Perfektion ist suspekt

Foto: Paro Bolam

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Vielleicht ist es eine gute Faustregel jeder Art von Perfektion erst einmal zu misstrauen. Oft sehen wir Perfektion, weil wir sie sehen wollen – und nicht, weil sie wirklich vorhanden ist.

Und dann fragte ich mich: Wann und wo ist denn Perfektion vorhanden?
Ich kenne nur ständigen Wandel, Fließen, Erscheinen und Vergehen.
Und dieser Wandel ist vielleicht auf seine Art vollkommen – aber perfekt?
Gibt es in dieser Welt überhaupt so etwas wie Perfektion?
Ist sie nicht per se immer eine Illusion?
Ist nicht jede Art der Perfektion dazu verdammt, früher oder später der Vergänglichkeit anheim zu fallen, zu zerbröseln, zu vergehen? Sich irgendwann in Staub aufzulösen?
Und beginnt diese Auflösung nicht gleich im ersten Moment?

Ich denke da an ein Bild, das vor meinem inneren Auge erschienen, als ich heute einen Artikel über die Revolten anlässlich der Eröffnung der EZB in Frankfurt las. Ich sah dieses riesige, glitzernde – so perfekt erscheinende – Gebäude und nahm gleichzeitig wahr, wie die ersten Gebrauchsspuren auftauchten, nach und nach ein Gewebe von Zerfall bildeten und die stolze Glas- und Metallkonstruktion nach tausend oder zweitausend Jahren in einen Müllhaufen verwandelten.Im kreativen Prozess geht es nie um Perfektion.

Foto: Paro Bolam

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Im kreativen Prozess geht es nie um Perfektion.

Es geht um die Freude am Risiko und den Mut, alte Regeln zu brechen und Neuland zu betreten.

Es geht um die Lust, ausgetretene Wege zu verlassen und querfeldein zu wandern – auch, wenn man ab und zu mal stolpert und auf die Nase fällt.

Wenn mir meine Lehrerin sagen würde: „Schau, ich stolpere auch noch manchmal – und zwar so und so… und dann stehe ich wieder auf, schüttele den Staub ab und bin etwas weiser geworden. Das kannst du ganz genauso!“, dann würde mir das helfen, meine Ansprüche fallen zu lassen und mich zu trauen, immer wieder neue Grenzen zu überschreiten und “Fehler” zu machen.

Ich würde lachen und nun doch noch die riesige Kuh oder die goldene Fläche oder die kleine nackte Prinzessin malen, vor denen der innere Kritiker mich so eindringlich warnt. Was könnte mir schon passieren?

Kreative Kompetenz

Das Streben nach Perfektion erzeugt Anspannung, Ehrgeiz und Angst. Und der Mut zu spielen und zu experimentieren schult unsere kreative Kompetenz.
Ja klar, vielleicht stolpern wir mal und fallen auf die Nase. Aber das haben schon andere vor uns getan – und sie sind wieder aufgestanden und haben gelacht und den Staub abgeschüttelt und weitergemalt.

Foto: Paro Bolam

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Die Übung

Wir machen eine Anti-Perfektions-Kur und erlauben uns, eine Woche lang beim Malen nach Herzenslust zu experimentieren und zu spielen. Ist ja alles nur ein Abenteuer! Muss ja nichts werden. Ist ja nur ein Experiment!

Und wenn der Innere Kritiker meckert, darf er auch mal ein kleines Bild malen. Mal sehen, was er auf die Reihe kriegt… 🙂

Mehr über Paro: In ihrem aktuellen Buch „Love to create – Befreie den Künstler in dir!“ lässt Paro, die selbst jahrzehntelang als Künstlerin, Lehrerin und Erforscherin kreativer Prozesse tätig ist, die Leser an ihren eigenen hinzugewonnenen Erkenntnissen und Erfahrungen teilhaben und ergänzt diese durch Berichte ihrer KursteilnehmerInnen. So vermittelt sie nicht nur ein tieferes Verständnis von kreativen Prozessen, sondern erklärt auch die Entstehung und Überwindung von künstlerischen Blockaden. Die Prinzipien kreativer Prozesse sind immer gleich, aber wie sie erlebt und genutzt werden können, ist zutiefst individuell. Mehr über aktuelle Workshops mit Paro hier.

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