Lichtbild: Marioni-Bäumin

Foto: Marion Hofstätter

Ich bin der Baum.
Nein!
Ich bin die Bäumin.
Ich bin ein weiblicher Baum.
Aus dieser Zeit kommt wohl meine Durchsetzungskraft!Mein starker Wille als Frau geboren werden zu wollen!
Ich war mutig!
Ich nannte mich Marioni-Bäumin.
Soviel zu meinem Namen: Marion-die Mutige.

Mein Stamm ist dick.
Leicht schlängelnd strebt er aufrichtig nach oben.
Er zählt 54 Jahresringe.
Manche Ringe sind viel breiter als die anderen.
In diesen Jahren habe ich besonderen Stürmen getrotzt.
Manchmal habe ich mich fast bis zum Boden gebogen.
Ich wäre fast daran zerbrochen.
Doch nur fast.
Ich bin biegsam.
Flexibel.
Die Stürme lehrten mich Demut.
Ich richtete mich immer und immer wieder auf.
Ich erlernte die Kunst des Aufstehens und Weitergehens und das Richten der Krone nach dem Hinfallen.
Daraus entwickelte sich mein Kampfgeist und mein Durchhaltevermögen.
Die Neugierde auf das Leben waren dabei stets meine Triebfeder.
Meine Rinde ist an manchen Stellen sehr dick.
Das lässt mich das Leben und die Stürme aushalten.
Die Dicke der Rinde ermöglicht es mir, mich selbst zu beschützen.
An manchen Stellen ist die Rinde rissig.
Verletzt.
Offen.
Früher blutete es aus diesen Wunden.
Jetzt tritt ein heilendes Sekret aus.
MEIN EIGENES HARZ!
Ein Liebessaft.
Ein Zauberelixier.
Ich erzeuge ihn selbst.
Mit meinen Gedanken.
Das Harz aus meinem Herz.
Ich heile mich selbst.
Weil ich daran glaube.
Weil ich mir vertraue.
An anderen Stellen ist die Rinde sehr dünn.
Sensibel.
Das erlaubt mir, fein wahrnehmend und fein spürend zu sein.
Vieles was außer meiner Sicht- und Hörweite liegt, zeigt sich in meinem Inneren.
Ich spüre es.
Ich weis es.
Meine unsichtbaren Fühler reichen bis weit in die Welt hinein.
Ich schütze mich einerseits früh genug vor Gefahren.
Andererseits erkenne ich, was die Welt braucht.
Soviel zu meinem Stamm.

Dass ich die zahlreichen Stürme überlebt habe, verdanke ich meinen tiefen, festen Wurzeln,
Sie ragen tief in die Erde hinein.
„Österreich ist mein Grund und Boden“ sagte mein Urgroßvater 1938.
Mutig und stolz verweigerte er die Einberufung für den sogenannten „Grenzschutz“.
Sie nannten es Sturheit.
Ich nenne es Treue zu sich selbst.
Die Konsequenz daraus trägt er mit stolz erhobenem Haupt: „Lebenslange Haft im KZ Buchenwald“.
Er, Schattivater – nannte ich ihn, bleibt weiterhin standhaft.
„Ich habe Sibierien überlebt. Ich werde auch Hitler überleben“!
So war es dann auch.
Stolz und schweigend wurde er 87 Jahre alt.
Sein Geist, seine Kraft, sein Stolz und sein Glaube sind tief in meinen Wurzeln verankert.
Die Kraft der Wölfin-seiner Frau und meiner Urgroßmutter-wirkt ebenso in meinen Wurzeln.
Um zu überleben und fünf Kinder zu ernähren, tat sie alles, was in ihrer Macht stand.
Die Stärke und Beharrlichkeit meiner Mutter gibt meinen Wurzeln ihre Widerstandskraft.
Kein Ungeziefer, keine Nässe, keine Kälte kann ihnen etwas anhaben.
Das schwungvolle Temperament und die Musikalität meines Vaters, geben meinen Wurzeln die wunderbar geschwungene, miteinander tanzende Form.
Sie finden immer einen Weg um, über oder unter ein Hindernis.
Ich entdecke gerade täglich neue mystische Orte, zu denen meine Wurzeln mich führen.
Es ist eine tiefgründige Reise zu mir selbst und in das Labyrinth des Lebens.

Meine Baumkrone ist zweigeteilt.
Die eine Hälfte lässt ihre Zweige bis an den Boden senken.
Omas beschützende Hände geben ihnen diese Form.
Tröstend umhüllen sie alles, was sich unter ihren Schutz stellen möchte.
Hier gibt es einen Platz um sich Auszuruhen.
Einen Platz, um sich Anzulehnen und um Kraft zu tanken.
Würdevoll führen meine Zweige diese Aufgabe aus.
In den Zweigen sprießen Knospen des Vertrauens und der Dankbarkeit.
Die andere Hälfte ragt hoch in den Himmel hinauf.
Zu Frühlingsbeginn 1999, schafften es ein paar Äste sogar bis in die Weite des Universums hinein.
Der Preis dafür war hoch.
Fast wäre ich – die gesamte Bäumin – abgestorben.
Diverse Pflanzengifte rückten mir nahe an den Leib.
Im Moment des Todes sprang jedoch der rettende Funken aus dem All auf mich über.
Der himmlische Funken entfachte das Feuer des Lebens in mir neu.
Wie Phönix aus der Asche wechselte ich von einem alten Leben in ein neues Leben.
Ich wurde wie von Zauberhand eine Oktave höher gehoben.
Diese Erfahrung erfüllte mich mit Gnade.
Ich bin eine begnadete, gesegnete, anmutige Marioni-Bäumin.

Von Marion Hofstätter https://www.marion-hofstaetter.at/

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