Einheit in Vielfalt

Von Bernd Kolb. Die Präambel der indonesischen Verfassung lautet Bhinneka tunggal ika – „Einheit in Vielfalt“. Dies war nicht nur die politische Vision der 1945 erklärten Unabhängigkeit Indonesiens, sondern wurzelt tief in der Weisheit einer der ältesten Kulturen der Menschheit.

Einheit und Vielfalt sind 2 Begriffe, die untrennbar miteinander verbunden sind. Diese Erkenntnis, so alt sie ist, beruht auf der einfühlsamen Beobachtung der Natur, in der alles Lebendige Teil eines Ganzen ist. Laut einem interdisziplinären Forschungsprojekt der University of Hawaii, das 2011 veröffentlicht wurde, teilen wir Menschen den Planeten Erde mit geschätzten 8,7 Millionen verschiedenen Arten von Lebewesen, und täglich kommen neue hinzu. Wir sind nicht nur alle in vielfacher Hinsicht verbunden, sondern auch abhängig voneinander. Keine einzige Spezies wäre auf sich alleine gestellt überlebensfähig.

Der Begriff der „Einheit“ ist also keine ausgedachte Ideologie, sondern schlicht eines der fundamentalen Gesetze der Natur. Ein „Öko-System“ basiert auf Einheit, in der jeder einzelne, systemische Teil sein Überleben sichert, aber auch gleichzeitig zum Wohle des Ganzen beiträgt. Aus diesem intelligenten, diskriminierungsfreien Miteinander entsteht das größte Wunder der Natur, die Schöpfung, aus der heraus eine Vielzahl neuer Arten erwächst. Und nicht zu vergessen: Auch wir Menschen verdanken diesem Prinzip unser Dasein.

Aus Einheit im Sinne des kreativen, produktiven Zusammenwirkens aller entsteht also Vielfalt. Und diese Vielfalt sichert ihrerseits das nachhaltige Wachstum. Das ist nicht irgendeine Theorie, sondern unsere existenzielle, unabänderliche Lebensgrundlage. Legen wir diese Erkenntnis zugrunde, ist für selbstsüchtige Gier Einzelner schlicht kein Platz im Öko-System unserer Natur. Also ist Teilhabe die einzig logische Konsequenz. Das ist der Geist, der alles Leben hervorgebracht hat. „Einheit in Vielfalt“ ist also keine „Idee“, sondern Ausdruck eines unumstößlichen Fundaments. Eine Präambel im wahrsten Sinne des Wortes, die auch sehr gut auf eine neue Weltordnung passen würde.

Wer dies bis hierher nachvollziehen konnte, müsste eigentlich genau wie ich selbst darüber erschrecken, wie weit sich der Mensch in seiner maßlosen Selbstüberschätzung von diesem Weltbild entfernt hat. Wir sind auf einem kolossalen Irrweg, wenn wir glauben, wir könnten die Natur (und ironischerweise damit uns selbst) „beherrschen“. Wir sind zu Parasiten geworden, „catch as catch can“, Selbstoptimierung auf Kosten der Allgemeinheit. Das dies auf lange Sicht zum Scheitern verurteilt ist, steht außer Frage. Aber die lange Sicht ist heute nicht gefragt, in der „Hier und Jetzt“-Kultur.

Der Wert der Gemeinschaft ist unser höchstes Gut. Das gilt fürs Ganze, aber auch für jeden Einzelnen. Wenn die Gemeinschaft um uns herum nicht funktioniert, in der Familie, im Freundeskreis, am Arbeitsplatz, kann das Leben schnell zur Hölle werden. Aber Gemeinschaft entsteht nicht „einfach so“, sie muss BEWUSST kultiviert werden. Man kann sie nicht „verordnen“, sie kommt nur aus dem Bewusst-Sein selbst. So ist der Mensch die einzige Spezies, die sich selbst massakriert. Diese einmalige Selbstzerstörung der eigenen Gattung ist fast so alt wie die Gattung selbst. Es ist das EGO, das den Menschen von allen anderen Spezies des gesamten Planeten unterscheidet und uns auf einen kolossalen Irrweg führte. Diese selbst-täuschende ICH-Identifikation und der Dualismus des Denkens an sich, das „ENTWEDER-ODER“, widerspricht dem „Einheit in Vielfalts“-Prinzip der Natur. So ist der Mensch in seinem eingebildeten Selbst-Verständnis zu einem denaturierten Wesen geworden. Kein unüberwindbares Schicksal, sondern lediglich ein (korrigierbarer) Irrtum. Dies haben die alten Kulturen des Ostens schon vor Tausenden von Jahren erkannt. Daraus sind die alten Weisheitslehren entstanden. Lebenspraktiken, die unserer wahren Natur entsprechen. „AHAM BRAHMASMI“, ich bin Brahman (die Weltseele), ich bin untrennbar vom Ganzen- so beschreiben die indischen Weisen vor mehr als 3.000 Jahren ihre im höchsten Bewusstsein erfahrene Selbst-Erkenntnis.

Das bedeutet nicht, dass es in der Natur keine Konflikte gibt. Balance erfordert permanenten, gerechten Ausgleich. Aber Konflikte sind gut, weil sie Kreativität, den eigentlichen Schöpfergeist erforden. Dadurch entsteht erst das Neue, die Vielfalt, es ist das Lern-Prinzip der Evolution. Vielfalt ist gut, denn ohne Vielfalt käme es zu Stagnation, was dem Ende der Schöpfung gleichkäme.

Dieses „In Vielfalt verbunden sein“ ist ebenso wie das Sein selbst nichts, dem wir nur auf der rein intellektuellen und somit urteilenden Ebene gewahr werden können. Erst wenn wir unsere Fähigkeit des Mitgefühls wiederentdecken, schaffen wir dadurch höheres Bewusstsein. Wirklich näher kommen wir uns also nicht dadurch, dass wir einer Meinung werden, sondern durch die Schaffung eines gemeinsamen Raums der Teilhabe, der allen gehört und in dem alles an Vielfalt sein darf, ohne in Richtig und Falsch zu trennen.

Verbundenheit bedeutet nicht Verschmelzung, sondern das Auflösen der Vorstellung von Getrenntheit. So will ein Baum kein Grashalm werden und umgekehrt. Der Grashalm kann dem Baum nicht helfen, ein besserer Baum zu werden, und umgekehrt. Aber beide tragen durch ihr ganz unterschiedliches Wirken dazu bei, dass das Ganze wächst. Als Teil des Ganzen wächst dadurch in der Folge jedes einzelne Teil. Alles verbindet sich in seiner wirkenden Einmaligkeit, wie bei einer großen Symphonie, in der jeder Ton anders klingt, sich aber dennoch im Zusammenspiel zu einer großen Harmonie verbindet.

Gemeinschaft macht jeden stärker, wenn er in sie hineinvertrauen kann. Dies mindert die Ängste, die Unsicherheiten, die uns in die schmerzhafte Illusion der Vereinzelung führt. Wir sind selbst mutiger und freier, wenn wir wissen, zur Not ist da jemand, der für uns da ist, wenns mal schiefgeht. Für den anderen DA ZU SEIN, das und nur das ist wahre Liebe. „Glück ist Liebe, nichts anderes. Wer lieben kann, ist glücklich“, sagt Hermann Hesse so treffend. Dem liegt die tiefe Erkenntnis zugrunde, dass es eben nicht darum geht, geliebt zu werden, um sich damit die Ein-samkeit zu vertreiben. Wenn jeder dem anderen „in Liebe“ begegnet, geht dem Hass die Luft aus. Ist das romantisch? Nein, es ist die ganz nüchterne Praxis, aus der alle Schöpfung entsteht. Das ist auch das Geheimnis unserer eigenen Entfaltung. Das erfordert bedingungslose Toleranz, also das Aufgeben aller Voruteile. Natürlich funktioniert das jetzt nicht von Gleich auf Nachher, aber alles beginnt mit einem ersten Schritt. Auch und gerade bei jedem selbst.

Ich habe vor einiger Zeit auf Java zum ersten Mal ein Bahnticket gekauft. Dies ist hier mit einer obligatorischen Sitzplatzreservierung verbunden. Der Ticketverkäufer fragte mich, ob ich neben „einem Freund“ sitzen möchte oder nicht. Einem Freund? Bei uns würde man „jemand“ sagen, wenn es sich um eine noch unbekannte Person handelt. Auf Java gibt es dieses Wort nicht. „Jemand“ heißt hier „ein Freund“. Es wird also grundsätzlich angenommen, dass der Unbekannte, der neben Dir Platz nimmt, ein „Freund“ ist, also freundlich gesonnen. Ist das romantisch? Nein, es ist einfach EIN GUTES GEFÜHL.

Einheit in Vielfalt, ich LIEBE es!

In diesem Sinne, RAHAYU (das Beste für Dich und das Beste für Alle)!!!

Euer Bernd Kolb

Wisdom Days in Dresden und Berlin

Es ist mir daher eine große Freude, den WISDOM DAY DRESDEN ankündigen zu dürfen! Am Sonntag, den 28. Oktober treffen wir uns im bezaubernden Lingnerschloss, zum ersten Mal außerhalb Berlins! Möglich wurde dies durch das Engagement von Annett Gerlach aus Dresden, die das im Rahmen unseres MITMACHEN-Programms auf die Beine gestellt hat. Dafür meinen allerherzlichsten DANK! Durch dieses „Miteinander“ können wir die WISDOM DAYS vielleicht auch bald in Eure Stadt bringen! Meldet Euch bitte, wenn Ihr das mit uns gemeinsam in die Welt tragen wollt!

Auch für Berlin gibt es gute Neuigkeiten: Aufgrund der hohen Nachfrage haben wir einen weiteren Zusatztermin für Sonntag, den 4. November organisieren können. Tickets für alle Veranstaltungen gibt es ab sofort hier:

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3 Kommentare zu “Einheit in Vielfalt
  1. Björn sagt:

    Vielen Dank für den Text, Bernd Kolb und dir, liebe Bettina, für’s Einstellen.

  2. Margitta sagt:

    Danke für den Text von Bernd Kolb. „Hier und Jetzt-Kultur“ hat mich begrifflich erschreckt, denn -so fühle ich- gestaltet sich Zukunft nur aus einem bewußten Dasein im Augenblick – Leben ist immer Prozeß – als ich das „verstand“, verschwand die Angst vor all der Zerstörung und ich bin bewußte Mitgestalterin des Lebens , das Zukunft hat.

  3. Sarah sagt:

    Dasselbe steht in der Präambel der Schweizer Verfassung: „…im Willen, in gegenseitiger Rücksichtnahme und Achtung ihre Vielfalt in der Einheit zu leben…“

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