Manifest für Menschlichkeit

Foto: © 2017 Concorde Filmverleih GmbH / Jake Giles Netter

Seit Anfang April ist die Verfilmung des spirituellen Weltbestsellers „Die Hütte – Ein Wochenende mit Gott“ des kanadischen Autors William Paul Young (61) in den deutschen Kinos zu sehen. Darin verbringt die Hauptfigur „Mackenzie“ oder „Mack“ nach der Entführung und dem Tod seiner Tochter „Missy“ ein denkwürdiges Wochenende in einer Hütte und begegnet dabei auch „Papa“ – Gott in Gestalt einer fröhlichen, liebevollen, gern kochenden afro-amerikanischen Frau.

Dazu trifft er Jesus als hebräischen Handwerker und den Heiligen Geist in Gestalt der Asiatin Sarayu („Wind“). Im Interview mit Hildegard Mathies spricht Young, der aus einer Missionarsfamilie stammt und die ersten Lebensjahre im damaligen Niederländisch-Neuguinea beim Volk der Dani verbrachte, unter anderem über das wachsende spirituelle Bewusstsein unserer Zeit, die junge Generation und ihren Willen zum Wandel – und über sein eigenes Verhältnis zu „Papa Gott“. Und er hält ein leidenschaftliches Plädoyer dafür, sich jetzt im Geiste Jesu zu vereinen – ein Manifest für die Menschlichkeit.

Die Hütte ist ein sehr spirituelles und sehr persönliches Buch. Wie war es für Sie, Ihre Romanfiguren auf der Leinwand lebendig werden zu sehen?
Young: Es war ein surreales Wunder! Auch wenn die Geschichte ein sehr persönliches Ereignis erzählt, bin ich zutiefst dankbar für den Genius, den andere in den Film eingebracht haben. Die Kraft des Films zeigt, dass jeder Beteiligte schon tief mit dem Inhalt befasst war. Ich hatte gar nicht erwartet, eingebunden zu sein, aber Lionsgate (die Filmfirma – Anm.d.Red.), Gil und Lani Netter (die Produzenten), Stuart Hazeldine (Regie) und alle anderen haben mich in das Projekt aufgenommen, und für diese Liebenswürdigkeit werde ich immer dankbar sein.

Hat Sie im Ergebnis etwas überrascht? Haben Sie selbst neue Einsichten bekommen?
Young: Einige Szenen sind im Film kraftvoller, mit Nuancen, die mich überrascht haben. Ein visuelles Medium hat eine Wirkung, die uns auf eine Weise berührt, wie es Worte nicht vermögen. Worte neigen dazu, eine ziemlich enge, periphere Vorstellung zu erwecken, und der Leser baut seine eigenen Elemente in sie ein. Aber in einem Film erscheinen Dinge in einer Breite, die dem Zuschauer buchstäblich ein größeres Bild erlauben.

Geben Sie uns doch bitte ein Beispiel dafür.
Young: Eine meiner Lieblingsszenen im Film ist, wenn Mackenzie und Jesus den See überquert haben. An diesem Punkt des Spannungsbogens beginnt Mack kleine Schritte in seiner Beziehung zu Gott zu machen. Jesus und er reden darüber, wie es ist, bedingungslos geliebt zu werden, und Mack gibt zu: „Ich glaube nicht, dass ich das je gefühlt habe.“ Jesus antwortet: „Zieh dir die Schuhe wieder an, und ich zeige dir, wie es ist.“ Dann weist er Mackenzie an, einem Pfad zu folgen, einer Treppe an der Flanke eines Berges. „Wenn du zum Ende kommst…geh weiter.“ Mack sagt: „Gehst du mit mir?“ Jesus schüttelt seinen Kopf und sagt: „Es gibt Wege, die nur du gehen kannst.“

Was berührt Sie daran besonders?
Young: Hier ist die schönste Szene, die für mich aus vielen Gründen zutiefst bedeutsam ist: Mackenzie, dessen Gesicht schon dem Berg zugewandt war, stoppt – und Sie können die widerstreitenden Gefühle in ihm sehen – und sagt leise: „Ich dachte, du hättest gesagt, dass du mich niemals verlässt.“ „Und das meinte ich auch so“, antwortet Jesus. „Vertrau mir.“ Je mehr ich über diese Szene nachdenke, umso mehr liebe und schätze ich sie. Es gibt Zeiten, in denen wir in unsere Dunkelheit eintreten und mit ihr umgehen müssen, und wir spüren dann die Gegenwart Gottes, die Gegenwart Jesu nicht. Aber das heißt nicht, dass Gott uns verlassen und aufgegeben hat. Es bedeutet, dass es eine Tiefe des Vertrauens gibt, die nicht auf unseren Sinnen, unserer Wahrnehmung basiert – sondern auf dem Wissen um Gottes Wesen. „Vertrau mir!“ – das spricht auch unsere wesentliche Mitwirkung und die Natur unserer Entscheidungen an. Gott wird uns nicht ohne unsere Mitwirkung heilen. Absolut tiefgründig.

Viele Menschen befinden sich derzeit in einem Prozess des spirituellen Erwachens, es gibt ein neues Bewusstsein für Spiritualität und die Einheit allen Seins. Aber es scheint schwierig zu sein, das Leben wirklich im Kern zu verändern, Geist und Mut aufrecht zu halten und dem Weg weiter zu folgen. Kann die Botschaft von „Die Hütte“ Menschen auf ihrem persönlichen Weg helfen?

Young: Das kann sie gewiss und hat es auch schon getan. Aber mein Werk und das, was andere damit durch andere Medien ausdrücken, ist nur ein kleiner Teil dessen, was ich in der Welt wahrnehme. Das, was sich ereignet, geht viel weiter. Für lange Zeit haben wir Menschen das Universum in das Heilige und das Weltliche geteilt, und wir haben oft das Herz vom Verstand geschieden. Das wandelt sich gerade – und es wandelt sich schnell. Die jüngere Generation ist eine fantastische Gemeinschaft, die sich tiefgehend mit Kultur befasst und daran arbeitet, Grenzen zu überschreiten, die wir, die Älteren, errichtet und aufrecht erhalten haben. Die Jungen wollen Teil von etwas sein, das die Welt zum Besseren verändert, und sie sind nicht in Strukturen und Institutionen gefangen. Ich glaube, „Die Hütte“ hat vielen Menschen eine Sprache gegeben, um über Gott zu sprechen und darüber, was es heißt, menschlich zu sein. Eine Sprache, die nicht religiös ist, sondern beziehungsorientiert.

William Paul Young © Torge Niemann 2011

Wie ist Ihre persönliche Beziehung zu „Papa“, zu Gott? Und wie sieht Ihr persönliches spirituelles Leben aus?
Young: Meine persönliche Beziehung zu „Papa Gott“ ist ganz einfach. Wie Jesus im Film sagt: „Religion ist zu viel Arbeit.“ Ich bin buchstäblich in der Religion aufgewachsen und ich verstehe daher diese Aussage. Auch wenn ich nicht versuche, Spiritualität in mein Leben zu integrieren, und es auch nicht tue, so nehme ich doch an, dass mein tägliches Leben sehr spirituell ist. Viel zu lange haben wir kostbaren menschlichen Wesen weisgemacht, dass es eine Hierarchie gibt, nach dem „Wert“, den jemand hat, und dem „Beitrag“, den er leistet: Derjenige mit einem religiösen Beruf ist „mehr wert“ als die Putzkraft. Jetzt, da wir beginnen, flüchtige Blicke in die Wirklichkeit zu erhaschen, in der es keine Trennung von geheiligt und weltlich gibt, bekommt plötzlich das ganze Leben einen Sinn. Jeden Tag, in unserem Mutter- und Vatersein, beim Auto fahren und bei unserer wissenschaftlichen Arbeit, im Spiel und im Kreativ Sein, bei den zahllosen Weisen, auf die wir dienen, in unserem Kochen und Sauber Machen und in unserer Fürsorge für die, die nicht für sich selbst sorgen können, und auf Milliarden anderen Wegen haben wir Anteil am eigentlichen Leben des Guten – eines Guten, das von dem Einen stammt, der das Gute ist.

Sie sind als eines von vier Kindern eines Missionarsehepaares aufgewachsen und haben eine zweite Familie im Volk der Dani im heutigen Westneuguinea gefunden. Was hat Sie diese Zeit gelehrt über das Leben in der Einen Welt, wie Gott sie geschaffen hat?
Young: Als „Drittkulturkind“ beziehungsweise Missionarskind aufzuwachsen, hat mir einige wundervolle Geschenke beschert – aber auch eine große Traurigkeit. In einem multi-kulturellen Umfeld erzogen worden zu sein, macht es mir leicht, mich in verschiedene Kulturen hinein zu bewegen und wieder hinaus. Und es macht es mir – verglichen mit denen, die nur einer einzigen dominanten Kultur ausgesetzt waren – leicht, die Dinge von außerhalb unserer „Box“ zu betrachten. Ich denke, das schenkt uns, die wir ethnische und kulturelle Vielfalt erlebt haben, eine gewisse „Offenheit“ für die Welt. Aber die ständige Entwurzelung hat auch dazu geführt, dass die Frage der Zugehörigkeit eine Herausforderung für uns ist. Viele von uns haben niemals das Gefühl, irgendwohin zu gehören, wenn sie niemanden oder nicht den Einen oder die Eine finden, zu dem oder zu der sie gehören.

Wenn wir im Moment auf unsere Welt blicken, dann gibt es viele Gründe zur Besorgnis, aber auch viele Gründe zur Hoffnung. Was ist Ihre Hoffnung für die Welt?
Young: Das ist eine große Frage! Es gibt viele von uns, die glauben, das das Zentrum und die Quelle allen Seins eine Einheit der sich selbst hingebenden, auf den anderen zentrierten Liebe ist. Wo es keine Hierarchie der Macht gibt, keine Hierarchie der Werte und keine Hierarchie des Respekts. Auch wenn man nicht an das glaubt, was viele von uns glauben, dass Jesus die Inkarnation dieser sich selbst hingebenden, auf den anderen ausgerichteten Liebe ist, die Erfüllung einer Absicht vom Anbeginn von Raum, Zeit und allen Seins an – um sich ganz mit uns gleich zu machen –, dann kann man immer noch an den „Geist“ von Jesus glauben: die Demut, die unsere gemeinsame Geschichte als Menschheit umschließt, die Offenheit, im Angesicht des „Anderen“ zu wandeln, die Risiken, gemeinsam nach besseren Wegen und mehr Verständnis zu suchen, der Mut, unsere Urteile und Vorurteile auszusetzen, während wir die Dunkelheit angreifen, die in unseren eigenen Herzen wohnt.

Was heißt das konkret?
Young: Ich denke, es ist an der Zeit – Zeit für die Heilung. Zeit, sich im „Geiste“ Jesu zu verbinden, der es von sich gewiesen hat, die Geschmähten und die weniger Glücklichen anders als mit tiefer Würde zu behandeln. Der menschliche Wesen und vor allem unsere Kinder niemals wie Rohstoffe und Waren behandeln würde, die man kauft oder verkauft, oder die man zur Sklaverei oder für das „Vergnügen“ auspresst. Es ist Zeit, dass wir zugeben, dass wir nichts verstehen, aber bereit sind zu lernen. Dass wir unsere Hände öffnen, anstatt sie zu Fäusten zu ballen. Und es ist Zeit, jede Hierarchie von Werten aufzugeben, die unsere Unterschiede katalogisiert, als Basis für Respekt. Es ist Zeit, unsere Waffen in Pflugscharen umzuschmieden, für das Allgemeinwohl – und nicht nur für unsere eigenen kleinen, unsicheren Anteile daran. Es ist Zeit für ein Rechtssystem, das etwas wiederherstellt und heilt – und nicht die Menschen an den Rand stellt und bestraft. Es ist Zeit für die Mächte, die sich vor einfachen und individuellen Taten der Demut und Güte verneigen. Es ist Zeit, die Geschichte und die Kultur des „Anderen“ als etwas zu respektieren, das es zu schätzen und zu schützen gilt. Und es ist Zeit, die Grausamkeit des Herzens und des Verstandes genauso zu beenden wie die der Hände. Es ist Zeit zu träumen…gemeinsam!

Interview: Hildegard Mathies
Das Interview erschien zuerst in der unabhängigen Wochenzeitung „Neues Ruhr-Wort“, www.neuesruhrwort.de
Mehr Info zum Film unter www.diehuette-film.de
Fotos: © 2017 Concorde Filmverleih GmbH / Jake Giles Netter

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