Stoff, der gut tut

Foto: OYA

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Von Grit Fröhlich. Die Kette der Textilproduktion ist heute global und unüberschaubar geworden. Die Modedesign-Gemeinschaft Common Works sucht in diesem Dschungel nach guten Wegen. »Nicht der Designer ist hier das gefeierte Genie. Der Schneider mit seiner langen Erfahrung hat genauso einen Anteil daran, dass meine Hand in der Tasche wohnt«, sagt Marte Hentschel. Sie ist selbst Modedesigne­rin und eine der beiden Mitbegründerinnen von Common Works. Seit dem Start des Projekts im Sommer 2009 ist das Team auf zwölf Leute angewachsen. Gerade wurde die Keimzelle in Berlin Neukölln verlassen und eine doppelt so große Kreuzberger Fabriketage mit 320 Quadratmetern bezogen. In diesen Räumen betreuen Modedesigner, Schneider und Bekleidungstechniker pro Saison etwa 20 Kollektionen. Kein Designer etabliert hier mit seinem Namen eine Marke, alles entsteht in der Gruppe und ihrem gemeinsamen Raum für Menschen, die ökologische und fair hergestellte Kleidung entwickeln wollen.

Kein Dogma
Wie kann man Kleidung industriell herstellen und dabei so ökologisch und fair wie möglich bleiben? Das ist bei jedem Produkt ein neuer Abwägungsprozess. »Es gibt kein Dogma, man muss es sich im Detail anschauen. Manche Betriebe arbeiten absolut nachhaltig, sind aber nicht zertifiziert, wie Wollweber auf der Schwäbischen Alb. Weil sie das schon in zehnter Generation machen, würden sie niemals ihre Produkte so belasten, dass sie damit ihren Kindern schaden. Es gibt gerade in kleinen Familienbetrieben große unternehmerische Verantwortung«, ist Martes Erfahrung.
Verarbeitet werden nicht nur ökologische, sondern auch konventionelle Materia­lien – oft müssen Kompromisse gemacht werden. So gibt es etwa keinen Öko-Reißverschluss. Manchmal entwickelt Common Works mit Textilherstellern Materialien, die es zuvor nicht gab, zum Beispiel Schulterpolster aus Biobaumwolle für Herrensakkos. So ein Prozess kann Jahre dauern.
Und wie ökologisch und fair wurden die Maschinen produziert, mit denen Marte und ihre Partner arbeiten? Nähmaschinen kommen heute fast alle aus Fernost. »Viele Hersteller sind absolut intransparent«, sagt Marte. »Ehrlich gesagt, ist das Thema so unüberschaubar, dass wir uns noch nicht darangewagt haben. Bisher fragen wir uns eher: Sind sie effizient, sind sie langlebig?«

Das Netzwerk ausbauen
Die Entwicklung der Prototypen ist die eine, eher handwerkliche Seite. Die andere ist die industrielle Serienproduktion. Common Works arbeitet mit 20 persönlich bekannten Betrieben zusammen, die meisten in Polen, die entferntesten in der Türkei. Produktion mit kurzen Wegen heißt heute keineswegs, dass alles regional in Berlin oder Deutschland passiert, denn es gibt hier keine Infrastruktur mehr, die Textilbetriebe vom Weben übers Färben bis hin zum Nähen an einem Ort vereint. Die wenigen Firmen in Deutschland sind weit verstreut. So kann es sinnvoll sein, in der Türkei zu produzieren, wo die Bio-Baumwolle vor der Tür wächst. Vom Feld über die Verarbeitung bis zur Verpackung gibt es dort Kreisläufe, in denen alles nah beieinander liegt und nach dem Global-Organic-Textile-Standard (kurz GOTS, einer Kombination aus Öko- und Fair-Trade-Siegel) zertifiziert ist.
Wenigstens die Entwicklung bis zum Prototyp möchte Common Works vollständig in Berlin abwickeln. Dazu bedarf es diverser Handwerksbetriebe von der ­Strickerei bis zur Ledermanufaktur. Gerade diese kleinen Handwerker kämpfen in Berlin hart ums Überleben, weil kaum noch Textilproduktion stattfindet. Da beißt sich die Katze in den Schwanz. Martes Herz schlägt für den Erhalt alten Handwerks: »Es gibt nichts Schöneres, als in einer Sattlerei mit dem Meister eine Naht zu besprechen.« Mittlerweile hat Common Works ein Netzwerk von Textilhandwerkern in Berlin aufgebaut. »Die kannten sich vorher gar nicht und haben auch nicht zusammengearbeitet«, erinnert sich Marte. Statt, wie sonst in der Branche üblich, eifersüchtig Geschäftskontakte zu hüten, hat sie eine andere Philosophie: »Die Leute zu vernetzen, ihnen Aufträge zu verschaffen, Kooperationen herzustellen – da sehe ich unsere Aufgabe. Nur wenn es gelingt, ein starkes Infrastrukturnetz textiler Gewerke aufzubauen, wird auch in Zukunft in Berlin nachhaltig Mode gemacht werden.« Konkurrenzdenken scheint ihr fern zu liegen. Für Marte kann es gar nicht genug Unternehmen geben, die ökologisch und fair Textilien produzieren: »Je mehr Firmen damit wirtschaftlich erfolgreich sind, desto stärker sind die Partnerschaften. Ich möchte mit guten Leuten gute Produkte machen und dabei Spaß haben. Das Netzwerk soll wachsen.«
Persönliche Arbeitsbeziehungen machen wohl den Unterschied aus. Die lebensfeindlichen Zustände in der Textilindustrie entstehen nicht, »weil die Fabrikbesitzer Kapitalistenschweine sind«, meint Marte, sondern weil alle Textilstandorte von Osteuropa bis Fernost unter starkem Konkurrenzdruck stehen. In den komplexen Ketten globaler Produktion wird der Leistungsdruck anonym weitergegeben. Es ist üblich, kurzfristig auf Zuruf zu arbeiten und Abgabetermine so eng zu takten, dass im Drei-Schicht-System gearbeitet werden muss. Aber mit einer klugen Strategie lässt sich Druck vermeiden: »Wir sehen uns als Auftraggeber in der Verantwortung, alles so zu organisieren, dass die Betriebe die Aufträge in Ruhe, mit ausreichendem Budget und mit unbelasteten Materialien umsetzen können«, sagt Marte. Zu ihrer Philosophie gehört auch, mit den Herstellern aus einer partnerschaftlichen Haltung heraus an der Qualität zu arbeiten: »Also nicht von Deutschland aus kommentieren und Sachen als B-Qualität zurückschicken, sondern vor Ort schauen: Gibt’s einen Materialfehler? Wie kann man das lösen?«
Druck in der Textilproduktion erzeugen auch die Konsumenten. Sie wollen ein T-Shirt für 5 Euro kaufen, während es ein Vielfaches davon kosten müsste, damit es ein nachhaltiges Produkt ist und jeder in der Kette sein Auskommen hat. Die Verbraucherhaltung hat Auswirkungen auf das Ganze: Ohne genügend Kunden, die bereit sind, mehr für ein solches Produkt zu zahlen, gibt es nicht genügend Labels, die diese anbieten, und nicht genug Stofflieferanten, die die nötigen Materialien herstellen …

Grundkleidungsmittel selbst entwickeln
Verbraucher können auch direkte Partnerschaften mit Produktentwicklern eingehen. Ein Beispiel dafür ist die Kam­pagne »grundkleidungsmittel.de«, die Common Works betreut. Da geht es weniger um Mode als um langlebige Kleidung als Grundbedürfnis. Ins Leben gerufen hat sie der Frankfurter Ingenieur Alexander Schrörs. Er forderte: Ich möchte eine dunkelblaue Cordhose, egal, ob das gerade die Farbe der Saison ist oder nicht. Sie soll gut sitzen, haltbar, ökologisch und fair hergestellt sein.
Für die ersten 200 Hosen plante er 6500 Euro ein; die Hälfte sammelte er per Crowdfunding, den Rest zahlte er. Auf seiner Internetseite macht er die Produktentwicklung transparent, zeigt Fotos vom Bio-Baumwollstoff, den ein deutscher Traditionsbetrieb herstellt. Zudem befragt er seine Unterstützer und zukünftigen Käufer der Hose nach ihren Bedürfnissen. Etwa in welcher Farbe das gute Stück zukünftig noch hergestellt werden soll. Oder: Ist es sinnvoll, alle Hosen in derselben Länge zu produzieren, und jeder kürzt sie sich selbst? Das vereinfacht vieles und macht es für alle günstiger.
Kaufen kann man das erste Grundkleidungsmittel übers Internet für 90 Euro. Auf seinem Blog schreibt Alexander Schrörs, »9. 11. 12: Die Kalkulation steht – das sind die Kosten für die blaue Cordhose:« In einer Hose stecken z. B. 17,70 Euro für den Stoff, 13,80 Euro für die Näharbeit und 19,10 Euro für Entwicklung und Produktionsbetreuung durch Common Works. Wenn sich Hosenträger und Hosenentwickler direkt zusammentun, kann die Produktentwicklung Banken und Zwischenmittler überspringen. So bleibt mehr für die eigentliche Fertigung übrig, und der Preis ist trotzdem moderat. Vor allem aber ist es am Ende genau die Hose, die die Käufer möchten, denn die waren selbst an der Entstehung beteiligt. Die Kampagne »grundkleidungsmittel.de« ist eines der spannendsten Projekte, die Common Works betreut. Weitere werden sicherlich folgen. Marte Hentschels Vision für die Zukunft: »Ich wünsche mir, dass es keinen Grund mehr gibt, konventionelle Kleidung herzustellen – weil es keinen Sinn ergibt, es nicht ökologisch zu machen: Die Stoffe sind besser, weniger belastet, unter besseren Bedingungen produziert, alle können gut davon leben. Ich wünsche mir, dass man gar nicht mehr darauf achten muss, ob etwas fair oder ökologisch hergestellt ist, es soll selbstverständlich sein.« Ob wohl auch eine fair und ökologisch hergestellte Nähmaschine selbstverständlich werden kann? •

Der Artikel ist in der OYA  18/2013 erschienen. Grit Fröhlich (37) ist Kommunikationswissenschaftlerin und Übersetzerin. Sie organisiert in Berlin eine Food-Coop.

www.grundkleidungsmittel.de

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