Brief an Adam, Amokläufer aus Newton

phap Lu'u

Foto: Pháp Lu’u

Nach den Amoklauf in Newton im Dezember 2012 schrieb ein Mönch aus der Tradition Thich Nhat Hanh´s, der ursprünglich aus Newtown stammt, einen Brief an Adam. Dieser hatte seine Mutter und über zwanzig Kinder und deren BetreuerInnen in einem Kindergarten und am Ende sich selbst erschossen hat. Bruder Pháp Lu’u vertritt in dem Brief eine Sichtweise, die ungewöhnlich, inspirierend und sehr wertvoll ist.

Lieber Adam,

lass mich damit beginnen, zu sagen, dass ich Dir wünsche, Frieden zu finden. Es wäre leicht, Dich ein Monster zu nennen und Dich auf ewig zu verdammen, aber ich denke nicht, dass das irgendjemandem von uns helfen würde. Mit dem, was Du getan hast, wird mir klar, dass Frieden nicht leicht zu finden sein wird. In einem Anfall von Wut, Wahn und Angst – ja, ich denke, zuoberst liegt Angst – hast Du gedacht, morden sei ein Weg da heraus. Es war ganz klar eine machtvolle Emotion, die dich vom toten Körper Deiner Mutter losfahren ließ, um die Kinder und Mitarbeiter der Sandy Hook Schule zu massakrieren, und dann das Gewehr gegen Dich selbst zu richten um Dein Leben zu beenden. Du hast entschieden, dass das Spiel vorbei war.

Aber das Spiel ist nicht vorbei, obwohl Du tot bist. Du hast keinen Weg aus Deiner Wut und Einsamkeit herausgefunden. Du lebst in anderen Formen weiter, in den zerrissenen Familien und deren Verzweiflung, in der Verletzung ihres Vertrauens, in der klaffenden Wunde in einer Gemeinschaft und in den zahllosen Artikeln und Nachrichten, die sich über das Land und die Welt ergießen- ja, Du lebst sogar in mir weiter. Ich war auch ein Junge, der in Newton aufgewachsen ist. Nun bin ich ein zenbuddhistischer Mönch. Ich sehe Dich jetzt ganz klar in mir, fortgesetzt durch das Vermächtnis Deiner Handlungen, und ich sehe, dass Du im Tod nicht freigeworden bist.

Weißt du, ich war ein Soccer-Spieler auf dem Schulsportplatz außerhalb des Raumes, in dem Du starbst, als ich in dem Alter der Kinder war, die Du ermordet hast. Unser Team waren die Adler, und wir gewannen in unserer Liga in dem Jahr. Meine Mutter hat noch immer die Box mit der Trophäe. Um ehrlich zu sein, ich war und bin kein sehr guter Soccerspieler. Ich habe Gewinnen erlebt, aber ich habe auch Verlieren erlebt und bin als letzter für das Team aufgestellt worden. Ich denke Du hast das auch kennengelernt, den Schmerz von Zurückweisung, Isolation und Einsamkeit. Einsamkeit zu stark, um sie zu ertragen.

Du bist nicht alleine damit, so etwas zu fühlen. Wenn Einsamkeit aufkommt ist es so leicht, Zuflucht zu nehmen in einer virtuellen Welt von Computern und Filmen, aber hilft das wirklich, vermindert es die Isolation? Haben wir in unserem Versuch, mehr verbunden zu sein nicht unser wahres Verbundensein verloren?
Ich möchte wissen, was Du mit Deiner Einsamkeit gemacht hast. Hast Du Dich jemals, wie ich, aufgemacht durch den Wald zu gehen, der unsere Stadt umgibt? Ich kenne sehr gut den Abhang, der diese Schule vom Bach trennt, der dort, umsäumt von Strand und weißen Pinien, fließt. Ich sehe die Landschaft vor mir in meinem Geist. Ich erinnere mich gut an den Nervenkitzel, alleine einen Pfad zu finden, der sich hinabwindet zum Treadwell Park! Zu dieser Zeit fühlte er sich an wie ein magischer Pfad, eines von vielen Geheimnissen, die ich in diesen Wäldern entdeckte, einige sind noch immer verborgen. Hast Du jemals Dein Gesicht in die Furchen von Eichenrinde gelehnt und dabei sein hartes Kernholz und seine ruhige Schwingung gefühlt? Hast Du jemals im Bachlauf gespielt und kleine Becken mit Steinen gebaut, und dich wie ein König gefühlt? Hast Du jemals so wie ich oftmals die Heilung, Verbundenheit und den Frieden erfahren, die in solchen Momenten aufkommen?

Oder kannte Deine Einsamkeit nur Bildschirme mit tanzenden Lichtfiguren, die Deinem Willen gehorchen? Wie viele falsche Leben hast Du gelebt, wie viele Schüsse abgefeuert, wie viele Bomben hast Du explodieren lassen und wie viele Leben verloren in Viedeospielen und Filmen? Damit, dass Du Dich im Alter von 20 selbst getötet hast, hast Du niemals Dir selbst die Möglichkeit gegeben, aufzuwachsen und ein Gefühl zu erfahren, wie die Wunder des Lebens Dich glücklich machen können. Ich weiß, in Deinem Alter hatte ich auch noch nicht gesehen, wie das gehen kann.

Ich bin nun 37 Jahre alt, ungefähr in dem Alter, als mein Lehrer, der Buddha, realisiert hat, dass es einen Weg aus dem Leiden herausgibt. Ich bin nicht erleuchtet. Heute Morgen, als ich die Nachrichten hörte und als ich die Worte meiner schockierten Klassenkameraden las, stieg innerhalb von Minuten eine Welle von Kummer auf, und ich weinte. Dann ging ich ein Stückchen weiter in den Wald, der unser Kloster umgibt und in der nassen Winterkälte von Frankreich neben dem Lorbeer weinte ich wieder. Ich weinte für die Kinder, für die Lehrer, für ihre Familien. Aber ich weinte auch für Dich, Adam, weil ich denke, dass ich Dich kenne, obgleich ich weiß, wir haben uns niemals getroffen. Ich denke, dass ich die Landschaft
Deines Geistes kenne, weil sie auch die Landschaft meines Geistes ist.

Ich denke nicht, dass Du diese Kinder gehasst hast, oder dass Du gar Deine Mutter gehasst hättest. Ich habe es versäumt, da zu sitzen und Dir ohne Verurteilung oder Reaktion zuzuhören. Wie viele meines Alters verließ ich Newtown im Alter von 17, übersprudelnd vor Vertrauen und voller Ziele, mit den Gratulationen von Freunden und der Zustimmung meiner Eltern. Ich war einer von den vielen jungen Leuten, die gingen, und im Gehen verließen wir andere, einschließlich Dir, der gerade geboren war. Ich diesem Sinne bin ich Teil der Kultur, die Dich im Stich gelassen hat. Ich wusste damals nicht, was eine Gemeinschaft ist oder dass ich ein Teil davon war, solange ich nicht eine hatte und so verzweifelt benötigte. Ich habe versäumt, einer von denen zu sein, die hätten da gewesen sein können, um da zu sitzen und Dir zuzuhören. Ich war nicht da, um Dir zu helfen, zu atmen und dieser starken Emotionen in Dir gewahr zu werden und Dir zu helfen, zu sehen, dass Du noch mehr bist, als einfach ein Gefühl.

Aber ich bin auch sicher, dass andere in der Gemeinschaft für Dich sorgten und Dich liebten. Wusstest Du das? In der 8. Klasse erlebte ich Terror von einem Klassenkameraden und seiner Wut. Es war das erste Mal, dass ich Aggression kennen lernte. Kein Computerbildschirm oder Fernsehen ermöglichten einen Weg da heraus, aber meine Vorstellungen und Bücher. Ich träumte mich selbst als einen großen Zauberer, der Feuerbälle über den Schulflur blies, so dass er mich fürchtete und respektierte. Hast Du auch so geträumt?
Der Weg heraus aus dem Opfersein ist nicht, ein Zerstörer zu werden. Egal, wie groß Deine Einsamkeit, wie stark Deine Verzweiflung. Du hast, wie jeder von uns, noch die Fähigkeit wach zu sein, frei zu sein, glücklich zu sein, ohne der Grund für Kummer von irgendjemandem zu sein. Du wusstest das nicht oder Du konntest das nicht sehen, und so wähltest Du es zu zerstören. Wir waren nicht geschickt genug, Dir zu helfen, einen Weg da heraus zu finden.

Mit dieser schrecklichen Handlung lässt Du es uns alle wissen. Nun höre ich zu, wir alle hören dem Weinen aus der Hölle Deines Missverstehens zu. Du bist nicht alleine und Du bist nicht gegangen. Und Du wirst nicht in Frieden sein können, bis wir alle unser Beschäftigtsein, unsere Suche nach Macht, Geld oder Sex, unsere Leben in Angst und Sorgen beenden und wirklich Dir, Adam, zuhören, um ein Freund zu sein, ein Bruder für Dich. Mit solch einem guten Freund hätte Dich möglicherweise Deine Einsamkeit nicht überwältigt.

Aber wir hätten auch Deine Hilfe gebraucht, Adam. Du hättest uns wissen lassen müssen, dass Du leidest, und das zu tun ist nicht leicht. Es bedeutet, Stolz zu überwinden, und das benötigt Mut und Bescheidenheit. Weil Du unfähig warst, das zu tun, hast Du uns ein sehr schweres Erbe für die kommenden Generationen hinterlassen. Wenn wir nicht lernen können, wie wir uns mit Dir verbinden und die Einsamkeit, die Wut und Verzweiflung, die Du fühltest, verstehen – die auch tief und manchmal verborgen in jedem von uns liegt – nicht durch Verbindung auf Facebook oder Twitter oder Email oder Telefon, sondern durch wirkliches Sitzen mit Dir und unsere Herzen für dich zu öffnen, wird sich Deine Wut wieder in unvorhersehbaren Formen manifestieren.

Nun wissen wir, dass Du da bist. Du bist nicht jemand Außergewöhnliches oder Abnormales. Lass Deine Handlung uns dazu bewegen, einen Pfad zu finden heraus aus der Einsamkeit in jedem von uns. Ich habe gelernt, das Gewahrsein meines Atems zu nutzen, um diese überwältigenden Gefühle zu erkennen und umzuwandeln, aber ich hoffe, dass kein Mann, Frau oder Kind um die Hälfte der Welt reisen muss, um ein Mönch zu werden um zu lernen, wie das geht. Als eine Gemeinschaft ist es nötig, dass wir uns zusammen setzen und lernen, wie wir das Leben wertschätzen, nicht mit Waffenkontrollen und Sicherheitsmaßnahmen, sondern damit, für einander ganz anwesend zu sein, wahrhaftig da zu sein für einander. Für mich ist dies der Weg, Harmonie und Gemeinschaft wiederherzustellen.

Douglas Bachmann Pháp Lu’u, der in der Lake Road 22 in Newtown, Ct, aufwuchs, ist ein buddhistischer Mönch und Student des vietnamesischen Zenmeisters Thich Nhat Hanh. Als Teil einer internationalen Gemeinschaft lehrt er angewandte Ethik und die Kunst achtsamen Lebens für Studenten und Schullehrer. Er lebt im Plum Village Kloster in Thenac, Frankreich. (aus dem Englischen übersetzt von Claudia Iseler)

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5 Kommentare zu “Brief an Adam, Amokläufer aus Newton
  1. Ulrike sagt:

    Ein bewegender Text, den ich an einer Stelle allerdings nicht nachvollziehen kann: die Einsamkeit, die Wut und die Verzweiflung vor allem so vieler Schüler ist so unübersehbar (unüberspürbar 😉 ) … was sollen sie denn NOCH tun, damit das wahrgenommen wird?

    Ulrike

  2. B Bodewig sagt:

    Shr bewegend, wennjeder Mensch sich nur um einen oder zwei andere kümmert, ist es schon getan, mit der Verbindung

  3. Boris sagt:

    Erstmal muss man doch anerkennen, das es Leute gibt, die aus vollen Zügen hassen, was die einzige Triebfeder mancher ihrer Handlungen ist, auch wenn sie auch zu ganz anderen Emotionen fähig sind.  Ja der Kerl hat seine Mutter gehasst und er wollte das vernichten, was ihr wichtig war! Ist dass denn so schwer zu verstehen? Er hat seinen Standpunkt doch ziemlich eindeutig dargelegt. Das er die Kinder nicht alle so gut gekannt haben kann, dass er sie gehasst hätte, is ja wohl klar, das waren Grundschüler. Er hat das viertge Gebot nicht geachtet und das lag NICHT an Videospielen sondern am kaputten Verhältnis zu seiner Mutter. Und was soll das denn heißen, DU bist nichts „Außergewöhnliches oder Abnormales“?? unfassbar, lass dem doch ne Chance aus der Nummer rauszukommen! Der wollte nicht so sein wie die anderen.

    Und was soll denn das „nicht mit Waffenkontrollen?“ Is das Republikanerpropaganda?

    Und fickt euch ihr „Liberalen“ und Anarchisten, die Menschen sind zu schlecht um ohne Kontrolle leben zu können. Waffen gehören verboten, persönliche Freiheit in Ehren. Doch in der Anarchie würden alle Leute sich gegenseitig ficken und töten oder andersrum. Die meisten würden nur eigennützig entscheiden und diejenigen, die das nicht tun, hätten den Nachteil! So einfach is das! Aus dem Grund gibts n Grundgesetz, die Erklärung der Menschenrechte, Quotenregelungen, internationale Verträge uswusw. 

  4. Jochen Lehner sagt:

    „…ich sehe, dass Du im Tod nicht freigeworden bist.“

    Also, ich glaube das nicht, ich sehe Adam frei und in Frieden. Es ist sicher gut, auf schreckliche Vorfälle hin zu weinen, aber so ungeheuer gewichtig und folgenreich ist das für mein Gefühl alles nicht. Es sind Schritte. Schritte in eine Welt, in der sich niemand mehr so herzzerreißend ohnmächtig fühlen muss, dass er nur noch blind um sich schlagen kann. Diese Welt wird kommen, und je eher wir Adam und diesen Copiloten und all die anderen Vorreiter der neuen Erde in ihren Frieden entlassen, desto schneller.

  5. Heike sagt:

    Wunderbar, danke, schenkt mir Trost in Bezug auf das Flugzeugunglück und gibt mir Richtung für eigene Themen. Mitfühlend und liebend- für mich nachahmenswert.

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