Wie wollen wir sprechen? Was möchten wir schreiben?

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Zwischen den Zeilen bleiben wir oft sprachlos. Zwischen den ZeiTen vielleicht auch? Mit all unserer Kraft wünschen wir uns eine positive Zukunft, eine neue Zeit. Wie könnte die aussehen? Und – was wäre eine angemessene Sprache für diese neue Zeit?

Eine Schreibende schenkte unserer Runde vor einigen Wochen folgende Erfahrung: „Mir fehlen in letzter Zeit ständig die passenden Worte. Ich fühle mich so oft sprachlos“, sagte sie. Was sie immer öfter verstummen lasse, sei eine Mischung aus Ehrfurcht vor der Gewaltigkeit mancher Erfahrung und gleichermaßen Achtung vor der durchscheinenden Zartheit dessen, was sich zeige. Die Gruppe lauschte und stimmte dann von Herzen zu. Wir kannten das alle: Was sagbar ist, scheint das, was gesagt werden will, regelmäßig zu erschlagen. Erscheint oft grob oder unpassend. Sprache malt etwas aus, das vorerst nur Umriss sein will oder schreibt etwas fest, das fluide bleiben möchte. Vielleicht träfe manchmal ein einzelner Ton eine Stimmung besser? Könnte etwas anderes passender sein, dort an den Rändern, wo Worte zu viel sind? Moshe Feldenkrais schrieb 1987 in seinem Buch „Die Entdeckung des Selbstverständlichen“, dass Kommunikation durch die Sinne das Unbewusste unmittelbar erreicht. Sie sei daher wirksamer und weniger entstellend als solche durch Wörter. Wörter, das habe ihm jemand einmal gesagt, seien eher geeignet, unsere Absichten zu verbergen als sie auszudrücken.

Oder einfach Schweigen – wie Buddha es sagte – alle wesentlichen Antworten sind still?

In unserem gemeinsamen Beitrag über die Kraft der Worte schreiben Johanna Tiefenbeck und ich: „Jenseits der Sprache liegt eine große Kraft, die in der Stille entsteht.“ Können wir (nur) ohne Sprache, im Schweigen, erst zum Ich und dann zum Wir finden? Tatsächlich öffnet sich nach meiner Erfahrung im gemeinsamen Schweigen ein Raum, in dem Wahrheit wächst, in dem etwas Neues gewissermaßen inkarnieren kann. Und: Ja, das ist nicht neu – Reden ist Silber, Schweigen ist Gold und gerade wir Frauen haben zutiefst verinnerlicht, dass man brave Mädchen nur sieht, aber nicht hört. Sprache ist für uns also auch Selbstbehauptung, Sichtbarkeit – Ich spreche, also bin ich. Und gerade mir als Autorin und Schreibcoach ist Sprache natürlich ein Herzensanliegen. Die gesprochene und geschriebene gleichermaßen. Erst heute Morgen habe ich wieder lustvoll ein bisschen Shakespeare vor mich hin zitiert, um mich am Klang zu erfreuen: „When shall we three meet again? In thunder, lightning, or in rain? When the hurly-burly’s done, when the battle’s lost and won. Where the place? Upon the heath, there to meet with Macbeth.“ Wer das laut und langsam spricht, wird sich unweigerlich und tief vor dem Klangkünstler verbeugen wollen (Wer auch immer er oder sie war). Und natürlich vor mir – weil ich sowas auswendig vor dem Frühstück zitiere.

Nein, im Ernst. Sprache ist Wohlklang, ist Poesie, ist Tanzen mit Worten. Sprache ist aber auch Besserwissen, Themenklau, Ratschlag, Rechtfertigung, Sarkasmus oder Anklage. Und letztlich wird auch eine Sprache der neuen Zeit all das bleiben, wenn wir als Menschen es ausdrücken wollen. Sie bleibt all das, was wir sind, denn sie zeigt all das, was wir sein wollen.

Unsere „Muttersprache“ lässt uns Teil einer Gemeinschaft werden, prägt uns tief, schon vor der Geburt. Wir identifizieren uns durch Sprache, haben Phrasen, Formulierungen, die ein Wir manifestieren. Und umgekehrt könnte es so sein, dass etwas nicht existiert, wenn wir es nicht benennen können. Anders gesagt: Wenn wir keinen Begriff für ein Phänomen haben, können wir dann auch kein Gefühl damit verbinden? In der Hawaiianischen Kultur, sagte man mir, gab es lange Zeit kein Wort für Schuld und es gab auch keinen Grund, sich schuldig zu fühlen. Das Kollektiv behandelte Fehler als gemeinsame Aufgabe, wie die Tradition des Ho´oponopono (siehe zum Beispiel hier https://turya.eu/hooponopono) sehr eindrücklich zeigt.

Die Sprache einer neuen Zeit will spielen

Kommunikation – mit der Sprache als Teilbereich – ist letztlich nicht zu vermeiden und entsteht aus uns selbst heraus. Sie transportiert all unsere Muster, Manien und mehr oder weniger guten Manieren, zeigt mehr über uns, als wir ahnen. Der folgende Satz ist ein Kommunikationsklassiker – „Man kann nicht nicht kommunizieren!“ Und vielleicht geht es im kleinsten gemeinsamen Nenner darum, Sprache als Werkzeug anzuerkennen und uns ihre Kraft wirklich bewusst zu machen. Diese Kraft als Energieform ins Bewusstsein zu rufen, die so mächtig ist, dass Worte sogar Wasserkristalle (ver)formen.

Wäre also die Frage nach der Sprache einer neuen Zeit wieder ein Beleg dafür, dass „die neue Zeit“ mit wachsender Bewusstheit einher geht? Ziehen wir dann wortbewaffnet los und wecken die auf, die sich in ihrer bedauernswerten Unbewusstheit tagtäglich hinter Sarkasmus, Plattitüden und Flutschworten verstecken? Sind wir Missionar:innen? Nein. Wir könnten ihnen (und uns) die schützenden Sprachmauern lassen und uns gelegentlich ein bisschen an eine solche Mauer lehnen. Die Sonne genießen. Und ab und zu wird in der Mauer vielleicht ein Fenster sein, wird seltene Einblicke bieten – Wahrhaftigkeit statt Waffe. Wortwahrheit – Weltwahrheit. WahrhEftigkeit …und was mir noch so alles einfällt, wenn ich mit Worten spiele. Also bitte, nehme mir niemand meine Sprache weg! Womit soll ich spielen, in der neuen Zeit? Denn ich habe so das Gefühl, dass das Spielerische, das Leichte, eine der Essenzen der Sprache sein wird, die Zukunft manifestiert. Und auch diese Erkenntnis ist wiederum gar nicht so neu. Schon Johannes vom Kreuz sah sich vermutlich in der Sprache des Mittelalters gefangen. Blieb sprachlos im Versuch, sein spirituelles Erleben auszudrücken. Er entdeckte das Spielerische der Sprache für sich, indem er zum Beispiel Gegensätze kombinierte – wie die „ungestüme Ruhe“. In solchen Paradoxien wird etwas benannt, das keinen Namen hat. Eine solche Sprache baut Brücken und vor allem schlägt sie eine andere Richtung ein. Nein, besser – sie schlägt eine andere Richtung vor. Eine Sprache, die ich mir als neu vorstelle, ist vor allem neu in ihrer Intention. Sie ist nicht „Antwort“, „Ausdruck“ oder „Erwiderung“ – sie ist überhaupt nicht nach Außen gerichtet. Sie verbirgt nicht – sie offenbart. Sie baut die Brücke von meiner inneren Wahrheit zu deiner inneren Wahrheit. Und sie lädt ein. Ganz vorsichtig: Trauen wir uns auf diese Brücke? Kommst du mit?

Eine gemeinsame Suche nach der neuen Sprache

Hast du Lust, im spielerischen Schreiben auszuprobieren, was eine neue Sprache werden könnte? Aktuell ist der regelmäßige Wir-Raum „Schreiben – einfach so“ am Donnerstagabend noch geöffnet. Eine schöne Gruppe ist dabei, sich zu finden. Ab Oktober wird es vermutlich einen weiteren, regelmäßigen Termin in den Morgenstunden oder im Mittwochnachmittag geben. Schreib mir gerne, wenn du Interesse an einer der Gruppen hast: [email protected]

Eine Teilnehmerin fand folgende Worte zum Wir-Raum: „Ich möchte Dir von Herzen Danke sagen für den sehr besonderen Schreibabend. Du hast eine Gabe, Menschen dort abzuholen und zu sehen, wo sie gerade stehen und auch das Besondere wahrzunehmen, direkt in wunderschöne Worte zu fassen und Dein Gegenüber damit zu beschenken – und ich habe Deine Achtsamkeit und die in der Gruppe als sehr schön empfunden.“ Ich fühle mich sehr beschenkt von diesen Worten und erkenne: Die Sprache der neuen Zeit ist auch das: großzügig und liebevoll!

Andrea

Andrea Goffart ist Autorin und Schreibcoach. Ihr Buch FEDERFLUSS ist ein Übungsbuch mit zwölf Impulsen für das intuitive Schreiben. Bestellmöglichkeit und Leseprobe direkt beim Verlag. Den Newsletter FEDERFLUSS mit monatlichen Schreibimpulsen kannst du hier abonnieren.

 

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2 Kommentare zu “Wie wollen wir sprechen? Was möchten wir schreiben?
  1. Sarah sagt:

    Es ist die Sprache Deiner Wahrhaftigkeit, liebe Andrea, die aus der Stille heraus entsteht. Die aus der Stille heraus Deinen Ausdruck formt und die Dein Sein als Teil dieses Jetzt manifestiert.

  2. Rotraud sagt:

    Danke für diesen so erhellenden Artikel, liebe Andrea. Drei Aspekte haben mich bei der Lektüre besonders angesprochen:
    „…Sprache als Werkzeug anzuerkennen und uns ihre Kraft wirklich bewusst zu machen. Diese Kraft als Energieform ins Bewusstsein zu rufen, die so mächtig ist, dass Worte sogar Wasserkristalle (ver)formen.“
    Weiterhin die Erkenntnis, dass die neue Realität, in die wir hineinwachsen, geprägt ist von Leichtigkeit und der Wahrhaftigkeit und Unschuld des Spiels.
    Schließlich das Bild der Brücke, was mich bei einem Schnupperkurs bei dir auch so belebt hat,öffnet neue spielerische Räume. Und ja, das Paradox ist unter anderen eine kraftvolle Brücke, die Wachheit verlangt… Danke für den Hinweis auf Johannes vom Kreuz!
    Herzensgruß von Rotraud

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