Echt?

Ich bin beunruhigt, doch das beunruhigt mich nicht.
Ich habe Angst, doch sie ängstigt mich nicht.
Ich trauere, doch darüber bin ich nicht traurig.
Reine Freude kann ich empfinden.
Ohne darüber in Entzücken auszubrechen.
Und wenn ich mal wütend bin, dann werde ich darüber nicht ärgerlich sein.
Sekundärgefühle. Das war der erste Titel, der mir für dieses kurze Stück Text einfiel. Immer wieder geht mir auf, wie einfach das Leben sein könnte, wenn ich meine Probleme nicht zu einem Problem machen würde. Wenn ich mich nicht in Erzählungen verstricken würde, wie ich fühlen sollte. Oder warum es anders sein sollte, als es ist. Oder was werden könnte, wenn ich weiter so fühlen würde – ja, wenn dieses ungewollte Gefühl nie mehr aufhören würde? Eine diffuse innere Unruhe beunruhigt dann so sehr, dass sie zu Erregung und Aufregung führt – zum Sturm im Wasserglas. Ohne die Sekundärgefühle (oder wie immer ich diese wilde Meute nennen soll) wäre sie vielleicht kurz dagewesen, um dann dem nächsten aufkommenden Gefühl Platz zu machen.
Ich hätte ihr freundlich zugenickt – „Hallo Unruhe“, hätte ich gesagt.
Sie hätte kurz gelächelt, und wäre zur Seite getreten, um der Neugier den Weg freizumachen. Oder der Langeweile. Wer weiß – man (oder frau) kann ja so viel fühlen den lieben langen Tag. Angenehm – unangenehm – neutral. Im unbeirrten, fortwährenden Wechsel, wenn, ja, wenn wir die „Beikräuter“ weglassen könnten. Die Beikräuter des Widerstands oder des Wegwünschens. Oder die des „Bald wird es sowieso wieder anders sein, warte nur“, wenn gerade ein angenehmes, erwünschtes Gefühl den Platz am Steuerpult (Kennt Ihr den Film „Alles steht Kopf“?) ergattert hat. Pass bloß auf, heißt es dann. Übermut tut selten gut – wusste die Oma schon. Wusste sie es wirklich? Woher?
Vielleicht sollte man (oder frau) öfter mal da sitzen – oder liegen – und nur beobachten, wie Angst, Freude oder Verwirrung kommen und gehen. Echt sein. Manche nennen das Meditation. Leben aus erster Hand wäre es jedenfalls. Geht das überhaupt? Können wir das reine Empfinden einladen, ohne etwas dazu zu erfinden? Ich weiß es – ehrlich gesagt – nicht. Ich übe. Probiere mich aus. Scheitere. Und bin darüber nicht beunruhigt. Manchmal.
Dieser Text wurde inspiriert von einer anstrengenden Lebensphase und einem anregenden Buch: Der tiefe Wunsch nach Lebendigkeit von Christian Dillo. Hier kannst du es bei Buch7 anschauen.
Liebe Andrea!
Hab von Herzen Dank für die Erinnerung daran, dass ich (wir alle) selbst entscheide, wie ich mit meinen vielfältigen Gefühlen umgehen will.
Ich musste erst einmal verstehen: Wenn ich als Kind fröhlich war, kam immer von irgendwoher die Mahnung, mich bloß nicht zu früh zu freuen. War ich traurig, hieß es, ich solle mich nicht so anstellen. Ich habe nie gelernt, meine Gefühle einfach nur zu erleben und dann wieder ziehen zu lassen.
Das ist kein Vorwurf in Richtung meiner Eltern (sie hatten es ja ebenfalls nicht anders gelernt – wie viele viele andere auch), es erklärt mir vielmehr den Ursprung und erlaubt mir immer wieder die Frage, ob ich diesen Umgang beibehalten will.
Es ist ein bewusste Entscheidung, wenn man (oder frau) die Zusammenhänge erkannt hat, etwas zu ändern. Manchmal geht es schnell, manchmal Schritt für Schritt.
Auch ich übe jeden Tag 🙂
Herzensgrüße
Imke
Liebe Imke,
dann üben wir also gemeinsam! Ich danke dir für deinen Kommentar sowie deine Ergänzungen und auch ich sehe es als bewusste Entscheidung, das, was ist, einfach wahrzunehmen. Und doch … 🚨🚀🌨🌝🌑 – passiert es immer wieder, dass ich meinen eigenen Geschichten tiefen Glauben schenke. Und der Körper reagiert. Ich bin halt eine gute Geschichtenerzählerin 😉 Herzlich, Andrea
Liebe Andrea, mit deinem Text feiere ich meinen Morgen! Dank dir für deine kostbare Anregung, Anstiftung. Dies Horizonzweiten in eine wunderbar dienliche Lebensweise. Freu mich drauf, mir wieder und wieder neu diese kleine feine Frage zurufen … echt jetzt? … und lächelnd an dich denken.
Liebe Miriam. Danke dir. „Echt jetzt?“ ist wirklich eine Alleskönnerin. Neben dem Eingeständnis „Das hatte ich mir jetzt anders vorgestellt“ gehört sie in jedes Reisegepäck für Lebensreisende. Herzensgruß, Andrea
Liebe Andrea,
hab Dank für deine Zeilen.
Besonders die ersten – schön 🙂
Und Sekundärgefühle nehme ich mal mit und bewege es oder sie …
„Vielleicht sollte man (oder frau) öfter mal da sitzen – oder liegen – und nur beobachten, wie Angst, Freude oder Verwirrung kommen und gehen. Echt sein. Manche nennen das Meditation. Leben aus erster Hand wäre es jedenfalls. Geht das überhaupt?“
Da dachte ich JA! Genau das machen wir in der lebensweise-Community (Gefühlekompass & Co. -nach Vivian Dittmar) Es ist die „Praxis des bewussten Entladen/Fühlen“ …
LG Tanja
Liebe Tanja.
Danke dir. Ja, es ist toll, dass es immer mehr Räume wie den Entladungsraum von Vivian gibt, in denen wir dem, was gerade ist, begegnen können. Gemeinsam. So schön! Herzlich, Andrea
Liebe Andrea,
hier ein spontanes Echo auf deine Zeilen:
Die sanft schwingende Oberfäche eines Quellenteiches in meiner Nähe taucht als Bild auf. Sie nimmt freudig wahr, spiegelt was hin einfällt. Dann bewegt Regen, ein Blatt, ein Stein, eine trinkende Libelle eine paddelnde Ente, ein nach Luft schnappender Fisch diese Oberfläche und den Lebensraum bis in seine Tiefen. Es kommt zu interessanten Wellendynamiken mal klein und leise, mal groß und laut. Was immer unser limbisches System und unser Verstand daraus machen…..eine Emotion, einen Gedanken vergeht ganz sicher und wird aufgefangen in dieser schwingenden Ordnung. Der kritische Augenblick kommt, wenn mein menschliches Bewusstsein überwältigt wird von einer Erschütterung. Dann kann ich diese Kohärenz in meinem Mensch sein nicht wahrnehmen. Negatives, ablehnendes Bewerten verstärkt diese Reaktionen. Es ist erleichternd zu wissen „Es“ ist immer da und es taucht in meinem Bewusstsein bestimmt wieder auf.
Von Herzen
Maria
Liebe Maria, ganz vielen Dank, dass du meinen Impuls aufgenommen hast. Was für ein schönes Bild – der Quellteich – der alles, was ist, im ständigen Fluss des Entstehens und Vergehens aufnimmt – sich tief berühren lässt und gleichzeitig immer bleibt, was er ist: Ursprung.
Herzensgruß. Andrea