Über Puderzucker und ausfliegende Kinder

Lesezeit 4 Minuten –

Seit über 19 Jahren Mutter; die letzten 10 Jahre davon alleinerziehend. Mit allen Höhen und Tiefen aus Erfahrungen, die kein Mensch braucht. Sie hat mich geprägt, diese Zeit. Aus meiner Schwäche wurde eine Stärke, die meine Kinder durch alles hindurch getragen hat.

Und dann ist auf einmal dieser Moment da. Der erste ist groß und bereit zu fliegen, das Nest zu verlassen, um 365 km entfernt fürs Leben zu lernen und sein Eigenes aufzubauen. Wir lechzen danach in diesen Momenten, die zäh sind und uns an unsere Grenzen bringen. Aber wie es dann ist, niemand kann uns darauf vorbereiten. Wie damals, die erste Schwangerschaft. Das Buch zur Geburt exakt bis zu diesem Punkt gelesen. Alles, was dann kam: unvorstellbar, so man es nicht selbst erlebt.

Letzte Woche die hochemotionale Generalprobe am Bahnhof. Für uns alle drei, die wir in 10 Jahren so verbunden wurden, dass wir hier stehend alle noch nicht wissen, wie es jetzt sein wird. Heute dann in aller Herrgottsfrühe ein neuer Abschied, diesmal läuft er allein zur Bahn, ein paar Witze und müde Augen, schon leichtfüßiger. Für uns alle. Mutiger. Weil wir ungefähr ahnen, was jetzt kommt. Das Croissant für auf die Hand liegengelassen.

Muttersein ist etwas, was ich für mich als ein Privileg sehe. Nicht jeder kann es erleben, nicht jeder möchte. Für eine besondere Zeit, die wir vorher nicht wirklich kennen, sind wir in einer Verbundenheit mit unseren Kindern, die sich nicht erklären lässt. Aber auch in einer Verantwortlichkeit, die mich so oft verzweifeln ließ und mir Grenzen zeigte, die ich doch irgendwie aushebeln konnte; meine Rolle war mir so manches Mal dann auch einfach eine Spur zu groß.

Und dann fliegen sie eines Tages einfach weiter, all unsere Kinder. Der Tag kommt und sie stehen mit gepacktem Rucksack vor dir, breiten ihre Flügel aus und freuen sich auf ihre eigene Türe, die sie irgendwo anders öffnen.

Und wir Mamas*?

Dürfen uns sachte und achtsam aus dieser Rolle lösen. So intensiv wie es war, wird es nicht mehr.

Es wird mehr wie Puderzucker, zu dem wir werden – so kommt es mir gerade vor.

Gar nicht so leicht. So wie damals vor Jahren. Ich werde es nie vergessen, als er schlafend neben mir lag, wir beide müde und erschöpft vom Geburtsprozess und den Grenzen, die wir erfahren haben. Ich aber hellwach und überwältigt von seiner Präsenz und diesem Wissen: Mein Leben dreht sich jetzt um 180 Grad und nichts wird mehr so sein, wie es gestern noch war.

Wir dürfen loslassen, wenn sie dann ins Eigene gehen.

Dürfen? 

Ich muss bei diesem Wort lachen. Es ist vor allem erst einmal ein ‚Müssen‘, um von nun an anders da zu sein – für die Kinder. Und insbesondere wieder für uns selbst. Das ist ein Prozess und ein Weg. Neues beginnt. Für ihn. Aber auch für mich. Für jede Mama.

Ich hab mir erst mal frischen Kaffee gemacht und damit in Stille im Wind an der frischen Luft gesessen, Blick in die alte Kastanie drüben am Weg, sein Croissant in meinen Cappuccino tunkend. Wie es sich anfühlte damals, plötzlich ist alles anders in dem Moment der Geburt, indem wir zur Mutter werden. Mit allen seinen Konsequenzen und all dem Einsatz an Zeit, Vertrauen, Geduld, Vorbild sein und selber Wege finden. Und vor allem überhaupt in diese Rolle hineinzufinden.

Und jetzt dürfen wir wieder herausrollen aus diesem intensiven Mamasein.

Alles das sind Lebensprozesse. Es sind nicht nur die Kinder, die wir loslassen müssen in ihr Eigenes. Es ist auch unser Eigenes, was wir wiederfinden dürfen. Wenn ich bin, wer ich bin.

Die Lütte ist noch da. Sie hat ihren eigenen Prozess. „Mein ganzes Leben ist mein großer Bruder immer da und jetzt geht er.“ Jetzt die kleene Schwester – selbst fast groß genug zum Ausfliegen – und das auch irgendwie mit Puderzucker und mit einem ganz neuen eigenen Platz hier in unserem Nest, den sie sich jetzt sucht. Den wir alle drei jetzt finden wollen. Ganz gleich wo auch immer wir verstreut sind, Verbundenheit bleibt und das dann nun mit Puderzucker.

Und Du, der oder die Du das hier liest, vielleicht bewegt bist oder nachdenklich: Wo hast Deinen Platz gefunden oder suchst ihn gerade selbst? Wie fühlt sich Puderzucker an und wer bist Du, wenn Du DU bist?

Schreibe mir gern.

(*Anmerkung für alle lesenden Väter: fühlt Euch ebenso angesprochen und bewegt. Ich schreibe gerade einfach aus dem Herzen meines Mamaseins.)

Von Herzen, Deine Jacqueline Christine Sohns

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Jacqueline Christine Sohns
Jacqueline Christine Sohns

Ums Seelenflüstern geht es in meinen Begleitungen; herzöffnend, empathisch und nährend. Es ist Energie, die wirkt und ein energetisches Lösen und in Deinem inneren Feld aufräumen. Es ist wie Licht in das zu geben, was Dich gerade stagnieren lässt. Seelenwege, Familienthemen, Innere Kinder, Erkrankungen oder einfach Fragen, auf die Du schon lange nach Antworten suchst. Melde Dich gern! https://www.jacquelinesohns.de

7 Kommentare

  1. ….mir kommen die Tränen beim Lesen, liebe Jaqueline, bin sehr berührt, bewegt……und mir kommt „hineinsterben leben“ für Euer Beziehungswandeln in den Sinn…..ein achtsames Navigieren für Eure Übergangszeit als Familie wünsche ich Euch…..bis zu Eurer „Neuaufstellung“ möge Euch Eure innige Verbindung und Verbundenheit ein wesentlicher Anker und Ausgangspunkt sein…..“meinen Platz“ fand und finde ich in meinem Leben immer wieder neu durch Entrümpeln, Ausmisten,Neubewerten/-Gestalten von Dingen & Zeugs, Klamotten, Wohn/Lebensraum, weil mich das auch in meinem inneren Wandel unterstützt und ich ganz bewußt Abschied nehmen kann im Würdigen, was vergeht und Bewahren, was ab nun noch zu mir gehört…..und, wenn ein Lebensabschnitt endet, schneide ich mir die Haare ganz kurz…was mir zu einem befreienden Ritual geworden ist….
    DANKE ❤️ 💕 💞 🥰 für Dein Teilen und Alles Liebe zu Dir & Deiner family,
    Von Herzen
    Dagmar

  2. Wow was für ein schöner Beitrag. Ich habe Gänsehaut am ganzen Körper. Einfach echt und aus dem Herzen. Ich habe mich an meine Zeit erinnert als ich damals ausgeflogen bin. Das war ein Abenteuer. Danke fürs teilen 🙏🏽

  3. Vielen Dank für diesen wunderschönen, berührenden Text. Wir stehen noch relativ am Anfang der Reise – gerade kurz vor der Geburt der 2. Tochter. Immer wieder vor neuen Herausforderungen und überrascht von der Intensität dieser großen Aufgabe. Doch die Endlichkeit dieser Zeit mit den Kindern gibt mir Kraft und Mut auch in schwierigen Momenten diese Zeit zu genießen und an den Aufgaben zu wachsen.

  4. Das ist sehr schön beschrieben. Ich habe Geburt und Abschied beim Flügel ausbreiten schon hinter mir. Nun vor 2 Jahren ein Willkommen der kleinen Enkelin ❤️.
    Immer wieder spannend diese neuen Lebensabschnitten mit allen Höhen und Tiefen.
    Die tiefe Verbundenheit blieb aber all die Jahre und das ist das Schönste, vor allem wenn Frau das selber mit ihren Eltern nicht erlebt hat. 🥰
    Vielen Dank für diesen Text
    Angelika

  5. Liebe Jaqueline,
    Dein Mitteilen hat mich sehr erinnert an den tiefen Schmerz, nach dem Auszug der 2.ten Tochter. So verwirrend, die Lähmung, trotz aller Loslasswünsche, – Rituale. Zuzulassen, durch diesen Schmerz zu gehen und wieder zu mir zu kommen war mir nur dank vieler Gespräche mit älteren Müttern möglich. Es war wie Geburtsschmerz. Da musste ich durch. Dieses Loslassen konnte die tiefe Verbindung zu meinen Töchtern verstärken . Auch die Bindung zu mir selbst, zu den Frauen und zu allen Wesen der Welt.
    Ich danke Dir.
    Namaste
    Monika

  6. Liebe Jacqueline- Tränen kullern… so ganz unerwartet, beide Söhne am Fliegen und immer wieder Nestwärme holen – ich denke immer wieder „Ich bin gut im Los-lassen“ und dann kommen doch die Gedanken der Geburten, wie klein und schutzbedürftig- jetzt „groß und mächtig“ ☺️ und so ganz kurz „nochmal so klein in den Armen halten- zusammengekrümelt auf dem Schoß sitzen“ fühlen wollen- gleichzeitig die Liebe, sie frei ziehen zu lassen und wieder zu mir zu finden, zu diesem Puderzucker- das ist eine schöne Vorstellung – danke 🙏🏽 für deine Worte 🦋 🫶

  7. Sehr berührt sitze ich nun hier, nach dem Lesen des Textes.
    Ich bin mitten drin im Prozess, er schleicht sich gerade an.
    Und da sind Gefühle in mir die ich an manchen Tagen kaum aushalte,
    Sehnsucht nach dem gemeinsam Bilderbuch ansehen und vorlesen, staunend und kuschelnd auf dem Sofa.
    Aufkommende schöne Erinnerungen an lustige Wortkreationen im Kleinkind Alter, freudiges Geschenke Auspacken an Weihnachten und Geburtstagen, schöne Urlaubs Erlebnisse.
    Wie es sein wird für mich nach dem Ausfliegen ? Ich weiß es noch nicht.

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