Wenn Kinder den Kontakt abbrechen – das „Warum“ anders betrachten

Es gehört zu den schmerzlichsten Erfahrungen, die Eltern machen können: Das eigene erwachsene Kind zieht sich zurück, vielleicht sogar so weit, dass kein Kontakt mehr besteht. Plötzlich ist da Stille, wo früher Gespräche, Nähe und ein gemeinsames Leben waren. Dieser Bruch löst eine tiefe Trauer aus – eine Trauer, die mit dem Verlust eines Menschen vergleichbar ist, auch wenn er oder sie noch lebt.
Die Trauer der Eltern – mehr als vermisste Gespräche
Wenn Kinder den Kontakt abbrechen, hinterlässt das bei Eltern nicht nur eine Lücke im Alltag. Es entsteht auch eine Lücke im Herzen. Geburtstage, Feiertage oder kleine Erinnerungen können plötzlich, wie schmerzhafte Stiche wirken. Viele Eltern beschreiben das Gefühl, als ob ihnen der Boden unter den Füßen weggezogen wurde.
Diese Trauer ist real. Sie verdient Raum, Mitgefühl und Anerkennung. Es ist wichtig, sich selbst nicht kleinzureden („anderen geht es doch schlimmer“), sondern das eigene Empfinden ernst zu nehmen.
Die Frage nach dem „Warum“
Fast alle Eltern, die von einem Kontaktabbruch betroffen sind, stellen sich die gleiche Frage: Warum?
- War ich zu streng?
- Habe ich Fehler gemacht?
- Hätte ich etwas anders tun müssen?
Diese Fragen können wie ein endloses Karussell kreisen und keine Ruhe zulassen. Sie sind verständlich – und doch führen sie selten zu einer klaren Antwort. Denn die Entscheidung eines Kindes, den Kontakt abzubrechen, hat fast nie nur eine Ursache. Oft sind es lange Entwicklungen, Missverständnisse, unausgesprochene Erwartungen oder Verletzungen auf beiden Seiten. Manchmal spielen auch Faktoren eine Rolle, die gar nicht direkt mit den Eltern zusammenhängen – persönliche Krisen, Partnerschaften, psychische Belastungen oder der Wunsch nach Abstand, um die eigene Identität zu finden. Das bedeutet nicht, dass Eltern „schuld“ sind. Es bedeutet, dass die Dynamik komplex ist und viele Einflüsse eine Rolle spielen.
Wenn sich Muster über Generationen wiederholen
Was viele Eltern erst im Rückblick bemerken: Solche schmerzhaften Brüche entstehen nicht selten in Familien, in denen bereits frühere Generationen Erfahrungen mit Distanz, Schweigen oder ungelösten Konflikten gemacht haben. Manchmal werden unbewusst Verhaltensweisen oder Verletzungen weitergegeben – nicht aus böser Absicht, sondern weil niemand gelernt hat, es anders zu machen.
Diesen Kreislauf zu erkennen, ist ein erster wichtiger Schritt. Denn dort, wo eine Generation beginnt, bewusst hinzuschauen und eigene Verletzungen zu heilen, kann eine neue Richtung entstehen. Das bedeutet nicht, dass sofort wieder Nähe zum Kind möglich sein muss. Aber es bedeutet, dass hier etwas Wertvolles passiert: Ein Stopp, damit sich alte Muster nicht weiter fortsetzen. Wenn ich auf meine Herkunftsfamilie schaue – welche Themen oder Muster erkenne ich wieder, die heute vielleicht auch meine Beziehung zu meinem Kind beeinflussen?
Ein neuer Blick auf das „Warum“
Anstatt nach einer eindeutigen Erklärung zu suchen, kann es hilfreich sein, das „Warum“ als eine offene Frage stehenzulassen. Nicht jede Antwort ist jetzt möglich – und vielleicht liegt die Lösung nicht in einem einzigen Satz, sondern in einer inneren Entwicklung, die Zeit braucht. Eltern dürfen sich erlauben, den eigenen Schmerz zu spüren, ohne ihn ständig mit Schuldgefühlen zu vermischen. Es ist möglich, traurig zu sein und gleichzeitig anzuerkennen: „Ich habe nach bestem Wissen gehandelt.“
Was helfen kann
- Trauer zulassen: Gefühle nicht wegdrücken, sondern ihnen Raum geben.
- Unterstützung suchen: Austausch mit Menschen, die ähnliche Erfahrungen machen, kann entlastend sein.
- Selbstfürsorge üben: Kleine Schritte im Alltag, die guttun – Spaziergänge, Schreiben, Gespräche.
- Den Kreislauf unterbrechen: Eigene Erfahrungen reflektieren und lernen, wie man anders mit Konflikten umgeht.
- Den inneren Dialog verändern: Statt „Was habe ich falsch gemacht?“ die Frage „Wie kann ich jetzt gut für mich sorgen?“ stellen.
Ein leiser Ausblick
So schwer es im Moment scheint: Ein Kontaktabbruch muss nicht endgültig sein. Manchmal entstehen in der Stille neue Möglichkeiten. Manchmal braucht es Zeit, Abstand oder innere Klarheit, bevor ein vorsichtiger Neubeginn möglich wird. Bis dahin dürfen Eltern ihre Trauer würdigen – und gleichzeitig lernen, im eigenen Leben wieder Inseln der Kraft und des Friedens zu entdecken. Und vielleicht ist gerade dieser Weg das größte Geschenk: Den Mut zu haben, etwas zu heilen, das schon lange nach Heilung gerufen hat.
Kostenfreies Zoom-Webinar für Eltern, deren Kinder den Kontakt abgebrochen haben. Es geht ums Verstehen, neue Perspektiven und persönliches Wachstum – ohne Schuld und Scham. Sonntag, 31.8., 18:00–19:30 Uhr Anmeldung: info@praxis-droll.de. Du bist nicht allein. Es ist nie zu spät für einen neuen Weg.
Liebe Petra, ich mag deine Beiträge. Das ganze Thema ist nicht einfach. Darf ich was ergänzen? Mir geht es vor allem um Kontaktabbruch aufgrund von Vernachlässigung, Missbrauch und Gewalt in der Kindheit. Was ist,wenn die emotionale Entwicklung bei den Eltern heute ausbleibt? Ich bin selbst immer kurz vor einem Kontaktabbruch. Bisher bin ich beim Akzeptieren ohne Abbruch geblieben. Ich kann aber erwachsene Kinder verstehen, die das aus den o. g. Gründen tun. Ich habe mich viel mit Menschen unterhalten, die Schlimmes erlebt haben und den Kontakt abbrechen mussten. Manchmal kann der enstandene leere Raum dafür sorgen, dass sich was verändert. Dass den Eltern bewusst wird, was sie getan haben. Die Vergangenheit ist nicht mehr veränderbar, aber die Zukunft. Und wenn Eltern Einsicht haben, dann kann vielleicht auch eine Versöhnung geschehen. Wenn es aber keine Reflexion/Veränderung gibt, dann ist es besser nicht mehr zusammenzukommen. Die Verantwortung sehe ich bei den Eltern. Liebe Grüße ❤
Liebe Steffi, danke für deinen offenen Beitrag. Wichtig ist, dass Raum und Grenzen sensibel bleiben: Kontaktabbruch kann Schutz sein, wenn Vernachlässigung, Missbrauch oder Gewalt besteht. Reflexion, Verantwortung und Veränderung der Eltern sind oft entscheidend, doch nicht immer möglich. Die Zukunft bleibt gestaltbar – auch ohne Versöhnung. Erwachsene Kinder dürfen sich sicher fühlen, ihre Bedürfnisse ernst nehmen und sich gegebenenfalls abgrenzen. Liebe Grüße Petra
„Verantwortung und Veränderung der Eltern sind oft entscheidend“…danke. ja. Es ist so ein schwieriges Thema. Veräntwortung und Veränderung sind auf beiden Seiten wichtig, auch bei den Kindern. Und es gilt zu akzeptieren, wenn Eltern sich nicht verändern wollen, weil sie es vllt auch gar nicht können …Es tut weh, das zu begreifen und irgendwie zu akzeptieren. Wenn der Kontaktabbruch irgendwann so akzepiert wird…die wirkliche Auseinandersetzung würde zu viel Unruhe und zu viel ans Licht bringen, womit sich die Eltern in diesem Leben nicht mehr auseinandersetzen wollen…da ist auch zu viel Schmerz. Da ist es einfacher, ein Kind zu haben, ein schwarzes Schaf, das den Kontakt abbricht. Schwarze Schafe sind halt komisch …Und als Kind geht es dann darum, Aufrichtigkeit, Liebe und Selbstgewahrsein darin zu finden, tief für sich, in dem, was die Familie als schwarzes Schaf deklariert…
Wenn ein Mensch den Kontakt zu den Eltern abbricht, dort waren auf keinen Fall Gespräche oder Nähe, dort war nämlich kein Spur davon, was ein Mensch als Baby und Kind für das Leben, Überleben, Sich-gut-am-Leben-fühlen und für eine gesunde Entwicklung braucht, d.h. Schutz, Liebe und Fürsorge. Und nicht selten war stattdessen der Mensch bewusster Kälte, Gewalt – physisch, physisch, emotional und/oder abgrundtiefer Gleichgültigkeit der Eltern von Kleinst an schutzlos ausgeliefert.
Mit anderen Worten: wer sich von den Täter (Eltern) durch den Abbruch des Kontakts befreit, hat dafür alle Gründe – und eine Lebenserfahrung, von der die Autorin absolut keine Ahnung hat.
Wenn sich eine Frau von einem gewalttätigen Mann durch Trennung oder Scheidung befreit, darüber ist niemand verwundert. Wenn sich ein anderer Mensch von seinen Tätern (Eltern) befreit, ist das nichts anderes.
Liebe Katharina, danke für deinen Kommentar.
Du hast recht, wenn ein Mensch den Kontakt zu seinen Eltern beendet, geschieht das meist, weil dort selten Nähe, Gespräche oder grundlegende Unterstützung vorhanden waren – Dinge, die für ein gesundes Aufwachsen, Sicherheit und Wohlbefinden entscheidend sind: Schutz, Liebe und Fürsorge. Vor allem dann, wenn es zu Kälte, Gewalt oder Gleichgültigkeit von Anfang an kommt. In meiner Tätigkeit als Sozialarbeiterin musste ich aus diesen Gründen, Kinder in Obhut nehmen lassen.
Wer sich in solchen Fällen selbst von den Tätern – den Eltern – löst, tut das mit nachvollziehbaren, schweren Gründen. Das ist keine einfache Entscheidung, aber oft notwendig, um Sicherheit und Heilung zu finden. Das verdient immer Respekt. Liebe Grüße Petra
Ihr Lieben, macht ihr es euch nicht zu einfach, wenn ihr davon sprecht, dass die Eltern immer die „Schuldigen“ sind, die die Kinder früher vernachlässigt hätten oder ähnliches? Wenn die Kinder schon über 50 Jahre alt sind, alle Bemühungen der Mutter ausschlagen, über die trennenden Dinge reden zu wollen, es bereinigen zu wollen, habe ich als Mutter keine Chance, den Kontakt herzustellen… Es ist keine Vernachlässigung in der Kindheit geschehen… Trennend ist die unterschiedliche Ausrichtung der Lebenentwürfe… bei meinem verstorbenen Mann und mir Richtung Esoterik, Spiritualität und meinen Kindern eine “ „normale“ Ausrichtung im Sinne der Daseinsbewältigung im Alltag, eher auf materielle Dinge ausgerichtet. Es ist ein Beispiel für die vielen Spaltungen, die auch durch die Politik… Beispiel Corona… in unsere Gesellschaft hineingezogen wurden , bewusst gesteuert bzw. billigend in Kauf genommen wurden. Ich bitte, diese Dinge umfassender anzuschauen.
Liebe Ingrid,
danke für deinen Kommentar. Deine Worte zeigen, wie schmerzhaft Entfremdung in Familien sein kann – besonders, wenn von deiner Seite echtes Bemühen da ist. Es ist richtig, genau hinzusehen: Nicht immer sind frühkindliche Verletzungen der Grund für Kontaktabbrüche. Oft wirken auch Unterschiede in Weltanschauung, Lebensstil und gesellschaftliche Entwicklungen trennend. Es tut weh, wenn der Wunsch nach Versöhnung unerwidert bleibt. Vielleicht hilft der Gedanke, dass auch Schweigen manchmal Ausdruck innerer Not ist – nicht von Schuld, sondern von Überforderung. Ich stimme zu: Die Dynamik zwischen Eltern und Kindern ist komplex – lassen wir uns weiter mit Herz und Weitblick hinschauen. Alles Gute für dich. LG Petra
Hallo Ingrid, da muss jede Familie einzeln betrachtet werden. Ich persönlich mache es mir nicht zu einfach, wenn ich sage, dass ich auf Abstand gehe. Sollte es schlimmer werden, kann ich immer noch Kontakt abbrechen. M. Vater ist nach der Trennung von m. Mutter leider in eine tiefe Depression gekommen und es gab mehrere Suizidversuche, die ich seit meinem 18. Lebensjahr miterleben musste. Ich musste mich dort stark abgrenzen und für mich ist es Schutz, dass ich sporadisch zu ihm nur telefonisch Kontakt habe. Meine Mutter ist heute noch übergriffig und versucht mein Leben zu bestimmen. Keinerlei Einsicht + Akzeptanz wie ich mein Leben gestalte. Und die Fälle von denen ich weiß, sind teilweise noch schlimmer. Da kam nicht nur Missbrauch vor, sondern auch Vergewaltigung durch Familienmitgliedern. Ich denke, da ist Kontaktabbruch die einzige Möglichkeit. Deshalb kann man nicht sagen, wir Kinder machen es uns einfach. Und Corona hat nichts spalten können, was vorher nicht schon rissig war.
Uns geht es genauso, wie Ingrid.
Einer unserer erwachsenen Söhne wünscht keinen Kontakt, was sehr schwer auszuhalten ist. Wir lieben ihn sehr und haben dies immer getan. Doch Eltern machen nie alles richtig. Hinterher ist man schlauer. Doch gravierende Erlebnisse oder Fehlverhalten sind uns nicht bekannt. Seiner Aussage nach leidet er an Todesängsten aufgrund mangelndem Urvertrauen in der Kindheit.
Zuzuschauen fällt mir sehr schwer, nichts ändern können, als Schuldige angesehen zu werden, obwohl man immer sein Bestes getan hat…
Was kann man tun, wenn der Sohn die ausgestreckte Hand nicht entgegen nimmt…
Liebe Grüße Ursula
Liebe Ursula,
es ist eine der schwersten Erfahrungen für Eltern, wenn ein erwachsenes Kind sich abwendet. Wenn es eigene Wege geht, die nicht nur körperlich, sondern auch emotional auf Abstand führen. Und noch schwerer wird es, wenn die Gründe dafür aus einer Zeit stammen, die lange zurückliegt – einer Zeit, in der man als Eltern aus bestem Wissen und Gewissen gehandelt hat. Elternschaft ist kein perfekter Weg. Kinder nehmen das Erlebte unterschiedlich wahr, und ihre Empfindungen und Interpretationen sind Teil ihrer ganz persönlichen Geschichte.
Und das ist wohl das Schmerzhafteste: zu sehen, dass es jemandem, den man liebt, schlecht geht – und doch keinen Zugang zu ihm zu finden. Manchmal hilft es, in leiser, klarer Präsenz zu zeigen: *Ich bin da, wenn du bereit bist.* Vielleicht in Form eines Briefes. Und manchmal heilt etwas langsam, kaum merklich, doch stetig. Ich wünsche Dir/ euch von Herzen Kraft und Geduld. LG Petra
Hallo Ursula. ich höre das oft mit dem „sein Bestes geben“. Ich habe selbst Kinder und das was ich mir manchmal vorstelle, was das Beste für meine Kinder ist, ist genau das Gegenteil. Deshalb beziehe ich meine Kinder in alles, wo es möglich ist, mit ein. Das habe ich schon getan, als sie noch sehr klein waren. Ich bin auf ihre Ängste und Bedürfnisse eingegangen und erziehe ohne Strafen.
Und vielleicht hast du nicht für die Todesängste gesorgt, vielleicht war es durch Situationen in Kita, Schule oder bei den Großeltern. Dennoch in seiner Kindheit. Wenn du an einer Aufarbeitung interessiert bist und einen guten Draht zu deinem Sohn möchtest, dann schaut gemeinsam nach einer Therapie. Sowas kann begleitend helfen. Vielleicht sprecht ihr unterschiedliche Sprachen und eine unabhängige professionelle dritte Person kann euch gegenseitig übersetzen und einen neuen Raum öffnen. Akzeptanz ist ganz wichtig. Alles Gute für dich.
….aus Deinem wertvollen Text und Erfahrungsschatz, liebe Petra, und aus all Euren berührenden Kommentaren dazu entnehme ich für mich auch…..wie essentiell eine umfassend geschulte und feinfühlige Vermittlung, ein achtsames Raumhalten für alle Standpunkte in einem schmerzlichen Konflikt ist….aus eigener Erfahrung….kenne ich all die Möglichkeiten, die sich eröffnen können, wenn Bedürfnisse anerkannt werden…DANKE❤️ für diesen feinen Raum hier auf newslichter 🌟
Alles Liebe,
Dagmar