Ein zärtlicher Raum
Eine neue Zärtlichkeit wohnt in mir. Sie hat einen Raum geöffnet, den es vorher nicht gab. Nun ist er da. Es ist ein großer, heller Raum, mit Holzparkett und hohen Decken. Mit Fensterflügeln, die zum Garten offen stehen und zu ihrer rechten und linken Seite schwingen die etwas vergilbten Stores sanft im Wind. Überall im Raum sehe ich buntes Sitzmobiliar – Stühle, Bänke und Sessel, Chaiselongues und Sofas, Schaukelstühle und Yogakissen.
Dort dürfen meine Gefühle Platz nehmen – dürfen sein, wo sie wollen. Ich kann ihnen als Besuchern jetzt endlich (einen) Raum geben, ohne sie auf mich zu beziehen. Wut sitzt neben Ungeduld, Trauer thront neben Ohnmacht. Freude, Leichtigkeit und Staunen – sie alle haben dort Platz – so wie sie sind, in rosa Jogginganzügen, Festkleidern oder dunklen Kutten. Sie bringen Handkarren mit, Koffer, Rucksäcke oder kleine Beautycases – womit auch immer Gefühle halt so daher kommen. Manche schleppen Gepäck, als würden sie für immer bleiben – andere scheinen eine Stippvisite machen zu wollen, haben nur einen Wanderstock dabei.
Dieser neue Raum ist kein Abstellraum – Gott bewahre! Er ist ein Lebensraum, ein Schauraum, in dem niemand geparkt wird, um dann vergessen zu werden und einfach weiterzumachen. Hier reisen Empfindungen, Empfindlichkeiten und Emotionen an, um da zu sein. Einfach so. „Magst du hier Platz nehmen?“, frage ich die Ungeduld, die mich heute Nachmittag plötzlich befiel und biete ihr einen Ohrensessel am Kamin an. „Einen Tee? Vielleicht mit Lindenblüten?“, frage ich. „Gerne, wenn’s schnell geht,“ erwidert sie. Da müssen wir beide lachen. Und die Selbstzweifel, die seit gestern auf der Fensterbank sitzen, um draußen all die zu sehen, die besser, klüger und schöner sind, lachten gleich mit.
Es ist etwas ganz Besonderes mit diesem Raum, etwas, das ich noch nicht verstehe. Er macht eine neue Leichtigkeit möglich, obwohl ich doch eigentlich mehr mit mir rumschleppe, mit den ganzen Gefühlen, die da in meinem inneren Raum rumsitzen? Diese ganze Gefühlslast – eine Plage. Sagt man doch so, oder? Aber so ist es nicht – es ist Zuflucht, Zärtlichkeit und Offenheit in mir, seit ich diesen Raum habe. Oder seit ich ihn entdeckt habe, denn wahrscheinlich war er wohl immer ein Teil von mir. Ich fühle mich vollständiger, vollzähliger vielleicht – als ob mein inneres Team, das vorher nur im Business-Outfit mit Aktenordner zu Besuch war, endlich angekommen ist.
Und ich stelle fest, dass auch Gefühle, die ich lange abgelehnt hatte oder mir nicht eingestehen wollte, eigentlich ganz nett sind – der Neid, zum Beispiel. „Neidisch? Ich? Nein, diese Eigenschaft habe ich nicht.“ Sagte ich. Und meinte es auch so. Und jetzt sitzt der Neid in meinem Raum auf einem grünen Samtsofa, liest „Yellow Press“ und darf mir ab und zu erzählen, dass andere besser schreiben und schon sieben Spiegelbestseller veröffentlicht haben. Manchmal setze ich mich neben ihn und höre zu, wie er mir Geschichten aus der Welt der Anderen vorliest. Und dann mache ich weiter mein Ding.
Seit sie alle ihren Platz haben, ist es in mir viel ruhiger geworden in. Es herrscht nicht mehr so ein hektisches Kommen und Gehen, nix muss bewältigt oder verarbeitet werden, wie diesen Herbst die zehn Kilo Äpfel von unserem einen Apfelbaum im Garten, die jetzt in einer Glasreihe im Keller stehen. Meine Gefühle müssen nicht mehr ins Glas, nicht in Reih und Glied. Sie dürfen ihren Raum behalten, ihren zärtlichen Raum, in dem – wenn man genau hinschaut – ein großes JA im hölzernen Mosaik des Bodens eingelassen ist.
wunder-wunderschön!! ein unglaublich schönes bild! DANKE.
Liebe Andrea,
sooo berührend schön! Ich merke, wie es in mir weit wird und ebenfalls Raum entsteht. Geräumig und zart. Danke❣️Du zeichnest ein Bild mit deinen Worten, das sofort mein Herz ruhig und weit macht. Herzgrüße, Anne
….da schließe ich mich entzückt an, liebe Andrea….🥰…Danke ❤️ 🌟
…. auch dafür,daß Du „Intutiv schreiben“ so beherzt vorlebst und uns daran hier teilhaben läßt…..auch Deine Anleitungen und Impulse (in Deinen kostbaren Newslettern) verhalfen mir in diesem Jahr, meine (Trauer)GefühleWellen auf vertieftere und differenzierter Weise in meinen Morgenseiten zu verarbeiten….woraus eine segensreiche, tragende Gewohnheit entstand…..🌟 💞
Frohe WinterRuheZeit 🌟 und einen guten JahresAbschied 🌟 ✨️
🌃 Alles Liebe und Gute,
Dagmar
Gefühlswelt wunderschön zärtlich beschrieben.. Dankeschön 🥰
Liebe Andrea, Danke Dir für diesen gastfreundlichen Raum für all diese Gefühle in und um uns. Gastfreundschaft befreit.💃 Danke !💖
Liebe Andrea,
Danke ❣️ mir wird ganz warm ums Herz beim Lesen deiner Worte. Gut zu wissen um diesen Raum, in dem soviel Herzenswärme ist. ❤️
Danke ❣️ 🙂
Liebe Andrea,
Dein Bild dieses wunderbaren Raumes hat mich tief berührt und eine Möglichkeit eröffnet wirklich allen Gefühlen und Befindlichkeiten einen Platz zu geben. Danke Dir dafür 🫶.
Soviel Liebe für alle… jede und jeder darf sein… ist das schön… danke…
Liebe Andrea, was für ein schönes und großartiges Bild!
Verstehe ja nicht dass der Neid meint andere würden besser schreiben…
Werde mir auch so einen Raum einrichten.
Herzliche Grüße Vera