Die Umwandlung schlechter Gewohnheiten

Foto: Sabine dot-art

Auszüge aus “Mut zum Lebenswandel – Wie Sie Ihre biografischen Erfahrungen sinnvoll nutzen“ von Brigitte Hieronimus. Nach 60 Jahren stellen viele Menschen erleichtert fest, dass sie die eine und andere Krise erfolgreich gemeistert haben und welche persönlichen Kräfte daraus erwachsen sind. Manches aber will noch einmal angeschaut werden, damit es endgültig abgeschlossen werden kann. Wo das nicht passiert, eröffnen sich später bedeutend weniger Möglichkeiten, Sinnzusammenhänge zu erkennen. In diesen Jahren geht es daher noch einmal verstärkt um die Frage, ob wir unsere wichtigsten Lebensziele verwirklichen konnten und was noch aussteht.

Lebe ich die mir entsprechende Lebensform? Wie ist das Verhältnis zu den Kindern, Enkeln, Schwiegerkindern und wie stehen diese zu uns? Welche Vorstellungen, Ideen und Pläne sind da, wenn die Berufstätigkeit ausläuft? Dazu müssen wir uns klar werden, wer wir eigentlich sind oder noch besser wer oder was wir nicht mehr sind. Wer und was inspiriert und begeistert uns heute? Was hemmt und behindert uns? Oftmals sind es gar nicht die Menschen im nahen Umfeld oder die nicht optimalen Rahmenbedingungen, die uns blockieren, sondern unsere eingefleischten Gewohnheiten, Überzeugungen und Haltungen. Sie sind es, die uns daran hindern, ein zufriedenes Leben zu führen. Wir können sie nicht einfach amputieren, aber wir können Neues dazulernen und dem Alten nicht mehr so viel Raum geben. Die Frage lautet: Bin ich mit meiner derzeitigen Lebensernte zufrieden?

Was kann ich an Neuem säen, wenn mir nicht gefällt, was ich auf meinem Feld vorfinde?

Wer jetzt Mühe hat, seine allmählich nachlassenden körperlichen Kräfte in geistige Schaffenskraft umzuwandeln, wird allerdings keine neuen Lebensperspektiven wahrnehmen können. Wo geistig vorwärtsdrängende Energien unterdrückt werden, besteht die Gefahr, in eine Altersdepression zu rutschen oder einen Rückzug in Krankheiten anzutreten. Manche beginnen bereits mit 40 zu glauben, in diesem Alter lohne es sich nicht mehr … und öffnen damit das Tor zur Resignation. Den Zugang zur geistigen Spannkraft hingegen findet, wer seine bisherigen Erfahrungen als Reichtum fühlt. Immerhin hat jede Erfahrung dazu beigetragen, dass wir uns weiterentwickelt haben. Dafür dürfen wir dankbar sein. Und jetzt öffnet sich eben wieder ein Zeitfenster für einen psychischen Hausputz: Selbstbilder, Glaubenssätze, Gedankenmuster gilt es gründlicher als je zuvor zu überprüfen. Die Jahre ab 60 heißen deshalb auch Bekenntnisjahre: Ich bekenne mich zu mir und zu dem, was noch verborgen in mir ruht. Und damit machen wir uns dann auf den Weg zu weiteren Gestaltungsmöglichkeiten.

Spiegelbilder des Alters

Welches Bild wir von betagten Menschen haben, hängt nicht nur mit Grimms Märchen und mythischen Sagen zusammen, die wir als Kinder vorgelesen bekamen. Es ist auch nicht nur abhängig von Werbespots und Presseberichten, die ein vitales Bild der „Best Ager“ zeichnen, oder von Apotheken- und TV-Zeitschriften, die vor allem die problematischen Aspekte des Alters im Blick haben und deshalb Mittel gegen Schlaflosigkeit, nachlassende Gedächtnisleistung oder Blasenschwäche empfehlen. Vielmehr ist es das Bild, das wir uns von älteren Menschen gemacht haben, die uns im Laufe unseres Lebens begegnet sind, und das jeder in sich trägt, geprägt von Erfahrungen mit Eltern, Großeltern und Urgroßeltern. Doch scheint uns gar nicht klar zu sein, wie stark diese Eindrücke das eigene Erleben des Älterseins beeinflussen. So gibt es wohl in jeder Familie Botschaften, die unausgesprochen weitergegeben werden: Verwitwete Frauen gehen keine neue Partnerschaf ein, haben keine sexuellen Bedürfnisse, pflegen die eigenen Eltern und kümmern sich um die Enkel. Männer arbeiten oder trinken sich krank, gehen nicht zum Arzt und sterben kurz nach der Verrentung. Deshalb sollten wir herauszufinden versuchen, welche verdeckten Informationen die „Vor-Bilder“ unserer eigenen Familie uns vermitteln, wobei auch die Schwiegereltern eine Rolle spielen können. Darauf aufbauend widmen wir uns schließlich der Frage: Wie möchte ich meine Partnerschaft, meine sozialen Kontakte und meinen weiteren Lebensverlauf gestalten? Die anstehenden Entwicklungsaufgaben innerhalb der eigenen Biografie zu kennen trägt entscheidend dazu bei, die Chancen zu ergreifen, die auf ein zufriedenes Leben im Alter zuführen.

Lebenslust statt Lebensfrust

Wer es zwischen 50 und 60 versäumt, seinen Entwicklungsaufgaben auf die Spur zu kommen, wird in etwa zehn Jahren vermehrt vor Schwierigkeiten und Konflikten stehen, die nicht selten in eine Lebenskrise münden. Manch persönlicher Knoten lässt sich zwar auch dann noch mit Hilfe einer biografischen Beratung oder Psychotherapie befriedigend auflösen, doch einige dringende Entwicklungsaufgaben bleiben zwangsläufig auf der Strecke. Seelische Beschwerden und auffällige Verhaltensweisen Über-60-Jähriger sind daher als Hinweis zu verstehen, dass ungelöste oder unlösbar erscheinende Entwicklungsaufgaben einen Entwicklungsstillstand verursachen.

Loslassen, bevor das Leben stillsteht
Für erwachsene Kinder ist es oft unerträglich, miterleben zu müssen, dass ihre betagten Eltern sich ihren Entwicklungsaufgaben offenbar nicht gestellt haben. Die alten Eltern verkrampfen in dem Bemühen, niemandem zur Last zu fallen, und klammern sich gleichzeitig an, indem sie in eine stumme Vorwurfshaltung verfallen oder sich extrem hilfsbedürftig zeigen, während die erwachsenen Kinder es nicht aushalten, ihren Eltern die Verantwortung für das eigene Wohlergehen zu überlassen. Aber je mehr die erwachsenen Kinder den Eltern diese Verantwortung abnehmen und für sie da sind – so wie sie es meist schon in der Kindheit waren -, desto mehr entmündigen sie die Eltern. Ein unglücklicher Kreislauf, denn für die Eltern wie die erwachsenen Kinder wird es damit immer aussichtsloser, die eingeschliffen Muster durch neue Erfahrungen zu ersetzen. Kommt ein Elternteil ins Alten- oder Pflegeheim, stellen die erwachsenen Kinder, die mittlerweile selber 50 oder 60 sind, erschüttert fest, wie schnell der Verfall fortschreitet, wenn die alten Menschen keine sinnvolle Aufgabe mehr haben. Nehmen die erwachsenen Kinder jetzt nicht Abschied von dem inneren Bild der Eltern ihrer Kindheit, wird der Loslösungsprozess von der dementen Mutter oder dem an Parkinson leidenden Vater quälend, was wiederum zu belastenden Schuldgefühlen führt. Manche hoffen bis zum Schluss, die Eltern mögen doch noch erkennen, wie sehr man sie liebt und wie sehr man von ihnen zurückgeliebt werden möchte. Hier zeigt sich das Grundthema des kindlichen Liebesmangels erneut. Diese späte Ablösung gelingt deshalb, wenn überhaupt, nur mit Respekt und Achtung vor dem Lebensweg der betagten Eltern.

Sturm und Drang vor dem Ruhestand

Bevor das Arbeitsleben endet, sollten wir schon wissen, wie und womit wir unser Leben fruchtbar machen wollen, und welche Ziele und Pläne sich am Horizont abzeichnen. Die zahlreichen Möglichkeiten, die zur Verfügung stehen, machen eine Entscheidung manchmal schwer. „Passt das denn wirklich zu mir?“ Da hilft nur eins: Ausprobieren! Wie damals in den Sturm- und Drangjahren der Jugend gilt es, sich über innere Ängste und Vorbehalte hinwegzusetzen und der aufsteigenden Wissbegierde freien Lauf zu lassen. Wer jetzt über eine ausreichende Neugier auf das Leben verfügt, ist auch bereit, zu neuen Ufern aufzubrechen. Lust auf Gitarre spielen, malen, wandern, fotografieren, Kinderbetreuung oder ein Seniorenstudium? Dann los … Denn in diesem Lebensabschnitt dürfen wir uns unsere Begeisterung weder von Miesepetern noch von Selbstzweifeln abwürgen lassen. Das wäre wieder so eine biografische Falle wie in der Pubertät, als Eltern oder Lehrer einem die Aufbruchsstimmung durch Kritik, Tadel oder Abwertung verhagelten. Einstige Herzenswünsche mögen aber plötzlich verblasst sein. Exotische Reisen, das dicke Auto, die hochmoderne Wohnungseinrichtung haben womöglich an Reiz verloren. Die materielle Welt lockt nicht länger.
Geselliges und fröhliches Miteinander, eine entspannte zwischenmenschliche Atmosphäre, inspirierende Gespräche, die Lust an gesundem Essen, ein feiner Wein, der Spaziergang am Morgen, die Abendsonne im Garten … All dem können wir nun viel mehr abgewinnen als früher. Denn es ist an der Zeit, sich Zeit zu nehmen für die schöngeistigen Dinge, zumal alles, was den Geist anspricht und weitet, der gefürchteten Denkunbeweglichkeit vorbeugt. Nicht nur Sudokus und Kreuzworträtsel halten das Hirn aktiv, sondern vor allem jene Aspekte im Leben, die uns emotional berühren.

Eine Übung: Der emotionale Lebenslauf

Was hat mich in welchen Jahren emotional besonders aufgewühlt und berührt?

Wie habe ich beispielsweise den Sportunterricht in der Schule erlebt? Und wie stehe ich heute zu sportlicher Aktivität?

Wer war mein bester Freund / meine beste Freundin in der Schulzeit? Und was ist aus der Freundschaft geworden?

Wie habe ich die erste Liebe erlebt? Und wie die erste Trennung … Unfälle, Umzüge, Erkrankungen …

Gibt es Emotionen und Gefühle, die in meinem Leben überwiegen?

Hintergrund: Das ist der erste Teil einer neuen Serie bei den newslichter, in der monatlich immer ein Lebensjahrsiebt vorgestellt wird. Dank an den Kamphausen Verlag für die Freigabe der Auszüge aus dem Buch Mut zum Lebenswandel – Wie Sie Ihre biografischen Erfahrungen sinnvoll nutzen. Eine ausführliche Besprechung des Buches hier.

brigitteZur Person: Brigitte Hieronimus arbeitet als erfahrene Paar-und Biografieberaterin, Trainerin, Referentin zum Thema Wechseljahre und Dozentin für biografisches Schreiben. Der Autorin gelingt es auf lebendige Weise, den Lesern eine mutmachende neue Sichtweise zu vermitteln. Daher ist sie immer auch gefragte Interviewpartnerin in TV, Hörfunk und Presse. Mehr auf ihrer Webseite www.brigitte-hieronimus.de

 

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