Zutiefst lebendig

Foto: Sabrina Gundert

Foto: Sabrina Gundert

Von Sabrina Gundert. Wie stark habe ich mich doch verkrampft. Habe versucht festzuhalten, was sich nicht festhalten lässt. Endlich, dachte ich, gönn ich mir auch mal ein Stück von der Sicherheit, die mir so zuverlässig in der letzten Zeit immer unter den Füßen weggezogen wird. Doch alles was blieb war die Anspannung. Nervlicher und körperlicher Art. Ich begann zu kämpfen, um Halt, Geborgenheit, darum, dass die Dinge so bleiben mögen, wie sie sind – oder wenn nicht, dann zumindest doch so sein würden, wie ich sie gerne hätte.

Doch je mehr ich rannte, umso schwergängiger wurde es. Der Magen begann zu schmerzen, der Darm zu rebellieren, die Haut juckte und ich, ich wurde immer erschöpfter. Bis ich aufgab, mich dem Leben ergab. Aufhörte zu kämpfen, gegen das Leben und gegen mich. Immer wieder von Neuem das annahm, was jetzt war, so schwierig dies auch war und immer noch ist. Und doch übe ich mich Ja zu sagen – auch zu dem Widerstand und dem Nicht-annehmen-Wollen.

Wenn der Boden unter den Füßen verschwindet

Ich erlebe es besonders im vergangenen Jahr immer wieder, dass immer dann, wenn ich beginne festzuhalten, mir etwas den Boden unter den Füßen wegzieht – plötzlich steht das Haus zum Verkauf, die Beziehung geht in die Brüche, Freundschaften brechen weg oder Geldsorgen tauchen auf. Manchmal kann ich sogar darüber lachen, ist es doch teilweise derart abstrus, ganz so, als würde da oben im Universum auf einer gemütlichen kleinen Wolke jemand sitzen und sich denken: Na, liebe Sabrina, wolltest du dich nicht darin üben, ganz im Moment zu leben? Das sieht mir aber nicht danach aus. Na das haben wir gleich. Und schwupps – ist der Boden wieder weg. Angenehm, ja, das ist wirklich etwas anderes. Doch es wird ebenso beschwerlich, wenn ich beginne, gegen das, was das Leben mir gibt, anzukämpfen. Stets mit dem Fluss zu fließen, komme was wolle – Stromschnellen, unbekannte neue Ufer, Länder, von denen ich noch gar nicht wage zu träumen, ja, das kostet gleichwohl ganz schön viel Mut und Vertrauen.

Und doch – kann ich für einen Moment aussteigen aus meinem Sorgenkarussell, aus der Frage, was das Leben mir jetzt schon wieder damit sagen will und welche Lösung es für all das geben soll, erkenne ich das größere Ganze. Ich sehe, dass es wirklich gerade diese Krisen und Brüche sind, die mich immer wieder dazu herausfordern, Vertrauen in mich zu fassen, Halt in mir zu finden und ganz im Jetzt zu leben. Denn, ehrlich gesagt, wenn alles entspannt läuft im Leben, ich mich vertrauensvoll bei allen Problemen auf meinen Partner verlassen kann, das Geld üppig in mein Leben strömt und der Alltags entspannt-wohlig dahinplätschert, habe ich nicht wirklich das Bedürfnis, etwas zu verändern, an mir zu arbeiten oder das Jetzt wahrhaft zu leben. Dann mache ich mir viel lieber Gedanken um den nächsten Urlaub, das neue Auto, den Restaurantbesuch am Abend. Vielleicht macht mich das nicht unbedingt glücklicher, aber es müsste wohl schon erst eine Krise auftauchen, ehe ich die Herausforderung des Lebens – ganz im Jetzt zu leben ohne Netz und doppelten Boden – annehme.

Ein Seminar namens Leben

Aber wie gesagt, das Leben ist ja momentan sehr zuverlässig was den fehlenden Boden angeht. Dafür aber entdecke ich etwas viel Wertvolleres. Ja, man könnte auch sagen, ich bekomme das volle Praxis-Seminarprogramm – gratis noch dazu. Es ist ein Seminar, das alles thematisiert – all meine Ängste und Sorgen, meine Hoffnungen und Freuden, die Grübeleien im Kopf, alle Höhen und Tiefen. Es ist ein Seminar voll praktischer Übungen. Übungen, die genau zu den Mustern und Dingen passen, an denen ich arbeiten wollte. Jeden Tag. Ein Seminar namens Leben.

Und so, wenn ich mich wieder daran erinnere, begreife ich, wie wertvoll diese Herausforderungen zugleich für mich werden können. Bilden sie doch die Grundlage und Chance, mir selbst wieder näher zu kommen, immer mehr die zu werden, die ich schon immer war – ohne Maske und Rollen – und all das an Weisheiten wirklich zu leben, was ich vielleicht theoretisch in all den vielen schönen Büchern rund um ein spirituelles Leben gelesen haben, was bislang aber lediglich als Wissen im Regal vorhanden war.

Das Leben sorgt für mich

Höre ich auf zu kämpfen und wage damit den Sprung ins Jetzt, spüre ich, wie sich augenblicklich etwas in mir entspannt. Es gibt vielleicht noch keine Lösung und auch der Nebel, in dem ich mich befinde, ist nur ein kleines Stück lichter geworden, aber ich merke, dass ich wieder drin bin im Fluss. Denn ich habe Ja gesagt zu dem, was ist und bin damit wieder eingestiegen in den jetzigen Moment. Und plötzlich erinnere ich mich auch wieder – an all die Male, wo das Leben so gut und vertrauensvoll für mich gesorgt hat. Daran, dass ich nie wirklich alleine war. Dass es manchmal schon ein paar Tag des verzweifelten Alleinseins brauchte, um das Kämpfen wirklich aufzugeben, aber dass im Anschluss immer gleich viele helfende Hände da waren.

So wage ich es – noch aus der Not heraus, doch mit der Zeit wohl immer öfter, das Leben wirklich zu berühren. In der Freude wie im Schmerz. Und ich spüre, ja, das heißt es wohl, wirklich lebendig zu sein und intensiv zu leben. Denn so fühle ich mich wieder – zutiefst lebendig.

SabrinaGundertZur Person: Sabrina Gundert (25) ist freie Journalistin, Autorin und ­Seminarleiterin. Ihr Herzblut ist das Schreiben, die Natur und das ­Gehen des eigenen Lebenswegs. www.handgeschrieben.de

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2 Kommentare zu “Zutiefst lebendig
  1. Bine sagt:

    Oh, wie wunderbar, Sabrina. Danke für’s Teilen! 🙂 <3

  2. Sabrina sagt:

    Sehr gerne, liebe Bine! Viele liebe Grüße, Sabrina

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