Die Gabe zu heilen

Die Gabe zu heilenVon Conny Dollbaum-Paulsen. Heiler*innen gab es schon immer; mit und ohne Heilpraktikergesetz. Sie wurden Schamanen, Hexen, Knochenbrecher genannt. Sie waren selten, fast nie, medizinisch ausgebildet, oft aber eingeweiht von ihren Lehrern und Lehrerinnen, die ebenfalls mit der Gabe der Heilkunst beschenkt waren. Und sie waren und sind immer schon auf eine ebenso stille wie nachdrückliche Art berufen, diese Gabe einzusetzen – ob sie wollen oder nicht.

Zuerst der Film…dann das Buch
Inspiriert von Andreas Geiger, der auch Herausgeber ist, und dessen gleichnamigem Film „Die Gabe zu heilen“ ist Annette Maria Rieger ein beeindruckendes Buch gelungen. Sie hat, dem Film ähnlich, zwölf zeitgenössische, also aktuell tätige Heiler und Heilerin, besucht, sie interviewt, ihnen zugehört. Das Buch ähnelt in seiner Wirkung einem gut gemachten Dokumentarfilm, ohne Kommentar, das Erlebte beschreibend, das Gegenüber zitierend. Sie lässt die Menschen zu Wort kommen in ihrer Unterschiedlichkeit, in ihrer jeweiligen Beheimatung, die stellenweise auch recht verschroben, fremd-altmodisch und auch esoterisch- abgehoben daherkommen.

Wenn es das gibt: Ein Dokumentar-(Film)-Buch
Menschen so unvoreingenommen wie möglich zu präsentieren, als würde eine Kamera laufen und jemand Unsichtbares einen Dokumentarfilm drehen, gelingt der Autorin im Buch perfekt: Die LeserIn taucht ein in die Welt der Befragten, lernt viel über so unterschiedliche Menschen, die Bauern, Ärztin oder Handwerker in „echten Leben“ sind, und dann, berufen von welcher Kraft auch immer, im Nebenjob das Werkzeug Gottes sind. Das Buch lässt sie sprechen und ermöglicht scheinbar unmittelbares Erleben.

Da mag es naturwissenschaftlich Geschulten manchmal kalt den Rücken runterlaufen, selbst die Rezensentin, nicht ungeübt im Umgang mit allerlei Unbeweisbaren, zog an der ein oder anderen Stelle die skeptische Augenbraue Richtung Stirn. Aber wem es gelingt, die vorgefassten Meinungen zur Frage, wer oder was heilt und wer wie dafür qualifiziert sein muss, hintenan zu stellen, der ist reich beschenkt mit diesem Buch.

Menschen in einer anderen (Heil)-Welt
Die Porträts sind ungeheuer spannend, detailreich, faszinierend und sie zeigen eine Facette des Gesundheitswesens (nicht des Gesundheitssystems, denn darin kommen sie nicht vor), die auch heute noch existiert – und die von gar nicht wenigen Menschen gesucht und gefunden wird. Sehr erleichternd wirkt dabei, dass niemand der Interviewten unbedingt Heiler*in werden wollte – sondern alle beschreiben, dass sie sich dem einfach nicht entziehen konnten, auch wenn sie es zeitweise durchaus gewollt hätten. Und dass sie damit nicht Geld verdienen (jedenfalls fast alle) macht die Inhalte glaubwürdiger. Hier wird nichts verkauft, nichts angepriesen, hier folgen Menschen ihrer Berufung.

Ob es dafür ein Gesetz gibt? Eher nicht.
Der Journalist und Kulturwissenschaftler Matthias Badura gibt mit seinem Nachwort eine Prise Skepsis dazu, die dem Buch nützt. Die LeserIn erfährt einiges über die lange Tradition heilerischer Laienarbeit, über die Haltung von Kirche und etablierter Medizin dazu und über den Status, den die Heiler zu unterschiedlichen Zeiten in Volk und Kultur hatten. Der wissenschaftliche Blick gibt den Porträts Tiefe, weil er nicht ausgeblendet wird – und das ist eine wirklich gute Idee.

Gutes braucht ein Team
Wenn sich ein skeptisch-interessiert-neugieriger Filmemacher, Andreas Geiger , eine am Thema in der Tiefeinteressierte Journalistin, Annette Maria Rieger, ein auch zum Thema ambitioniert arbeitender Fotograf, Stanislav Krupar , und ein Kulturwissenschaftler, dessen Interesse den laienmedizinischen Praktiken aus wissenschaftlicher Sicht gilt, Matthias Badura, also wenn sich vier Menschen mit diesen Hintergründen zusammentun, um ein Buch zu machen, kann dabei nur Interessantes entstehen…

Sehr lesenswert für alle, die auch Dinge akzeltieren, die weit über den eigenen Erfahrungshorizont hinausgehen. Und die dennoch skeptich bleiben (dürfen und wollen) – im Buch soll niemand überzeugt werden. Nicht von den AutorInnen und schon gar nicht von den Porträtierten, die ihre Gabe so nehmen wie sie, in ihrem Verständnis jedenfalls, ist: Von Gott gegegeben.

Die Gabe zu heilen
Andreas Geiger und Annette Maria Rieger
Klöpfer & Meyer Verlag

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