Wilhelm Reich: Einer, der vor dem Strom schwimmt

plakati_zoomVon Hildegard Mathies. Wilhelm Reich (1897-1957) war ein visionärer Wissenschaftler, der sein Leben der Suche nach der Lebensenergie verschrieben hat. „Orgon“ hat er sie genannt und darauf ein System aus Therapien und selbst entwickelten Apparten aufgebaut. Weil der Freigeist abseits der herrschenden Systeme agierte und sich schon früh mit den Nazis auseinandersetzte war sein Leben auch geprägt von Flucht, Verfolgung und Verfemung. Am Ende stand die Anklage durch die fast allmächtige US-Behörde Food and Drug Administration, FDA. Und der Tod im Gefängnis unter dubiosen Umständen. Der österreichische Regisseur Antonin Svoboda hat 2009 bereits den Dokumentarfilm „Wer hat Angst vor Wilhelm Reich?“ veröffentlicht und präsentiert nun seinen Spielfilm „Der Fall Wilhelm Reich“ mit Klaus Maria Brandauer in der Hautrolle. Im Interview spricht das Gespann über sein Verhältnis zu Wilhelm Reich und das, was sich mit dem Film bewegen lässt.

Oft heißt es, damals sei die Zeit nicht reif gewesen für die Ideen Wilhelm Reichs. War es so oder ging es um Macht? Darum, zu verhindern, dass sich seine Ideen verbreiten und etwas verändern? Und: Ist die Zeit heute reif?

Antonin Svoboda: Es ist immer schwer zu sagen, wann eine Zeit reif ist. Ich glaube,Max Planck hat einmal gesagt: „Um neue Systeme zu etablieren, müssen die alten sterben.“ Seine physikalische Betrachtung der Welt kombiniert sich noch mit dem unberechenbaren Multiplikator Mensch. Das, was wir versucht haben, im Film spürbar zu machen, ist jedoch immer aktuell: eine Sehnsucht zum Menschen hin. Wenn man sich die heutigen Bedingungen anschaut, das Mehr an Industrialisierung, an Kapitalisierung… Die Menschen sind so fokussiert und konzentriert auf ihr Ich und den Konsum oder das Objekt der Begierde. Aber das Thema „Vom Ich zum Du“ ist trotzdem immer aktuell.
Klaus Maria Brandauer: Was Max Planck sagt, ist natürlich erschreckend – und möglicherweise zunächst einmal richtig. Wie soll sich denn sonst etwas verändern? Aber eigentlich gibt es das in der Geschichte so gut wie kaum. Weil es immer wieder wie in einem Krebsgang vorwärts- und zurückgeht. Manchmal fünf Schritte zurück und nur zwei oder einen vor. Das Nahtlose von einem System in ein anderes hat noch nie funktioniert. Natürlich wäre es wünschenswert, dass es ab JETZT funktioniert. Aber es ist schon viel getan, wenn man sich bemüht. Von heute auf morgen etwas völlig verändern – das können nur totalitäre Leute, die in Kauf nehmen, dass das System dann nichts mit Demokratie zu tun hat.

Ist der Film ein Beitrag zum Wandel in der Welt?

Svoboda: Ich glaube, dem Menschen Reich und der Suche, auf die er sich begeben hat, ist die Transformation immanent. Er war ein Mensch, der sich um Gesundung und Freiheit des Individuums bemüht hat. Und das in seiner Zeit, in der alles totalitär gesteuert war. Ob im Nazi-Regime oder letztlich in Amerika, in einer Art von oberflächlicher Demokratie, die extremst manipulativ gearbeitet hat. Dort hat er sich angelegt mit der Pharma-Industrie, mit der Regierung. Es ging um Fragen wie: Was ist Heilung? Wie geht man Krebs an? Wie versteht man Krebs? Krebs überhaupt zu verstehen, war ja sein großes Anliegen. Doch bis heute wird in der Schulmedizin nur sehr oberflächlich behandelt, aber nicht nach der Ursache gefragt. Und damit wird sehr viel Geschäft gemacht. Sobald ein Patent eines Medikaments ausläuft, kommt ein anderer Name drauf und es wird weiter vermarktet. Da geht es um richtig viel Geld, um einen ganzen Industriezweig und letztlich vielleicht um politische Interessen. (An Brandauer:) Du sagst immer, er war ein Sozialarbeiter. Aber mit einem extrem politischen Verständnis für größere Zusammenhänge. Sein Buch „Die Massenpsychologie des Faschismus“, das 1933 erschien, war eine Vorwegnahme dessen, was nachher passiert ist. Er war immer sehr genau im Hinschauen, ob in der Gesellschaft oder beim Menschen.



Wie würde eine Welt aussehen, in der Theorien, Visionen, Erkenntnisse wie die von Reich auf breiter Basis anerkannt und umgesetzt würden?

Svoboda: Bekommen Sie darauf wirklich von Gesprächspartnern eine Antwort? Ich glaube, es kann nur jeder seinen Beitrag leisten. Modelle der Welt – das ist so allmächtig. Ich bin froh, wenn ich meiner 18-jährigen Tochter vermitteln kann, dass sie sich nicht sofort ins Studium stürzen, sondern sich erst einmal die Welt anschauen soll. Ich glaube, darum geht es. Ums ermöglichen. Eine Welt, in der Menschen sich mehr ermöglichen, das zu entdecken, was sie gerne einbringen wollen und können. Davon nährst du dich ein Leben lang. Es macht ja keinen Sinn, nach drei Jahren vom Studium ins Berufsleben gesteckt zu werden und nach 10 Jahren bist du ausgehöhlt.
Brandauer: Auch Sokrates hat nicht gewusst, wie die Welt aussehen würde. Er hat versucht, es den Leuten zu erklären, aber immer mit persönlichen Beispielen. Man muss dem Menschen einfach Zeit lassen. Ich weiß nicht, wie man es machen kann. Aber es wird soviel Geld für anderes hinausgeblasen. Man könnte ihm jede Woche zwei, drei Stunden bezahlen, in denen er sich hinsetzt – mit einem Freund oder mit sich selbst – und versucht, herauszufinden, wie es ihm geht, eine Bestandsaufnahme macht. Das muss einfach sein.

Herr Brandauer, war es schwierig, an die Figur Wilhelm Reich heranzukommen?

Brandauer: Im Gegenteil. Eher hatte ich manchmal Ratschläge nötig, um ihn nicht zu idealistisch zu zeigen. Ich finde, er ist ein Idealpartner für Menschen – und deshalb gehört er auch ideal gezeigt. Dass er Ecken und Kanten hatte, ist klar. Wenn auch vielleicht nicht mehr in den letzten 20 Jahren. Wenn man um sein Leben rennt, hat man nicht mehr soviel Zeit, Unrecht zu tun oder Fehler zu begehen. Er hat sicher welche gehabt. Aber: Wer ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein.

Würden Sie sich als spirituelle Menschen bezeichnen?

Brandauer: Spirituell ist ein komisches Wort. Ich bin fasziniert von einer chemischen Fabrik, die phantastisch funktioniert – unser Körper. Da ist etwas drin, das nicht Maschine ist, sondern die Sache ausmacht. Die Maschine ist erforscht bis ins kleinste Teil. Da kann man mittlerweile viel machen. Aber was man darüber hinaus hat, das gehört gesucht, gepflegt und in Solidarität weiterentwickelt und mit großer Zuversicht auf einen glücklichen Ausgang dieser Maschine weiter entfacht, gesprochen, bezweifelt, geliebt, gestaunt…. Und dass hat natürlich mit Glauben zu tun. Ich glaube, aber ich glaube an meine „Firma“ nur solange, wie sie in der Lage ist, den Glauben anderer Menschen gelten zu lassen. So ist es gedacht. Ich bin gern dabei, ich bin immer katholisch geblieben. Doch wenn die Firma nicht hinhaut – für mich ist mein Partner dort… (weist zum Himmel)
Svoboda: Ich würde mir sehr wünschen, dass es gar nicht soviel um Glaube und Religion geht, sondern um Nächstenliebe. Ich finde vieles nicht mehr zeitgemäß, das Thema Erbsünde zum Beispiel. Es beruht auf Verletzungen. Und im Hintergrund wirken Mechanismen von Macht. Ich wünsche mir, dass es nicht um glauben oder nicht glauben geht. Einer der Greenpeace-Gründer hat mal gesagt, dass wir eigentlich ein kleines Raumschiff haben, das im Weltall unterwegs ist und wir alle sind Besatzungsmitglieder. Und müssen schauen, dass uns nicht die Nahrung und der Sprit ausgehen. Ich verstehe überhaupt nicht, warum wir uns ständig das eigene Raumschiff kaputtmachen, die Nahrung wegnehmen und so weiter. Die Diskussion, wo wir hier unterwegs sind, als was hier unterwegs sind, beruft sich letztlich immer nur auf Grabenkriege. Wie man sich so auf das Materialistisch-Irdische beschränken kann – das führt ja zu nichts…

Mehr Infos:
Website zum Film
Website der Filmproduktion coop99
Website der Wilhelm Reich Gesellschaft

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Ein Kommentar zu “Wilhelm Reich: Einer, der vor dem Strom schwimmt
  1. Petra Lewerenz sagt:

    …Ich freue mich über die schauspielerische Besetzung und noch viel mehr über die Würdigung von Wilhelm Reich – vielen Dank an die Macher.

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