Gedanken zu „Eigenverantwortung und Schuldzuweisung“

Eine persönliche Reflexion von Andrea Thomas. Wenn ich auf das vergangene Jahr zurückblicke, spüre ich, dass das Thema Verantwortung für viele Menschen – und auch für mich selbst – eine neue Tiefe gewonnen hat. Verantwortung zu übernehmen bedeutet, das eigene Leben bewusst in die Hand zu nehmen, anstatt andere für das eigene Erleben verantwortlich zu machen. Es heißt, Entscheidungen zu treffen, ihre Folgen zu tragen und aktiv zu gestalten, statt sich als Opfer der Umstände zu sehen.
Im äußeren Leben scheint Verantwortung selbstverständlich: Wir kümmern uns um Familie, Beruf, Finanzen, führen Fahrzeuge, treffen Entscheidungen und vieles mehr. Doch darunter liegt eine tiefere Ebene – eine, auf der wir mit den Augen unserer Seele auf unser Leben blicken. Dort stellt sich die Frage: Bin ich wirklich auf meinem Weg? Oder folge ich Erwartungen, die andere an mich stellen?
Ein Zitat von Rumi erinnert mich daran, worum es im Kern geht:
„Du hast eine Aufgabe zu erfüllen. Du magst tun, was du willst, magst hunderte von Plänen verwirklichen, magst ohne Unterbrechung tätig sein – wenn du aber diese eine Aufgabe nicht erfüllst, wird all deine Zeit vergeudet sein.“
Diese Worte führen mich zu der Erkenntnis, dass wahre Verantwortung nicht nur bedeutet, Pflichten zu erfüllen, sondern der eigenen inneren Wahrheit treu zu bleiben – jener Aufgabe, die nur meine Seele kennt.
Wenn ich meine Eigenverantwortung ablehne, gebe ich meine Kraft aus der Hand. Dann erkläre ich andere für schuldig: die Eltern, das System, die Politik, das Wetter, den Partner. Doch in Wahrheit mache ich mich damit klein. Ich werde zum Opfer meines Lebens und verliere den Zugang zu meiner Gestaltungskraft. Solange ich glaube, die Macht liege außerhalb von mir, bleibe ich gefangen im Gefühl der Ohnmacht und mache mich handlungsunfähig.
Der Moment, in dem ich Verantwortung wieder zu mir zurückhole, ist ein Moment tiefen Aufatmens. Ich spüre, dass ich handeln, verändern, gestalten kann. Verantwortung ist keine Last – sie ist Befreiung. Sie schenkt mir Selbstwirksamkeit und eröffnet Räume für Wachstum.
Natürlich ist es bequemer, in der Schuldzuweisung zu bleiben. Solange jemand anderes verantwortlich ist, muss ich selbst nichts tun. Doch der Preis dafür ist hoch: Mein Leben bleibt starr, unbewegt und eng. Ich verweigere mich dem eigenen Sein.
Ich erinnere mich an eine Zeit, in der mir schmerzlich bewusst wurde, dass Schuldzuweisung ein Verrat am eigenen Leben ist. Diese Erkenntnis traf mich tief und brachte eine tiefe, zunächst undurchsichtige Traurigkeit mit sich. Mit der Zeit erkannte ich, dass es sich um die „Traurigkeit über mein nicht gelebtes Leben“ handelt. Doch in diesem Schmerz lag auch ein Geschenk: Ich begann zu spüren, dass Verantwortung Liebe ist – Liebe zu mir selbst und zu dem, was durch mich ins Leben kommen will. Mit jedem Schritt der Eigenverantwortung wächst das Vertrauen:„Ich werde es schaffen. Ich kann etwas bewegen. Ich bin geführt!“
Wir alle sind geübt im Jammern und Projizieren. Doch als Erwachsene haben wir die Freiheit, uns selbst ehrlich zu begegnen. Es braucht Mut, Masken fallen zu lassen und Verantwortung anzunehmen – nicht aus Pflicht, sondern aus Liebe zum Leben.
Schuldzuweisung führt uns nicht in Freude oder Frieden. Verantwortung hingegen führt uns nach Hause – zu uns selbst.
Ich möchte jeden ermutigen, diesen Weg zu gehen. Es ist kein leichter Weg, aber ein wahrhaftiger. Wer bereit ist, Verantwortung für sein Leben zu übernehmen, findet inneren Frieden – und trägt zugleich zu mehr Frieden auf dieser Erde bei. Denn Verantwortung, in ihrer tiefsten Form, ist nichts anderes als ein Akt der Liebe!





