Rücklicht: Wolfgang Herrndorf
Ich hab ihn nicht gekannt. Ich hab seinen Bestseller Tschick nicht gelesen. Ich habe sein Sterben nicht begleitet. Doch jetzt lese ich seit Tagen in seinem Blog Arbeit und Struktur und bin tief berührt. Wolfgang Herrndorf hat wie kaum ein anderer seine letzten Jahre im Ringen mit dem Leben und dem Tod transparent gemacht. Danke.
11.8. 2013 12:01
August, September, Oktober, November, Dezember, Schnee
Jeder Morgen, jeder Abend. Ich bin sehr zu viel.
16.7. 2013 5:11
Gehe zum See baden.
Nachdem ich ein Posting im Forum abgesetzt habe, ob einer wach ist und mit will. Klar niemand wach. Wobei, ich gehe auch lieber ohne Begleitung, der Morgen gehört mir allein. Von der Steinstufe in den See, quer durchs Wasser, scheiß auf Epilepsie. Zurück, mühsam die Steinstufe hoch. Unfreiwillig rücklings wieder reingefallen. Nochmal und nochmal. Mußte mir niemand helfen. War auch keiner da. Körperlich gleich besser ohne Chemo.
Durch den Waldweg aus Holz und Harz: Ein langvergessener Geruch. Das sind die seit 40 Jahren abgehackten Lärchen im Garten meiner Großmutter.
Ampel Seestraße. Zwei Läufer strahle ich breit an, kurz davor, ihnen mitzuteilen, wie groß mein Glück heute ist.
30.4. 2013 21:18
Die Krebskur nach Rudolf Breuss richtig gemacht!
Wenn das Lächeln meine Seele streichelt
Was ich mir wünsche ist ein Clown
Ich mal mir ein Tor zum Himmel
Fliege nicht eher als bis dir Federn gewachsen sind
Wie ein Schiff im Sturm
Morgen bin ich wieder da
Und trotzdem mal ich mir ein Lächeln ins Gesicht
Arbeit und Struktur
2010 hatte der gebürtige Hamburger Herrndorf mit seinem Roman „Tschick“ den Überraschungserfolg des Jahres gelandet. Das Buch stand monatelang auf den Bestsellerlisten, erhielt den Deutschen Jugendliteraturpreis 2011 und hat sich inzwischen mehr als eine Million mal verkauft. Die abenteuerliche Lada-Fahrt der beiden Freunde Maik und Andrej quer durch Ostdeutschland rührte viele Leser ans Herz. „Ein großartiges Buch, egal, ob man nun dreizehn, dreißig oder gefühlte dreihundert ist“, befand die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“. Am späten Abend des 26. August 2013 wählte der 48jahrige in Berlin den Freitod. Sein letzter Roman Isa und der Blog als Buch werden wohl posthum veröffentlicht werden.