Anfängergeist – anspruchsvoll

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Mit Anfängergeist die Welt wahrnehmen, ihr mit Nicht-Wissen begegnen, unvoreingenommen. Jeder Augenblick ist neu, ungeprägt von den Erfahrungen und Konzepten der Vergangenheit. Wir lernen, wachsen und bleiben neu-gierig auf den Moment und seine Geschenke. So die Theorie. Die anspruchsvolle Praxis durfte ich vor kurzem in einem Töpferkurs erleben…

Vor einigen Wochen habe ich gemeinsam mit meinem Mann einen Töpferkurs besucht, in dem wir lernten, mit der Drehscheibe zu arbeiten. Es war ein Weihnachtsgeschenk und ich hatte mir damit einen lang gehegten Wunsch erfüllt. In meiner Vorstellung war das Drehen an der Scheibe ein schöpferischer Prozess. Gedanklich sah ich mich an der sanft kreisenden Scheibe sitzen, mit den Händen im weichen, warmen Ton, diesen intuitiv modellierend, führend und kreierend. Kennt ihr noch die 90er-Jahre Schnulze „Nachricht von Sam“ mit Demi Moore? Ja? Dann wisst ihr, was ich meine. In meiner Wunschvorstellung ging´s gar nicht so sehr um das Endergebnis – Topf, Vase oder Schüssel. Es war mehr das erdende, pralle Tun, das mich anzog. Also: Kurs gebucht, älteste Klamotten angezogen und dann standen wir gemeinsam mit vier anderen Anfänger:innen in den Werkstatträumen des Töpfereimuseums Langerwehe. Nur mein Anfängergeist, der hatte wohl irgendwie die letzte Abzweigung im Sträßchen-Gewirr der Voreifel verpasst …

Aller Anfang ist schwer, das weiß „man“ ja. Und irgendwie hätte mir klar sein müssen, dass zwischen dem Anfangen und dem Können das Lernen liegt. Ich hatte es anscheinend verdrängt. Meine erste Bekanntschaft mit dem Material war unfreundlich – keine Spur von sanft, warm und weich. Der Ton mochte mich nicht, ich mochte ihn auch nicht. Der Klumpen eierte auf der Scheibe herum und bis ich ihn richtig in Schwung hatte, war schon die Hälfte des Materials im Ablauf der Drehscheibe verschwunden. Dieser Materialschwund machte mich fertig, ich fühlte mich als Verschwenderin und von da aus war´s nicht weit zur Versagerin. Die Scheibe im richtigen Rhythmus drehen lassen, gleichzeitig ziehen, halten und drücken und dann entsteht ein Gefäß. Eine Kaffeetasse, vielleicht für den Anfang, so hatte es die Kursleiterin vorgeschlagen. Bei ihr sah das unglaublich leicht und fließend aus, die anderen aus der Gruppe zeigten schnell erste Ergebnisse, ein bisschen wackelig, aber immerhin. Auch die auf allen Flächen der weitläufigen Werkstatt stehenden Exponate schienen zu beweisen, dass Töpfern kinderleicht ist. Und dann kam ich, machte nur eine falsche Bewegung und schon war ein Loch im Boden des angestrebten Gefäßes, eine vorsichtig hochgezogene Seitenwand kollabierte unrettbar oder der Tonklumpen löste sich und flog fast meinem neben mir sitzenden Mann um die Ohren. Ich kriegte weder das Tempo der Scheibe geregelt noch meine Hände koordiniert. Ich war frustriert. Mein inneres Kind eroberte den Hocker an der Drehscheibe und quengelte immer lauter – ich kann das nicht, ich will das nicht, ich werde das nie lernen. Bring mich nachhause. Sofort.

Wie also ist das mit dem Anfängergeist? Mit der Neugier? Ich hatte etwas unbedingt neu angefangen wollen, wollte lernen, verstehen und mir ein weiteres Stück Welt erobern. Ich fand es – theoretisch – toll, gemeinsam mit andern Menschen frisches Wissen und Können mit meinen Händen zu erfahren. Nur hatte ich leider – praktisch – die Rechnung ohne meinen Perfektionismus gemacht. Der hielt nämlich gar nichts vom Lernen, der wollte Können können – und zwar sofort.

Ist Lernen lustvoll?

So wie mir an diesem ersten Tag im Töpferkurs geht es einigen von Euch vielleicht mit dem Schreiben? Statt lebendiger Erfahrung, statt Intuition und Kreativität ist plötzlich Leistung gefragt! Erinnerungen an viel rote Farbe in Schulheften führen dazu, dass Ihr sagt: „Schreiben, das kann ich nicht. Konnte ich noch nie.“ Und ihr versucht es erst gar nicht. Da hilft es wenig, wenn ich Mut mache und meine ozeantiefe Überzeugung verkünde, dass jede/r schreiben kann. Sobald die Idee des Scheiterns auftaucht, die zwangsläufig mit dem Leistungsanspruch in Verbindung steht, ist es vorbei mit dem Anfängergeist. Jeder hat mal klein angefangen, heißt es. Ich nicht – denken wir. Wir müssen alles sofort können, sonst genügen wir den Ansprüchen an uns nicht, die wir uns zu Eigen gemacht haben. Wie ist das bei euch – findet Ihr den Prozess des Lernens lustvoll? Oder notwendig? Habt Ihr darüber schon mal nachgedacht?

Ich habe eine Idee!

Vielleicht können wir gemeinsam die Frage des Lernens erforschen, ich beim Töpfern und Ihr beim Schreiben? Vielleicht ermutigen wir uns dann gegenseitig zu der Erkenntnis, dass der Prozess des Lernens kein notwendiges Übel ist, kein „Um-zu“. Er ist die tatsächliche Offenbarung, das eigentliche Tun! Hier im Lernen findet das Leben statt, der Moment, so wie er gerade ist. Wenn wir den Anfängergeist auf diese Weise verstehen, dann begegnen wir nicht dem Schreiben oder dem Töpfern mit Neu-Gier. Dann ist immer der Moment die Quelle des Neuen. Ihn dürfen wir umarmen und mit ihm die Frustration, die Perfektion, die Idee des Scheiterns – wir umarmen sie alle, weil sie zu uns gehören. Und zum Moment. Und dann lauschen wir auf das, was entstehen will. Und dann beginnen wir zu kreieren – ebenso sanft und nachhaltig, wie ich das in meiner Vorstellung an der Töpferscheibe gemeistert hatte, formen wir die Erkenntnis: Ich bin genug.

Beim Töpferkurs ist doch einiges entstanden.

Schreiben – einfach so.

Magst Du Deinen Anfängergeist im Schreiben einmal herausfordern? Im regelmäßigen Online-Raum „Schreiben-einfach so“ gibt es aktuell zwei freie Plätze. Absichtslos, spielerisch und vor allem mit Freude nähern wir uns gemeinsam dem Lern-Raum des Schreibens. www.andrea-goffart.de/workshops

Andrea

Andrea ist Autorin und Schreibcoach und nutzt das intuitive Schreiben, um Erlebnisse zu sortieren und einzuordnen. Impulse dazu gibt ihr monatlicher Newsletter FEDERFLUSS und das passende Büchlein.

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Ein Kommentar zu “Anfängergeist – anspruchsvoll
  1. Dorothee sagt:

    Liebe Andrea, wie präzise beschrieben…genau da würde mein Anfänger-Geist mich auch verlassen (nein, ich würde schon den Kurs nicht buchen!)…
    Und ich schwanke zwischen „warum sollte ich etwas tun, von dem ich denke(!) ich kann es sowieso nicht“ und „was für ein Abenteuer, das auszuprobieren“. Danke für diese Er-Innerung! Dorothee

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