Die Känguruh-Methode


Körperkontakt statt Brutkasten für Frühchen: Die Känguruh-Methode oder KMC (nach der englischen Bezeichnung kangaroo mother care) geht auf den kolumbianischen Kinderarzt Edgar Rey Sanabria in Bogotá zurück, der sie bereits 1978 ausprobierte. Weil ihm Brutkästen fehlten, kam er auf eine andere Idee: Er bettet die Frühchen rund um die Uhr an die nackte Brust der Mutter. Und rettete den Winzlingen damit weit mehr als das Leben.

Rund 15 Millionen Babys werden jährlich zu früh geboren. Meist kommen die Frühchen in ihren ersten Lebenswochen dann in einen Brutkasten. Eine Studie hat jetzt jedoch gezeigt, dass Frühgeborene, die viel Körperkontakt mit der Mutter (und dem Vater) haben, selbst Jahrzehnte später noch davon profitieren können. Laut einer Langzeitstudie von 2016 besitzen „Känguruh-­Kinder“ im Alter von 20 Jahren einen höheren IQ und kämpfen seltener mit psychosozialen Pro­blemen als herkömmlich versorgte Frühgeborene.

Die Frauen hinter den Studien für die Frühchen

Nathalie Charpak kam 1986 von Frankreich nach Bogotá. Sie war begeistert von der KMC und wollte mit wissenschaftlichen Untersuchungen belegen, dass die Methode erstens sicher ist und zweitens sogar besser für die weitere Entwicklung der Kinder und gründete die Fundacion Canguro 1989 führte sie eine Studie mit einer Gruppe von Babys aus zwei der ärmsten Krankenhäuser der Stadt durch. Damit wies sie nach, dass KMC sicher ist. Selbst die kleinsten Frühgeborenen starben nicht, wenn man sie aus dem Inkubator nahm. 1994 organisierte sie dann mit finanzieller Unterstützung einer gemeinnützigen Schweizer Organisation eine wesentlich umfangreichere Studie, bei der die Babys zufällig der Känguru- oder der Kontrollgruppe zugeteilt wurden. Sie bewies schlüssig, dass mit KMC nicht nur weniger Kinder starben, sondern zudem die Stillrate höher, die Verweildauer im Krankenhaus kürzer und die Infektionsrate geringer war.

Zusammen mit ihrer junge Kollegin und Nachfolgerin Julieta Villegas führt sie weitere Studien durch, die zeigen, dass ein »Känguru-Baby« eine stabilere Bindung zu seinen Eltern entwickelt als Frühgeborene, die herkömmlich versorgt werden. Herz- und Atemfrequenz normalisieren sich früher. Der Säugling kann sich erfolgreicher selbst regulieren, ist ruhiger und schläft besser. Auch die Mütter leiden nach der Frühgeburt weniger an Wochenbettdepressionen. Am bemerkenswertesten ist jedoch, dass die Kinder, die im Alter von zwölf Monaten getestet wurden, kognitiv weiter entwickelt waren als vergleichbare Frühchen.

Quelle und weitere Informationen im Artikel von Spektrum Wissenschaft.

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7 Kommentare zu “Die Känguruh-Methode
  1. Herzlichen Dank für diesen Artikel, liebe Bettina.
    Das Schockierende an dieser Geschichte ist ja doch, dass wir überhaupt auf die Idee kommen konnten, diese Tatsache wissenschaftlich beweisen zu müssen,
    dass Frühchen bei der Mutter besser aufgehoben sind als im Brutkasten.
    Ich hatte im Laufe der Zeit etliche Klienten beiderlei Geschlechts, die ihr Leben lang diese brutale frühe Trennung von der Mutter nicht überwinden konnten.

  2. Miriam sagt:

    In den 70ern las ich von eine Wiener Ärztin, die diesen Weg ging, war tief berührt u. spürte die Stimmigkeit. Sie allerdings wurde kolleg*innenseitig angegriffen, infrage gestellt, als unverantwortlich dargestellt. Mir erzählt das etwas darüber, wie weit sich unsere „Kultur“ entfernt u. buchstäblich abgetrennt hat vom Gewahrsein dessen, was dem Leben dient, was es ermöglicht u. wie wir es behüten, dass solch ein Forschungsergebnis nötig wurde, um dorthin zurückzukehren, wo wir als Menschen von jeher urverbunden mit dem Leben waren. Die letzten 6000 Jahre Menschengeschichte, dieses Störfeld, das im Anschluss an die sog. Prähistorie (1 Mio Jahre) entstand, hat sich wahrlich überlebt. Jetzt stehen wir alle im Erleben des Scheiterns dieses traumaentrückten Seins. Wieder lebendig zu werden u. zu fühlen, in uns selbst, was dem Leben dient, kann im verbundenen Sein wiederauferstehen lassen, wozu wir von Anbeginn begabt sind: Mitgeschöpfe im großen Gewebe des Lebens zu sein.

    • Eva sagt:

      Das war und ist Dr. Marina Marcovich. Es gab viele Bilder von ihr, in denen sie selbst Frühchen herumgetragen hat.
      Leider wurde ihr trotz aller Erfolge das Leben schwer gemacht, sodass sie das Krankenhaus verlassen musste. Das war wirklich ganz arg! Kann man im Internet nachlesen.
      Sie hat nach ihrer gerichtlichen Rehabilitation in freier Praxis weiterhin Müttern und Babys geholfen… Und sie tut das glücklicherweise immer noch! Das Spital, in dem sie gearbeitet und aus dem man sie vertrieben hat, wurde inzwischen geschlossen.

      Ja, es ist erstaunlich, welche Umwege wir gehen müssen, um wieder beim Ursprünglichen, „Normalen“ anzukommen…

      • Miriam sagt:

        O, wie mich das freut – dank dir Eva! So schön, dass du meine Teenager-Erinnerung auf so konkrete Weise bestätigen kannst. Hatte es selbst – erfolglos – versucht, ihren Namen und Zusammenhänge aktuell zu finden im Netz. So schön, dass sie hier nun auch gesehen ist mit dem Segen, den sie für viele in die Welt gebracht hat und bringt. Und für ihr mutiges Herz: Danke Dr. Marina Marcovich!

  3. Nadja Széplábi sagt:

    🙏🥰❤️🌈 Danke, Bettina, dass du es hier veröffentlichst. Das freut mich sehr. Vielleicht gibt es ja bald eine neue Generation junger Ärzte und Ärztinnen die sich auch hier in Deutschland trauen dies wieder einzuführen…

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