Wolfsbegegnung

Da saß ich nun, umringt von Wölfen. Die Sonne strahlt vom blauen Himmel, das Hecheln und tiefe Grollen aus den Wolfskehlen übertönen den sanft über das Gras streichenden Wind und das aufgeregte Vogelgezwitscher aus den umliegenden Bäumen. Eine große Schnauze mit weißem Fell stößt mir gegen die Schulter, vor mir baut sich ein dunkelgrauer Wolf mit starren, gelben Augen auf und blickt mir tief in die Seele.
In der Nähe von Einbeck in Niedersachsen bieten Matthias und Birgit Vogelsang Wolfsbegegnungen an. Mit riesengroßen Herzen vermitteln sie ihre Liebe und den tiefen Respekt vor diesen mystischen Tieren. Wer neugierig wie die Wölfe selbst ist, oder wer erleben möchte, wie eindringlich eine solche Begegnung ist und uralte Ängste oder wilde Freude in einem emporsteigen, findet hier bei Wolfsliebe Gelegenheit.
Bei mir, als Weihnachtsgeschenk meiner Partnerin getarnt, kam der Tag der Wolfsbegegnung im Juli immer näher, an dem ich herausfinden sollte, welche Wahrnehmung die Oberhand gewinnt.
Ein Wolfsleben
Im wundervollen Garten des Hofes teilt Birgit mit unserer kleinen Gruppe ihre Erfahrungen und Erlebnisse mit den „Wölfis“. In sechs Gehegen leben zurzeit 14 Wölfe. Einige wurden von Hand aufgezogen und verloren so ihre angeborene Scheu vor dem Menschen, behielten aber ihre natürliche Neugier. Scheu und Neugier sind die wesentlichen Merkmale von Wölfen, erfahren wir – und auch, wie die mediale Hatz das Verhalten der Wölfe verzerrt darstellt. Die wiederkehrend hochstilisierten Geschichten von getöteten Lämmern durch wildernde Einzelgänger oder Wanderwölfe verkaufen sich hervorragend und spielen dabei mit den eingangs erwähnten, tief sitzenden Ängsten. Selbstverständlich ist der Verlust durch von Wölfen gerissener Tiere finanziell und emotional belastend, erfahren wir, aber Krähen und Raubvögel haben einen viel größeren Anteil an der Tötung von solchen Zuchttieren.
Wölfe fressen nur, bis der Hunger gestillt ist. Was auf den Weiden der Medienberichte geschieht, lässt sich wohl so erklären, dass, wenn der Wolf Zeit hätte, ein gerissenes Lamm zu fressen, er den anderen gar nicht nachstellen würde. Das sei wie hungrig in den Supermarkt zu gehen und einzukaufen, ergänzt Matthias: Haben ist besser als brauchen. Dadurch, dass die Tiere auf den eingezäunten Weiden nicht fliehen können, haben sie auch keine Chance, dem Jagdinstinkt des Wolfes zu entkommen.
Viele Wölfe haben Matthias und Birgit in Einbeck oder im Wisentgehege bei Springe schon kommen und gehen gesehen. Teilweise haben sie die Tiere über mehr als ein Jahrzehnt begleitet. Deshalb wundert es mich nicht, dass am Rande der Wiese vor den Gehegen ein kleiner Tierfriedhof zu sehen ist, wo beschriftete Steine von schönen Erinnerungen und traurigen Abschieden erzählen.
Immer schön ruhig bleiben
Die Sicherheitseinweisung der kleinen Menschengruppe endet mit präzisen Vorgaben. Outdoorkleidung, lange Ärmel, keine hochgesteckten Haare, kein flatternder Stoff, keine klingenden Armbänder und Ketten, festes Schuhwerk. Nicht, weil es im Gehege hoch herginge, sondern weil die Wölfe neugierig sind und die Menschen und ihre mitgebrachten „Geschenke“ intensiv begutachten, danach schnappen könnten oder damit spielen. Erschreckt sich der Mensch dabei und zuckt mit schnellen Bewegungen zurück, könnten die Wölfe beißen und den Besucher verletzen.
Notiz an mich selbst: Bewege dich im Gehege nur langsam und behalte die Ruhe.
Im ersten Gehege lebt nur ein einzelner Wolf. Seit dem Tod seiner Partnerin muss er von den anderen separiert gehalten werden. In den anderen Gehegen leben kleinere und größere Rudel. Wir werden von den Wölfen am stabilen Zaun begrüßt, es wird geschnüffelt, geknurrt und wer vorsichtig die Fingerücken an den Zaun drückt, wird auch neugierig abgeleckt.
Matthias und Birgit organisieren das Futter für die Wölfe. Eimerweise Fleisch und Knochen, Innereien, ich kann ein paar Flaumfedern sehen und schaue lieber erst mal weg. Dann gehen wir alle zusammen in das größte Gehege mit fünf Jungwölfen und dem etwas älteren Chato. Die äußere Tür der Käfigschleuse wird verschlossen, wir treten durch die innere Tür und Matthias und Birgit verteilen das Futter auf dem Boden neben einer kleinen Sitzgruppe aus Baumstümpfen, wo wir uns niederlassen. Um uns herum nähern sich die Wölfe.
Ein magischer Moment

Und da ist wieder der Wolfsnasenstupser an der Schulter, die unglaublich gelben Augen im dunklen Fell, ganz dicht vor mir. Ein tiefes Grollen aus braunem Fell. Vorsichtig strecke ich die Hände aus, ertaste Polarwolf-weiße Borstenhaare, die zu Chato gehören. Der dunkle Chanuk vor mir weicht zurück, Mingan beobachtet die Situation vorsichtig von außerhalb des Kreises, der braune Amar stupst, seine Schwester Aponi drängt herbei und Jaron legt fleischbesetzte Knochen neben mich. Danke, nein.
Auf dem Baumstumpf sitzend, gehen mir die einjährigen Wölfe bis zur Schulter, kraftstrotzend und wild, aber neugierig, und ihre Anwesenheit öffnet mir das Herz. Wer es zulässt, bekommt Hände und Gesicht abgeschleckt, die Wölfe lassen sich streicheln, ich spüre raues Fell. Ein magischer Moment.
Dann geschieht nach langen Minuten fast unmerklich eine Veränderung im Rudel. Die Besuchszeit scheint vorüber, und Matthias und Birgit geleiten uns zügig aus dem Gehege. Ich habe das Gefühl, wer jetzt noch bliebe, würde der ursprünglichen Wildheit der Wölfe begegnen. Sie entscheiden, wem sie sich unterordnen oder gewähren lassen. Aus der Menschengruppe ist das nur Matthias, der in alle Gehege gehen kann.
Tief in mir schwingt eine unbekannte Saite neugieriger Wildheit nach und das nachhallende Grollen ist wie ein Abschlecken der Seele. Danke für diese Begegnung.
Danke für deinen Bericht 🙏
„ihre Anwesenheit öffnet mir das Herz“
so geht es mir immer, wenn ich Wölfe sehe
❤️