Geboren, um zu leben

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oder was es heißt ein alleingeborener Mehrling zu sein. Von Alexandra Thoese Diesen Beitrag widme ich einem Thema, welches mich selbst betrifft. Es ist das Thema des alleingeborenen Zwillings (Mehrlings). Schätzungsweise sind weit mehr als 20 % aller Schwangerschaften, zu Beginn Mehrlingsschwangerschaften.

In den meisten Fällen verläuft dies unbemerkt. Häufig gibt es keinerlei Blutungen, da der verstorbene Zwilling sich auflöst oder einkapselt.

Ungefähr ab der 10. Woche hört der Embryo nicht nur die Stimme der Mutter, sondern auch das Herzklopfen des Geschwisterkindes. Es fühlt die Berührung und die Verbindung zum anderen. Wenn sie älter werden, kommunizieren und spielen sie miteinander. Doch nicht immer kommen beide Zwillinge zur Welt. Einer von beiden beendet die gemeinsame Reise und stirbt – vielleicht weil er zu klein, zu schwach oder nicht lebensfähig ist. Oder auch weil er/sie ein Begleiter auf der Reise ins Leben war und nicht geboren werden sollte. Der überlebende Zwilling begreift nicht, was geschehen ist.

Alleingeborene Zwillinge erleben vermehrt Gefühle von Einsamkeit, Getrenntheit, Sehnsucht, Eifersucht, Ohnmacht oder auch Anzeichen von Selbstsabotage, was das eigene Leben angeht. Beziehungen wollen nicht gelingen, im Beruf klappt es nicht so, wie man möchte und man fühlt sich ruhe- oder gar heimatlos. Oftmals ist der alleingeborene unbewusst auf der Suche nach seinem Zwilling im außen. In Beziehungen kann es sich durch das Bedürfnis nach Verschmelzung/Innigkeit äußern – mehr als der Partner zu geben vermag. 

Einige haben das Gefühl, nur mit halber Kraft zu leben oder für zwei oder drei zu arbeiten. Tiefe, unbegreifliche Schuldgefühle (Überlebensschuld) begleiten manche Menschen, die diese Erfahrung gemacht haben. Es kommt vor, dass allein geborene Zwillinge, Menschen in ihrem Umfeld mit ihrem verstorbenen Zwilling verwechseln. Bei einer Verwechslung versuchen sie unbewusst die Nähe herzustellen, die sie im Mutterleib erlebt haben.

Allein geborene Zwillinge haben häufig Angst vor Trennungen. Manch eine/r geht keine Beziehung ein, aus Angst vor zu viel Nähe. Diese Ängste binden Energie und drosseln die Lebenskraft. In der Forschung unterscheidet man zwischen Flucht- oder Schmelzzwillingen, wobei man auch beide Tendenzen in sich tragen kann. Dies äußert sich in Beziehungen manchmal unter dem Phänomen: „Ich kann nicht mit, aber auch nicht ohne sie/ihn“.

Einige allein geborene Zwillinge erleben ein Gefühl der Abspaltung von ihren Emotionen/ihrem Körper oder haben große Angst „Alles zu fühlen“, aus der Sorge heraus den Schmerz nicht ertragen/überleben zu können. So kann es zu einer Einkapselung der Emotionen kommen und manch einer empfindet sich als „Zombie“ im Leben. Die Sehnsucht nach Lebendigkeit, nach tiefem „Fühlen können“ und Verbundenheit bleibt. Gleichzeitig gibt es vermehrt hinderliche Glaubenssätze wie z.B. „Ich darf nicht glücklich sein“ oder „Das habe ich nicht verdient“. Manche glauben sie seien „schlechte Menschen“ und hätten das Leben, Erfolg, eine Familie, einen Partner nicht verdient. Der Schmerz des Alleinseins ist tief.

»Ich warte … und weiß gar nicht, worauf«

Für Eltern von allein geborenen Zwillingen, ist oftmals nicht erkennbar, was einem Baby fehlt, wenn es viel weint, nicht in den Schlaf findet oder als Kind einen unsichtbaren Freund*in hat. Das energetische Loch, können Eltern nicht füllen. Daher fühlen sie sich häufig hilflos, auch wenn sie alles erdenkliche für das Baby tun. Das bedeutet natürlich nicht, dass hinter diesen Reaktionen eines Kindes, immer eine Zwillings Thematik steckt! Auch leidet nicht jeder allein geborene Zwilling unter der Trennung.

Es gibt unterschiedliche Möglichkeiten um herausfinden, ob es dein Thema ist:
Zwei davon sind Aufstellungsarbeit oder Kinesiologie.
Und manch eine/r spürt es einfach in sich.

Der Weg zur Heilung geht aus meiner Sicht, über die Bewusstwerdung. Der Wunsch sich dem Thema zu öffnen, zu fühlen, was gefühlt werden möchte, zu betrauern, was betrauert werden möchte und zu integrieren, was integriert werden möchte. Langsam kann sich so das energetische Loch schließen und es darf heilen. Hierfür braucht es vor allem Zeit und manchmal eine erfahrene Begleitung durch einen Therapeuten oder Coach.



Merkmale allein geborener Zwillinge

  • Ich fühle mich schnell verantwortlich für das Wohlbefinden anderer.
  • Ich finde meinen Platz im Leben nicht.
  • Mich versteht niemand. Ich bin anders als andere.
  • Ich warte und weiß nicht worauf.
  • Ich fühle mich oft schuldig.
  • Ich habe große Angst verlassen zu werden.
  • Manchmal möchte ich nicht hier im Leben sein.
  • Ich fühle mich oft einsam und allein, auch in Gesellschaft oder innerhalb meiner Familie.
  • Irgendetwas fehlt mir im Leben.
  • Ich verdiene es nicht geliebt zu werden.
  • Ich fühle mich innerlich taub.

Es gibt viele Ansätze, die die Zwillingsforschung mit der Hochsensibilität verbinden. Für mich ist dieser Ansatz stimmig, denn Zwillinge sind häufig sehr feinsinnig und verfügen über ausgeprägte Sinneswahrnehmungen. Sie spüren wie es dem anderen gerade geht. Die Empathiefähigkeit von Zwillingen ist sehr ausgeprägt. Man spricht manchmal von telepathischen Fähigkeiten unter Zwillingen. 

Wenn dich das Thema des allein geborenen Zwillings berührt, dann ist es vielleicht auch deines. Es lohnt sich, dem nachzugehen, um Heilung und Integration zu erfahren. Doch entscheide achtsam für dich, wann du bereit bist, dich diesem Thema zu widmen. Das ist sehr wichtig, denn sonst überforderst du dich.

Ich bin ein allein geborener Drilling. Mein Heilungsweg geht weiter und ich bin dankbar für die Unterstützer an meiner Seite. Ich bin dankbar für die Begleitung durch meiner ungeborenen Geschwister, die mir ihre Botschaft liebevoll und klar genannt haben: Du bist hier um zu leben!

Zum Schluss möchte ich dieses Gedicht von mir mit dir teilen:

Lange suchte ich im außen

nach dem verlorenen Anteil in mir.

Lange suchte ich nach Einheit
und Gleichheit im Anderen.

Lange spürte ich Schmerz und Einsamkeit,

gepaart mit Trauer und Hoffnungslosigkeit.
Erst als ich zuließ,
zu sehen was zu sehen war,

zu fühlen was zu fühlen war,
zu hören was zu hören war,

konnte ich spüren,
was verloren schien.

Erst als ich in die Tiefe sah,
erkannte ich das alles

vollständig und niemals ohne dich war.
Heute sehe und spüre ich dich in mir.

Heute weiß ich dich neben mir.

Heute weiß ich, ich bin nicht allein.

Heute weiß ich, wie es ist ganz mit dir bei mir zu sein.

© Alexandra Thoese

Alexandra Thoese

Zur Person: Alexandra Thoese begleitet als Mentorin hochsensible Menschen auf ihrem Herzensweg und in ihre Kraft. Eines ihrer Herzensanliegen ist es, Kindern ein Feld der Entfaltung mit ihrem sensiblen Sein zu ermöglichen, indem sie Eltern berät und Vorträge, sowie Workshops mit einer Kooperationspartnerin zum Thema Hochsensibilität anbietet. Hier findest du weitere Informationen: https://alexandrathoese.de sowie https://www.facebook.com/MentoringHochsensible.

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8 Kommentare zu “Geboren, um zu leben
  1. Imke Rosiejka sagt:

    Liebe Alexandra!
    Hab Dank für diesen Beitrag, der mich an die Botschaft meiner Brüder (ich bin ebenfalls Dritteldrilling) erinnert. An manchen Tagen spüre ich sie, an anderen vermisse ich sie. Aber immer sind sie präsent und auch die Geschenke, die ich ihnen verdanke – ich sehe die Fotos auf deiner Homepage und denke lächelnd, sie könnten von mir sein, denn einer meiner Brüder hat mir diesen unfassbaren Blick auf die Natur geschenkt, der andere den Mut, meine Ideen umzusetzen und mein anders-sein zu leben. Tage der Freude gewinnen an Gewicht und Dankbarkeit, sie entdecken zu dürfen, durchzieht mein Leben.
    Herzliche Grüße
    Imke
    http://www.imke-rosiejka.de

  2. Alexandra Thoese sagt:

    Liebe Imke,
    vielen Dank für deine Zeilen. Dritteldrilling – den Begriff kannte ich noch nicht. Wie schön, dass du die Geschenke deiner Brüder erkennen und annehmen kannst. Ich kenne diese Gefühle von sich mit Ihnen verbunden zu fühlen und dann wieder tieftraurig zu sein. Alles Liebe für dich und danke für dein Mitteilen. Einen Herzensgruß zu dir, Alexandra

  3. A-M sagt:

    Danke – für diese Worte, die sich in mein Erleben hinein fügten…
    Liebe Frau Thoese, bereits seit Jahren, leide ich unter dem Zwang, wie z.B. zwei, statt einer Pflanze zu kaufen…Bei unterschiedlichen Gegenständen, erlebe ich es ähnlich…

    Ich liebe die Zweisamkeit- d.h. will nicht heißen, dass ich nicht alleine sein könnte, aber ohne den anderen- zu spüren oder riechen zu können, bin ich nicht komplett…

    Mein Dasein, und wie ich mich verhalte, wird von wenigen Menschen verstanden…Mein gesamtes Leben, ist auf das „DU“ ausgerichtet…

    Mein Gefühl sagt: Niemand, kann und soll für sich alleine stehen müssen, und traurigerweise, hole ich mir in Wiederholung jene Menschen in mein Leben, die mich das „Allein-Sein“ in unschöner Weise vermitteln müssen…

    Liebe Grüße
    A-M.
    Hinterher, fühlt sich alles wie ein Schmerz in doppelter Ausgabe an…

    • Alexandra Thoese sagt:

      Liebe A.M., ich wünsche Ihnen, dass sich ein Weg zeigt, der zur Heilung und Integration ihres verlorenen Zwillings führt. Alles Liebe für Sie mit einem lieben Gruß, Alexandra Thoese

  4. Monika sagt:

    Liebe Alexandra, danke dir sehr für deinen Beitrag! Wir waren Vierlinge. Vor fast 20 Jahren durfte ich mich sehr damit beschäftigen und jetzt werde ich seit ein paar Monaten immer wieder zu Artikel darüber geführt. Und es darf weiter Heilung geschehen. Mit lieben Grüßen, Monika

    • Alexandra Thoese sagt:

      Liebe Monika, ich wünsche dir einen liebevollen Weg der Heilung. Alles darf da sein.
      Von Herzen einen lieben Gruß zu dir, Alexandra

  5. Dagmar sagt:

    Liebe Alexandra, puh, da hab ich grad öfter sehr geschluchzt beim Lesen Deiner Zeilen. Danke!! Dass ich lernen durfte, dass es noch Aufmerksamkeit und Hinsehen braucht, um meine Drillingsgeschwister 🙂 (Bruder und Schwester) zu integrieren, obwohl ich schon einiges in der Richtung gemacht habe. Ich habe das Gefühl, dass meine beiden Kinder (natürlich Tochter und Sohn) das sonst auch tragen. Und das will ich jetzt nicht mehr. Heilung ja, und Annahme und Integration – das letzte ist am wenigsten da. Dazu werde ich jetzt mal nachsinnen. Herzlichen Dank und herzliche Grüße, Dagmar

    • Alexandra Thoese sagt:

      Liebe Dagmar, ich danke dir für deine Zeilen und wünsche dir einen liebevollen Weg bei der Integration auf Seelenebene. Ich empfinde es als Weg der achtsam beschritten werden möchte. Schön das beim Lesen meiner Zeilen schon Tränen fließen konnten. Es ist so heilsam, allen Gefühlen Raum zu geben. Alles Liebe und einen herzlichen Gruß an dich, Alexandra

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