Der Tango des alten Holzes

Ein Holzfachmann war in Japan, um sich das älteste Holzhaus der Menschheit anzuschauen. Er erzählte mit Leuchten in den Augen: Das Holz ist so alt und so wunderschön!
Ich fragte ihn, was macht das Holz so schön? Und er antwortete augenblicklich: seine Gebrauchsspuren. Er sprach von einem 1.600 Jahre alten Holzhaus!
Ich habe sofort an unseren Tango gedacht.
Ich denke an meinen Mann und mich, an Freunde und Tangoschüler in unserem Umfeld, die mit den ureigenen Gebrauchsspuren in Körper und Seele natürlich zu tun haben. Wir wissen aus eigener Erfahrung, wie es ist, wenn sich plötzlich etwas oder alles verändert und der Körper nicht mehr so mitmachen kann.
Deshalb berührt mich, wie der Holzfachmann auf das Alte schaut: offen und jung, mit Verwunderung und Erstaunen! Er findet Würde und Wert in der Tiefe der Gebrauchsspuren und erkennt eine natürliche Schönheit im Alten.
Das Haus hat ihm Ehrfurcht abgerungen.
Wie anders wirkt die Bezeichnung Abnutzung.
Ich habe mich gefragt, ob und wie wir lernen können, die Schönheit in den Gebrauchsspuren und Narben des Partners und bei uns selbst wahrzunehmen, wenn der Alltag beschwerlicher wird, Arzttermine sich häufen und das Leben sich nur noch darum zu drehen scheint. Ich höre manchmal, dass Paare sich als Krankenschwester oder Pfleger füreinander fühlen.
Es ist eine Zeit, die viel von uns abverlangt. Das Gefühl für sich selbst verändert sich, die sichere Identität gerät ins Wanken und der Partner wird mehr gebraucht. Gleichzeitig will man sich ihm nicht zumuten.
Was bringt das Gefühl, und die Erfahrung füreinander Mann und Frau zu sein, zurück? Jeder, der betroffen ist, weiß, dass es schwer ist und schwer bleiben wird. Ich habe keine Lösung anzubieten, ich weiß nur, was uns manchmal hilft.
Uns hilft, unsere schönsten Sachen anzuziehen, der Musik zu lauschen, uns in den Armen zu halten und unseren Tango zu tanzen. Er eröffnet uns einen Raum, die körperlichen Schmerzen zu berühren, ohne sie zu verletzen oder zu überfordern. Es gibt eine Zärtlichkeit in der Umarmung und den Bewegungen, die berührt das Herz und wir wissen, wer wir füreinander sind.
In dem, was der Andere trägt, dem Verletzten und Kranken, liegt eine tiefe Würde und Schönheit verborgen und im Tango wird sie zusammen spürbar und tragbar. Er berührt den Körper und die Seelen.
Paare, die vieles miteinander durchgemacht haben und zueinander stehen, tragen eine Aufrichtung und inneres Leuchten nach Außen, was um die Schwere und den Reichtum der gemeinsam durchlebten Erfahrungen weiß.
Der Tango ist für mich der Tanz, der diese inneren und äußeren Bewegungen unterstützen und ermöglichen kann und den wir bis zum Ende unseres Lebens tanzen können!
Er verlangt von uns nichts, was wir nicht können und er gibt uns alles, was wir brauchen: Umarmung, Berührung, einander spüren, sich gemeinsam bewegen und überraschen lassen, der Musik erlauben uns zu führen und sich dem Tango hinzugeben. Er hält uns sicher in seiner Umarmung.
Ich erinnere, was unser Lehrer, Hunter Beaumont, uns aus tiefstem Herzen immer wieder vermittelte: „Nicht was geschieht, oder was der andere tut, ist entscheidend, sondern wie wir darauf schauen!“
Was ermöglicht ein mildes Schauen auf das Wollen und Können?
Auf das nicht mehr Können oder noch nicht wieder Können, auf das von sich selbst glauben, nichts mehr zu können, das etwas Neues, Wahres ermöglicht?
In meiner Erfahrung bietet der Tango die Möglichkeit an, das erfahrbar zu überprüfen. Spielend, langsam, leicht an diesen Stellen zu verweilen öffnet Räume, die vorher nicht denkbar waren.
Es kann ein Akzeptieren sein, was berührt und die Qualität der Umarmung tiefer werden lässt.
Es kann auch ein Erinnern wiederkommen, was den Körper belebt und beseelt.
In jedem Fall wird Erleichterung spürbar, in der wir schön miteinander tanzen, mit all dem, was ist. Tango macht glücklich!
Regina Tamkus, Berührungen der Seele und Tango Argentino Lehrerin. Vom 15.-17. November 2024 bietet sie mit ihrem Mann dazu ein Seminar an: https://regina-tamkus.de/tango-holz-junge/
Danke für diesen so wunderschönen Blick auf das Leben und das Älterwerden. Das kann alles verändern.
Wie anders könnte das Leben sein, wenn wir alle so auf das Alter schauen würden.
Ich bin berührt, vielen Dank, liebe Dörte Luna Him
Wunderbar – dank dir Regina! Was für eine prachtvolle Inspiration, was für ein starkes Bild „Der Tango des alten Holzes“. In meinem 61sten Herbst eine so herzoffen herbeigefreute Anstiftung fürs Hinschauen, Entdecken, Liebhaben meiner 4000 Jahre alten Gebrauchsspuren. Den Wegen meiner Seele. All meinem Wachsen und Werden im Mensch Sein.
Ich freue mich, ganz herzlichen Dank, liebe Miriam
Liebe Regina, reich an WUNDERN – und soooooo SCHÖÖÖÖÖN – was deine Seele wie dein Geist zu Papier brachte…DANKE für die Einladung, für’s Erinnern, und deiner Federführung –
Viola
Ja, ich danke Dir auch für Deine schönen Worte! Regina
Sehr schöner Vergleich , die Gebrauchsspuren an einem Holzbauwerk . ich bin Möbelbauer und baue alte Möbel nach .Manchmal auch Holzhäuser. Das älteste Holzhaus
Eine Pagode in Japan ist 1400 Jahre alt ! Geschichten , Erzählungen , wo bleibt der Teppich ? Trotz allem schaue ich mir weiterhin die oft sehr anregenden Beiträge in Newslichter an ! Danke für all diese schönen positiven Beiträgen !
Francisco
Danke für den Hinweis, wir checken das nochmal!
Lieber Frank,
ich danke Dir sehr für Deine sorgfältigen Augen. Ich habe habe mich tatsächlich verhört und den Holzexperten befragt. Das Haus ist 1600 Jahre alt.
Liebe Grüße
Regina
Wenn Bild und Text in Harmonie sind – Danke für die Freude beim Lesen.
Ich freue mich auch, herzlichen Dank! Regina