Von Mut und Selbstfürsorge

Lesezeit 2 Minuten –

Sie rufen an, sie zögern, sie sammeln sich, sie erklären, oft fließen Tränen. Menschen, Frauen und Männer auf der Suche nach Hilfe. Weil sie nicht mehr weiter wissen, weil sie nur noch Leid vor lauter Leid sehen. Ich hole sie ab, höre zu, lasse sie erzählen. Manche haben viel zu erzählen; andere sind wie gehetzt, um endlich den Hörer wieder aufzulegen, es hinter sich zu haben. Und manche brauchen Momente, in denen sie Tränen unter Kontrolle bekommen, die in dem Moment, indem ich ihnen den Raum schenke, einfach nur noch fließen. Ich öffne ihnen einen Raum und halte diesen.

Es sind kurze Begegnungen. Und jedem von ihnen beschreibe ich in meinen Worten, wie viel Mut sie in sich tragen, weil sie diesen Anruf machen. Weil sie für sich sorgen. Es ist Mut. Es ist für mich Selbstfürsorge. Wenn ich es so zum Ausdruck bringe, wird es meistens still am anderen Ende der Leitung. Und dann kommt ein Lächeln, eine Erleichterung und dann zeitverzögert der Satz „Meinen Sie wirklich?“. Ja, ich meine es wirklich so. Es ist eine neue Sichtweise auf das, was sich ganz anders anfühlt. Und es öffnet etwas in jedem von ihnen und bringt etwas Licht rein in diese Dunkelheit, die es sich bequem gemacht hat.

Es ist meine Erfahrung aus meinem Klinikalltag – Klinik für Psychiatrie und Psychosomatik. Jeder Mensch, der aus seiner tiefsten Not heraus eine Klinik Hotline kontaktiert, weil er dem Impuls folgt, dass eine Klinik vielleicht sein Ort der Hilfe ist, der hat Mut und kümmert sich um sich selbst. Und dieses für uns sorgen, dieses sich kümmern, für mich ist es eine Form von Selbstfürsorge. Und damit auch eine Stärke. Die wenigsten betrachten es so. Und doch ist es das. Wir sind stark, wenn wir am Boden liegen und um Hilfe bitten können. Und es einfach mal so zu betrachten, bringt Licht rein.

Von Herzen, Deine Jacqueline

www.jacquelinesohns.de

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Gastbeitrag
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6 Kommentare

  1. Dankeschön für diese Sichtweise und das Zeit nehmen, sie zu formulieren. Sie haben Mitgefühl und Empathie. Das ist nicht selbstverständlich. Wir haben leider ganz andere Erfahrungen in den letzten Wochen gemacht.
    Alles Gute für Sie.

    • Liebe Romy,
      damit seid ihr nicht alleine und es ist exakt das Feedback, dass ich heute im ersten Kontakt des Tages wieder erlebt habe. Ich sitze am anderen Ende des Hörers, höre zu und spüre mit. Mitgefühl, Wertschätzung, Verständnis und vor allem diesen Raum, Dich absolut geschützt fühlen und offen in Deinem Leid zeigen zu können, ist das, was ich gebe in diesen Momenten. Und ich weiß und erlebe es selbst immer wieder, wie wenig selbstverständlich das ist. Und das, obwohl ein Ort wie eine solche Klinik das als Standard hergeben sollte. Es gibt uns, die Herzigen in der Leitung, sowohl im Klinikkontext als auch in Einzelarbeit.

  2. Liebe Jaqueline,
    Es ist absolut wahr . Es ist Mut und Selbstfürsorge. Und mit jemandem wie dir als Gegenüber ist es auch eine neue Erfahrung. Von Selbstwirksamkeit und Bindung. Eine jede dieser Erfahrungen, möge sie noch so klein sein, lässt uns mehr zu uns selbst kommen, wächst unsere eigene Bindungsfähigkeit an uns selbst und unsere inneliegende Lebenskraft. Wie schön, dass du am Ende der Leitung da bist und Raum dafür gibst. Ich freue mich. Danke .
    Namaste
    Monika

    • Was ein wertvolles Feedback, ich Danke Dir, liebe Monika! Manchmal ist es einfach Zeit für gute Erfahrungen und das ist eine meiner Intentionen in meiner Arbeit. Und dieser Umgang im Miteinander lebt von Verbundenheit und aus Verbundenheit wächst Vertrauen und Vertrauen ist ein Same für noch viel mehr. Alles ist Beziehung. Und jede Beziehung nährt sich aus Verbundenheit. Und diese Augenblicke in meinen Gesprächen in der Hotline und auch in meinen Begleitungen, ich versuche den Menschen ein Gefühl von Verbundenheit zu geben und sie in ihrem Mut zu bestärken, weil es einfach absolut mutig ist. Danke Dir!

  3. Danke für den Impuls, dein Teilen und besonders dein WIRken in der Klinik mit dieser Sichtänderungs-Einladung und Würdigung für Selbstfürsorge!
    In „meiner Welt“ (lebensweise-Community) entspricht es der Bitte um einen „gehaltenen Raum“ …
    („bewusstes „Entladen“ – wobei ich den Namen etwas mißverständlich finde). Wir haben dazu dass „rote Telefon“.

    Außerdem passt:
    Was ist das Tapferste, das du je gesagt hast?
    „Hilfe“.
    Du gibst nicht auf, wenn du um Hilfe bittest. [Peter Baynton]

    • Das rote Telefon, ein schöner Ausdruck. Es ist das, was ich selbst auch anbiete. Nur ist es in meinem Fall ein weißes Paar Bluetooth Kopfhörer. Mut macht mehr Mut und Vertrauen wächst aus guten Erlebnissen und die helfen dann wieder dabei, noch mutiger zu sein und sich statt zu verschließen, dem Leben (wieder) zu öffnen um dahin zurückzukehren, wofür wir eigentlich hier sind: für diese wertvollen Aspekte, die „Miteinander“ in sich trägt. Jeder hat etwas in sich, dass jemandem anderen hilft. Und das ist meins. Danke Dir!

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