Im Nicht-Wissen zuhause sein

Foto Raphi See photography

Von Sabrina Gundert. Was kann ich aktuell tun? Ich merke: Nicht viel. Und vielleicht doch. Nur auf andere Art und Weise. Was wir aktuell im Außen erleben, ist die Qualität, die im Jahreskreis dem Herbst und Winter zugeordnet ist: Altes, Gewohntes, Vertrautes bricht weg (Herbst). Wir stehen mit leeren Händen da, sind aufgefordert, uns im Nicht-Wissen zu üben (Winter).

Das ist für eine Gesellschaft, die wir meist gewohnt sind, eher im Sommer denn im Winter zu gründen, sehr herausfordernd. Was meine ich damit? Wir gehen meist davon aus, dass wir erst ein Haus, ein Auto, einen Mann/eine Frau, einen guten Job, einen Hund, … haben müssen, um jemand zu sein. Damit unser Leben sozusagen beginnen kann. Das nehmen wir oft als unsere Basis an – die Fülle, die Sommerqualität. Sie ruft einem zu „Hier bin ich! Ich zeige mich! Mir geht es gut! Ich bin gut drauf! Wer will was mit mir unternehmen?“. Im Sommer zu gründen kann Freude machen und doch ist es auch unglaublich anstrengend (was nicht heißt, dass der Sommer schlecht ist, nur ihn als Basis zu nehmen, kann anstrengen). Weil es davon ausgeht, dass ich erst all diese Dinge haben – und immer gut drauf sein – muss, damit mein Leben beginnen kann.

Im Winter gründen

Gründe ich im Winter, ist meine Basis das Nicht-Wissen, die Stille, der Rückzug, die Innenschau. Ich lausche nach innen. Vielleicht höre ich nichts. Vielleicht entsteht ein erster, nächster Impuls. Ich lausche und folge. Lausche und folge. Der Winter ist die Zeit, in der wir auf uns selbst zurückgeworfen sind. Wo es den Tiefstpunkt gibt – im Jahreskreis den 21. Dezember, die Wintersonnenwende. Tiefster Punkt und Wendepunkt zugleich. Längste Nacht des Jahres, nach der es mit jedem Tag wieder ein Stück heller wird. Wir müssen an diesen Tiefstpunkt kommen, an dem wir nichts mehr wissen oder haben, an dem wir vielleicht sogar meinen, sterben zu müssen (und etwas von uns stirbt auch – alte Konzepte und Ideen, Gewohnheiten, Vertrautes) um die Wendekraft zu erleben, die zugleich in diesem Tiefstpunkt liegt. Jedes Jahr gehen wir erneut durch den 21. Dezember, die Wintersonnenwende, hindurch, um in einen neuen Frühling zu gelangen.

„Im Winter zu gründen“, diesen Ausdruck habe ich Ursula Seghezzi entliehen (sehr empfehlenswert, ihr Buch „Kompass des Lebens“ mit dem Europäischen Lebensrad). Für mich bringt er Entspannung, Erleichterung. Ich muss nicht alles wissen oder haben. Ich darf Nicht-Wissen. Ja, das fordert erst einmal heraus und auf. Ist ungewohnt und oftmals ungemütlich (weil unvertraut). Und doch erlebe ich eine große Entspannung hierin.

Was ist jetzt?

Nach den ersten paar Corona-Wochen, wo viele neue Projekte entstanden sind, vor allem online, wo ich selbst mit Begeisterung dabei war und bin, merke ich zugleich, dass die Qualität sich verändert hat. Es geht nicht mehr nur ums Tun und schauen: Was lässt sich verändern? Oder auch: Was muss verändert werden? Sondern vor allem darum, innezuhalten: Wo stehe ich eigentlich gerade? In meinem Leben? Wo stehen wir als Gesellschaft? Was ist jetzt?

Das sind Fragen, die mich nach innen führen, die anregen, nach innen zu lauschen und zu schauen, ob sich eine Antwort findet oder zeigt. Oder ich in der Stille verweile.

Ein Tanz und ein waches Schauen

Für mich ist es ein Tanz, der einerseits in dieser Winterenergie gründet (nach innen lauschen, still werden, Zeit mit mir verbringen, Nicht-Wissen zulassen) und zugleich ein waches, aufmerksames Schauen: Was will neu entstehen? Welche Werte sind mir wichtig? Was mag ich folgen?

Konkret sieht das für mich zum Beispiel so aus: Ich probiere mit meinem Nachbarn das Balkonsingen aus – ich auf meinem Balkon mit Trommel und Rassel, er schräg gegenüber auf seinem Balkon mit der Gitarre. Wir, die sonst viel in Singkreisen zusammen singen, auf diese Weise verbunden. Wir singen die ersten Lieder. Ich merke: Nein, das ist es für mich nicht. Nicht auf Dauer. Ich möchte wieder mit Menschen in Kreisen sitzen. Sie umarmen, direkt anschauen, ihre Hände nehmen. Es ist ein Wert, der in mir berührt wird und dadurch erwacht. Zugleich kann ich gerade nicht im Außen dafür gehen. So bleibt mir mein inneres Wahrnehmen – ein Impuls zeigt sich -, den ich in mir hüte, bis ich den Samen dieses Wertes im nächsten Frühling sozusagen (in diesem Fall: sobald Kreise vor Ort wieder möglich sind) säe und umsetze.

Frühlingsenergie

Zugleich merke ich: Das Singen bringt mich wieder mit meiner Stimme in Verbindung, ich werde hör- und sichtbar, kann durch das Singen auch etwas über die Töne in meine Umgebung hineinweben. Ich verstumme nicht, ich drücke mich aus, spüre meine Kraft. Das hat für mich mit der Frühlingsenergie zu tun, die Elemente in sich trägt, wie in die Umsetzung zu gehen, Projekte anzupacken, nächste Schritte zu gehen.

Wir bewegen uns im Moment sehr zwischen diesen verschiedenen Jahreszeiten-Qualitäten: Immer weiter brechen Gewohnheiten im Außen weg (Herbst), immer öfter finden wir uns in einem Nicht-Wissen wieder, das wir einladen und auch einüben können (Winter) und hier und dort erleben wir zugleich Elemente des Frühlings, konkrete Schritte und ein Gehen, vielleicht an Orten, wo wir es gar nicht erwartet haben.

Das Wissen um den Jahreskreis, um die verschiedenen Qualitäten einer jeden Jahreszeit (der jede und jeder von uns sich nähern kann, indem wir uns fragen: Was verbinde ich mit dem Frühling? Wozu lädt mich der Sommer ein? Was fordert der Herbst von mir? Was ist im Winter dran?), vermag uns ein Empfinden dafür zu geben, was jetzt wirklich von uns gefordert ist. Was dran ist und was leicht geht. So sparen wir ebenso Energie.

Im Winter geht es nicht darum, groß aktiv zu sein im Außen. Sondern darum, nach innen zu schauen – um die Samen, die sich in dieser Zeit gezeigt haben, zu säen, wenn der Frühling kommt. Und natürlich: die verschiedenen Jahreszeiten verbinden sich immer wieder auch miteinander, wechseln einander ab, verweben sich, so wie in dem Beispiel mit meinem Nachbarn.

Im Nicht-Wissen gründen, Samen hüten und Schritte umsetzen

Ich mag dich vor allem einladen: Vielleicht zu bemerken, dass du gar nicht so viel tun, Neues schon wissen oder kämpfen musst. Dass du es gut sein lassen darfst. Dass du genug bist. Dass es ausreicht, hier zu sein. Zu gründen in diesem Nicht-Wissen, in der Stille in dir. Dass dies vielleicht die wertvollste Selbstwertschätzung ist, die du dir jetzt zukommen lassen kannst.

Zugleich die Samen, die sich zeigen, in dir zu hüten. Und Schritte und Impulse umzusetzen, die sichtbar werden und jetzt möglich sind. Ein Tanz mit dem Leben sozusagen. Und: Es darf leicht gehen. Denn das ist die Energie, zu der uns die Natur aktuell ganz konkret, jetzt, an dieser Schwelle vom April zu Mai, und besonders auch mit dem Jahreskreisfest Beltane (in der Nacht vom 30. April auf den 01. Mai) einlädt. Lebenslust und Lebensfreude, Lebendigkeit, Sinnlichkeit. Das Leben mit allen Sinnen erfahren. All dies sind Aspekte, die die Natur uns vorlebt. Und uns dadurch zugleich erinnert: Auch das können wir jetzt, hier stehend in diesem Wechsel aus Herbst-Winter-Frühling, gleichzeitig erfahren. Im Nicht-Wissen verweilend, den Duft des Flieders tief einatmend, den warmen Boden unter der Füßen spürend, erlebend, wie alles jetzt ist.

Sabrina Gundert begleitet Menschen dabei, sich zu erinnern, wofür sie hergekommen sind auf diese Welt. Bücher von ihr: „Auf dem Herzensweg – Lebensgeschichten spiritueller Frauen“, „Hab Mut und geh – Das Herzensweg-Praxisbuch“. Am 30. April 2020 bietet sie ein Channeling zur Zeitqualität online an. Mehr dazu, wie zu ihren weiteren Onlinekreisen (Frauenkreis, Kreis des Verbundenseins, Ritualabende zu den Jahreskreisfesten) hier.

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7 Kommentare zu “Im Nicht-Wissen zuhause sein
  1. Liebe Sabrina!
    Danke für deine heilsamen Worte. Sie treffen zutiefst mein inneres Empfinden – Ja, ich befinde mich gerade in einer sehr wertvollen Zeit, kann Innenschau halten, mich neu entdecken, bin dankbar für die Chancen, die sich daraus ergeben, kann in der Ruhe schauen, was für mich als nächstes „dran“ ist.
    Ich erlebe den angeordneten Rückzug tatsächlich als Glücksfall, da ich vorher in der hektischen Betriebsamkeit das Neue, das ich deutlich gespürt habe, gar nicht anschauen und wachsen lassen konnte.
    Ich erlebe aber auch die Sehnsucht deutlich, denn auch ich vermisse die Umarmungen und Begegnungen. Und ich freue mich darüber, das so deutlich spüren zu können, denn damit kann ich all dem „nach Corona“ mit deutlich mehr Wertschätzung zu begegnen.
    Wie wertvoll auch das!!!

    Herzensgruß
    Imke

  2. andrea sagt:

    die worte kamen wie gerufen, um meinen inneren winter zu umarmen.
    ein leises danke aus den tiefen meines herzens.

  3. Dagmar sagt:

    ….wunderschön,wie Du den Bogen zu den Jahreszeitenqualitäten spannst, liebe Sabrina 🌷🍃🌸🍀
    Danke von Herzen, daß Du Dein Wissen und Deine Gedanken dazu so großzügig teilst.
    Alles Liebe und Gute zu Dir, und zu Euch allen hier – eine möglichst gute neue Woche voll frischer Kraft
    Dagmar

  4. Ulrike sagt:

    Ja, es ist verwirrend, wo der Winter doch schon gelebt wurde und alles in uns in den Frühling strebt, noch einmal zurück geworfen zu sein.
    Ich schicke dir/euch ein Wintergedicht:
    „Vom Winter lernen
    der Stille zu vertrauen
    der Sprengkraft des Unsichtbaren
    und dem Sammeln in den Kammern
    während
    der Brachzeit

    Vom Winter
    wieder lernen
    sich überschneien zu lassen
    ohne Furcht“
    [von Eveline Hasler]

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