann.

Eine Pilgerfahrt nach Taktshang, der absolute Höhepunkt einer Reise nach Bhutan, ist für die Bhutaner dagegen völlig alltäglich. Schon als Babys schleppt man sie an diesen Ort. Schmächtige, gebrechliche Alte bahnen sich sicheren Schrittes ihren Weg, kennen jede Biegung, jede Kurve, bewältigen geschickt den steilen Aufstieg – und zwar in der Hälfte der Zeit, die ein Ausländer braucht, der gerade einmal halb so alt ist. Es gibt Geschichten von Leuten mit körperlichen Behinderungen, die sich zwölf Stunden lang bis zum Gipfel hoch kämpfen, wo sie schließlich von einer Reihe von Tempeln in Empfang genommen werden. Das Allerheiligste des Klosters ist für die Öffentlichkeit nur einmal im Jahr zugänglich.

Es heißt, dass nur eine einzige Minute des Meditierens in Taktshang weitaus größeren Segen schenkt als monatelanges Meditieren an jedem anderen heiligen Ort. Besucht man fas Kloster an einem Tag, der im Kalender als besonders glücksverheißend gilt, wird dein Lohn sogar noch größer. Ngawang berichtet uns, dass das erste Mal, dass sie ihrer Erinnerung nach hierher kam, zwanzig Jahre zurückliegt. Damals war sie vier Jahre alt, Ihre Mutter war gestorben und die Mönche hatten sie zum Beten hierher geschickt.
In Taktshang wartet auf jeden Besucher der Lohn von Reinigung und Erneuerung. Im achten Jahrhundert gelangte ein Heiliger namens Guru Rinpoche auf einer Tigerin reitend in dieses Tal. Er zog sich drei Monate lang in eine Höhle zurück und verscheuchte alle bösen Geister mit der mächtigsten Waffe der Welt – seinem Geist. Damit konnte er die Bhutaner überzeugen, dem Buddhismus als strahlendem Licht zu folgen. Mehrere hundert Jahre später wurde zum Gedenken an diese Bekehrung an diesem schwer zugänglichen Ort eine Reihe von Gebäuden errichtet, die die langjährige Verehrung bezeugen, die das bhutanische Volk jenem Mann entgegenbringt, den sie den Zweiten Buddha nennen.

Als wir immer höher und höher steigen und das von goldenem Licht gekrönte Taktshang endlich zu sehen ist, spüre ich, wie Guru Rinpoches Kraft meinen eigenen schwächelnden Geist stärkt und mein Herz besänftigt.

Dies ist die Geschichte meiner Midlife-Crisis – wie ich mit ihr rang und kämpfte und wie ich sie schließlich transzendierte – Dank einer Begegnung, die mich in ein mysteriöses, selten besuchtes Königreich in Asien führte. Als meine Lebensjahre sich straff auf die Vierzig zubewegten und ich mit rapider Geschwindigkeit auf dieses Unheil verheißende Jahrzehnt zusteuerte, begann ich irgendwann, jeden einzelnen Schritt meines Lebens überkritisch unter die Lupe zu nehmen. Immer bereute ich etwas. Ein nahezu ununterbrochener Chor aus „Was wäre wenn“ und „Wenn doch nur“ wurde zur Melodie meines Lebens:

Warum war es mir nicht gelungen, mit dem Mann, den ich liebte, eine Familie zu gründen?
Warum nur hatte ich meine Jugend so planlos vergeudet?
Warum steckte ich in einem Beruf fest, der mich so unfassbar wütend machte?
Was sollte ich mit der zweiten Hälfte meines Lebens anstellen, damit sie mehr Bedeutung hatte als die erste?
Wie konnte ich in Würde altern?

Lisa Napoli

Als ich auf dem Trampelpfad nach Taktshang am anderen Ende der Welt die kalte, klare Luft tief einsog, begannen der Schmerz und der Tumult dieser Fragen sich endlich aufzulösen. Er wich einem Gefühl der Akzeptanz und des Friedens. Ich fühlte mich nicht mehr gefangen in einer Tretmühle der Leere; inzwischen las sich meine Lebensgeschichte satt, aufregend und wundersam – und die Zukunft war voller unbegrenzter Möglichkeiten. Dabei hatten wir den wohl heiligsten Platz auf dem Gipfel des Berges noch gar nicht erreicht.“

Lisa Napoli kommt im Februar 2013 nach Deutschland:

24.02. Rautenstrauch-Joest-Museum – Kulturen der Welt, Köln

27.02. Dharma Buchladen, Berlin

Sharing is Caring 🧡
Posted in Impulse, Medientipp Verwendete Schlagwörter: , ,

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

*

Dein Kommentar wird nach der Prüfung freigeschaltet. Bitte beachte, Einschätzungen und Meinungen in Ich-Form zu formulieren und die AutorInnen zu wertschätzen. Nicht identifizierbare Namen (Nicknames), Kommentare ohne erkennbaren Bezug auf den Inhalt des Artikels und Links zu nicht eindeutig verifizierbaren Seiten bzw. zur Eigenwerbung werden grundsätzlich nicht freigeschaltet.