Sichtbarkeit – Es fragt mich ja keiner

Foto: Pixabay

Neues Jahr, neues Business? Womit zeige ich mich, womit gehe ich raus? Diese Frage beschäftigt mich gerade und ich merke, das etwas völlig anders ist als sonst. Ich habe scheinbar den Antrieb gewechselt, ganz unbemerkt.

Fast täglich arbeite ich mit einzigartigen Menschen, mit Menschen, die eine Botschaft haben, eine besondere Fähigkeit, ein wundervolles Talent; mit Menschen, die vor allem eines spüren – eine Sehnsucht danach, diese Naturgabe zu leben. Ich kann ihre starke Sehnsucht wahrnehmen und sie zeigt sich auch deutlich in den Geschichten, die wir gemeinsam erzählen: Sie leuchtet als Stern vom Himmel, sitzt als glitzernder Vogel auf dem Lebensbaum, erscheint als Zufallsbegegnung im Bus. Sie wartet darauf, ins Leben getragen zu werden, um sich zu manifestieren, wirken zu dürfen, sichtbar zu werden. Es ist wie ein Drang, den ich körperlich spüren kann – etwas will raus, wie eine Blüte in der prallen Knospe. Will platzen, erscheinen, sich entfalten.

Was fangen wir an mit dieser Sehnsucht? Ich frage das oft in meinen Schreibcoachings, ganz konkret – „Was fängst du mit dieser Sehnsucht an, wie zeigst du dich mit deinem Können?“

„Ach, es fragt mich ja keiner,“ höre ich dann. Und was ich noch höre, fühle, ist eine starke Angst, fast eine Ohnmacht, die ich auch von mir selbst gut kenne. „Flieg nicht zu hoch, sonst fällst du tief. Das sind doch alles nur exaltierte Träumereien.“ Wenn wir anfangen zu graben, stoßen wir vielleicht auf eine ganze Schrankwand von Glaubenssätzen. Wir könnten beginnen bei „Brave Kinder sieht und hört man nicht“, weitergehen zu „Kinder die was wollen, kriegen auf die Bollen“ und noch lange nicht enden bei „Ach, der Prinzessin reicht es wohl mal wieder nicht …“ und so weiter. „Was willst du eigentlich?“, hören wir die entnervte Stimme von wahlweise Mutter, Vater oder Partner:in, vielleicht sogar die der Kinder? Du hast doch einen guten Job, ein prima Leben, du verdienst Geld und fährst in Urlaub und warum das alles auf´s Spiel setzen? Warum und vor allem – für was? Claudia hat diesen Appell des Umfelds einmal in einem unserer Gespräche sehr schön ausgedrückt – „Aber du bist doch eine Raupe. Ich habe dich immer als Raupe gesehen. Und ich mag dich als Raupe, das funktioniert gut, kannst du das bitte auch bleiben?“

Also bleiben wir lieber Raupe. Nur noch ein bisschen, reden wir uns ein – nur noch diese eine Ausbildung, nur noch jene private Herausforderung bewältigen – aber dann zeige ich mich, dann werde ich sichtbar. Und so vergeht die Zeit und wir üben vielleicht das ganze Leben, bevor wir – wenn überhaupt – uns trauen, mit unserem Können sichtbar zu sein. Perfektionismus ist nicht der Grund für Unsichtbarkeit, sondern die Folge! Denn was wir nicht verstehen: Das ganze Leben ist ein Übungsfeld, in dem es kein „fertig“ gibt. Das Üben ist überhaupt der Grund, warum wir hier sind, denn die lebendige Wirklichkeit erfährt sich durch uns, durch unsere Neugier, durch unser Ausprobieren und Wachsen …durch unsere manifestierte Sehnsucht. Also nochmal – „Es fragt mich ja keiner“, sagst du. Doch. Ständig. Das Leben – Gott, Göttin, Universum – fragen dich jeden Tag, jede Sekunde! Deine Sehnsucht ist die Frage, der Ruf. Lausche dieser Stimme – was will sie von dir?

Der neue Antrieb

Sehnsucht! Das ist – um auf die Einleitung dieses Textes zurückzukommen – mein neuer Antrieb, der die sogenannte „Kundenorientierung“ still und heimlich ersetzt hat. Es ist der „Desire-drive“, sag ich jetzt einfach mal, das klingt schön, oder? Vielleicht ist es sogar der Divine-drive? Andere Formulierungen wären „vom Müssen zum Wollen“ oder „folge der Freude“. Die Quintessenz ist die gleiche: Sichtbarkeit! Ich darf für etwas stehen, was ich wirklich, wirklich will. Die Belohnung für das Sich-Zeigen, für das Ausdehnen meiner kuscheligen Komfortzone ist wunderschön: Lebendigkeit. Wenn wir uns mit unserer Sehnsucht zeigen, dann wagen wir etwas wirklich Großes. Wir gehen raus in die Arena und tun das, was Theodore Roosevelt in seiner bekannten Rede „Citizenship in a Republic“ einst so wunderbar beschrieb: Wir irren und kommen zu Fall, wir sind verschmiert mit Schweiß und Blut; wir kennen große Begeisterung und Hingabe und scheitern im schlimmsten Fall daran, etwas Großes gewagt zu haben. (Diese Rede kenne ich aus dem Buch „Verletzlichkeit macht stark“ von Bréne Brown.) Genau – das wollen wir, oder? Groß denken, einen „Impact“ machen, wie es so schön heißt.

Wirklich? Mit aller Konsequenz? Will ich das?

Oder bleibe ich lieber in meiner kugelsicheren Komfortzone und rede mir ein, dass genau das meine Berufung ist – als Ghostwriterin die Geschichten anderer Menschen zu erzählen, hinter denen ich mich prima verstecken kann? Und dass ich ja mit meiner „Hochsensibilität“ sowieso nur eingeschränkt im Außen funktioniere. Nur dass leider genau diese Hasenherzigkeit irgendwie auch nicht mehr funktioniert, weil die Sehnsucht mittlerweile den Antrieb übernommen hat. So hänge ich aktuell in meiner ganz persönlichen Lernzone, die sich gerade anfühlt, als wäre sie komplett mit zähem Kaugummi gefüllt. Sichtbarkeit zu lernen ist schmerzhaft. „Gesehen werden“ ist eine Urwunde, und zugleich wohl auch der existenzielle Schwachpunkt – sich aktiv zu zeigen, bedeutet immer wieder die Gefahr der Zurückweisung, der Nichtbeachtung. Ich gehe da raus mit meinem Angebot, meinem Workshop, meinem Buch, meinen Themen und es interessiert: niemanden. Das ist ein so tiefer Schmerz (wenn ich ihn nicht mehr verdränge), und dem soll ich mich freiwillig aussetzen. Geht das?

Es geht. Schrittweise. Und es geht. Authentisch. Und es geht, ohne meine Sehnsucht in Selbstmarketing-Aktionismus ausfließen zu lassen. Es geht in Gemeinschaft – zum Beispiel in der Gemeinschaft der newslichter oder in Gemeinschaft mit den wunderbaren Frauen, die mit mir über die Frage nach der „starken? Frau“ sinnierten. Eine von ihnen, Marion, darf das Schlusswort für diesen Beitrag über Sichtbarkeit erhalten:  „Wenn ich lerne, mich selbst und die Welt aus einem anderen Ort heraus zu verstehen und von dort aus mir und der Welt eine Bedeutung zu geben, die ich statt hier oben (zeigt auf den Kopf) eher hier unten (zeigt auf den Bauch) verorte, dann kann ich mit sehr viel weniger Aufwand und mit anderen Kräften arbeiten – sage ich jetzt mal bewusst vage. Mit anderen Kräften als mit denen, die du vielleicht meinst mit Sichtbarkeit, also Socialmedia, auf der Bühne meine Frau stehen, Key-note-Speakerin sein, Bücher schreiben – all das. Das sind alles Möglichkeiten, aber die Kraft, die ursprüngliche Kraft sitzt woanders. Viele Menschen fühlen sich zu dieser Art von Sichtbarkeit gar nicht hingezogen und erkennen, dass das nicht ihre authentischen Kanäle sind. Sie sind dann vielleicht frustriert oder verunsichert, weil sie denken, dass sie dann ihre Stärke nicht in die Welt bringen können. Ich behaupte, dass es ganz andere Wege gibt, die subtiler sind und die es lohnt zu erforschen, weil sie auch Manifestationskraft besitzen.“

Ein solcher Weg ist unser Jahreskreis für Autor:innen, der am 17.2. startet. (www.federfluss.de) Mit Ernsthaftigkeit und Freude werden maximal 6 Teilnehmende (erstmals) mit ihrem Schreibprojekt sichtbar. Unterstützen sich, begleiten sich, lernen gemeinsam. Einen kostenfreien Info-Zoom gibt es am Donnerstag, 15.2. ab 18.30 Uhr. Melde dich gerne an: andrea@andrea-goffart.de

Und apropos in Gemeinschaft sichtbar werden – ich möchte Euch auf ein besonderes Filmprojekt zum Thema Sichtbarkeit hinweisen, das ich bei Sonja Brückner gefunden habe – Ihr könnt es bei Youtube anschauen: https://www.youtube.com/watch?v=BCYo3II7Z58

Andrea

Andrea Goffart ist Autorin und Schreibcoach. Sie gibt Impulse für das intuitive Schreiben – zum Beispiel in ihrem monatlichen Newsletter FEDERFLUSS (hier abonnieren) oder im gleichnamigen Buch, das direkt beim Verlag angesehen und bestellt werden kann.

Sharing is Caring 🧡
Posted in Lichtübung
4 Kommentare zu “Sichtbarkeit – Es fragt mich ja keiner
  1. Dorothee sagt:

    Liebe Andrea, was für ein Glück heute morgen, deine Zeilen zu lesen. Das Thema Sehnsucht hat starke Resonanz in mir ausgelöst…das möchte ich noch mehr erforschen (Z.B.ob sie wirklich gestillt werden will oder sich immer wieder verändernder Grund zu neuem Aufbruch ist).
    Und – mal wieder – das Thema Sichtbarkeit, auch das anders als früher schon mal. So eher „im Sein sichtbar sein“ (also nicht unbedingt im Buchprojekt, auch wenn ich gerne schreibe)… Viele Gründe zum Austausch und auch zum Dankesagen für deine Anregungen: Danke!
    Umarmung, Dorothee

    • Liebe Dorothee,
      nun endlich ein besonderer Dank für deine liebevolle Aufnahme meines Textes und deine Rückmeldung. Eine spannende Frage wirfst du da auf, ob Sehnsucht gestillt werden kann und will oder ob sie unser ewig immanenter Antrieb ist – so zumindest verstehe ich dich. Ich tendiere gerade zur Antriebsidee, doch lass uns gerne gemeinsam weiterforschen. Herzlich, Andrea

  2. Sichtbarkeit trifft auf Sein und auf die Sehnsucht sich SELBST Ausdruck zu verleihen.
    So würde ich deinen Beitrag zusammenfassen, wenn mich jemand danach fragen würde 😉

    Liebe Andrea, danke dass ich mit einem klitzekleinen Link in deinem Text SEIN darf, denn auch hier war der Blick auf ‚Starke Frauen und was sie zur Sichtbarkeit zu sagen HABEN‘ die große Überschrift.

    Danke für deinen Einblick zur Verletzlichkeit, denn auch das ist ein Grund, weshalb sich manche nicht zeigen (wollen). Doch, was wäre die Welt ohne die, die ihre Gaben zeigen. Was wäre, wenn sich noch viel mehr ‚von uns‘ trauen und gemeinsam sichtbar werden. Ich bin inspiriert merke ich – wie schön! Danke Dir!

    • Liebe Sonja, ich danke dir für die co-Kreation. Deine Dokumentation – der „klitzekleine Link“ hat meine Feder geführt und den obenstehenden Text (mit) inspiriert und nun inspiriert dieser Text wiederum dich und wer weiß, wer sich im weiteren Kreisen durch uns schöpferisch angesprochen fühlt… Ganz wunderbar. Herzlich, Andrea

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

*

Dein Kommentar wird nach der Prüfung freigeschaltet. Bitte beachte, Einschätzungen und Meinungen in Ich-Form zu formulieren und die AutorInnen zu wertschätzen. Nicht identifizierbare Namen (Nicknames), Kommentare ohne erkennbaren Bezug auf den Inhalt des Artikels und Links zu nicht eindeutig verifizierbaren Seiten bzw. zur Eigenwerbung werden grundsätzlich nicht freigeschaltet.