Die Poesie des eigenen Weges

Heidrun Bomke

Heidrun Bomke

Von Heidrun Bomke. Ein Morgenspaziergang am Ätna
Ein früher Morgen am Ätna.
Es ist Ende März.
Wieder erlebe ich das Wunder des Erwachen:

In der Schale der Nacht
auf dem Rücken des Tages
wenn Helios ruht im geflügelten Schoß
erwacht das Licht.
Mit Rosenfingern streift es mein Herz.

Ein neues Beginnen. Warmes Licht schimmert mir entgegen. Der Himmel ist weit.
Ich bin auf 1.300 m Höhe unterhalb des Vulkans. Unten liegt die Bucht von Catania.
Das Meer fließt bei Agnone bagni, der Meeresecke, im Bogen in Richtung Augusta.
Fließt der alten griechischen Metropole Syrakus entgegen.

Heidrun Bomke

Heidrun Bomke

Jeden Tag erlebe ich diesen Moment.
Jeden Morgen öffnet sich mir das Herz in dieser Schönheit.
Ich atme tief und lächle dem Tag entgegen. Das Glück, in den Elementen seine eigene Natur zu erfahren. Kreatürlichkeit.

Seit drei Jahren verbringe ich viel Zeit in dieser archaischen Natur.
Eine Million Jahre alte Vulkanerde. Das immer wieder erlebte Feuer des Monte Ätna. Weite blaue Himmel. Die Kraft des Meeres.

Elementares, das sich mir schenkt, dem ich mich öffne.

Auge in Auge mit dem Licht
hinter meinen Lidern fließt die Wärme des Morgens

Die Poesie der Natur und mein lyrisches Empfinden fließen ineinander. Eine starke kreative Kraft. Tiefe Inspirationen, die ich schreibend, lesend, fotografierend erlebe.

Wie immer gehe ich auf meinem Morgenweg im Ätnapark. Komisch ist mir dieser Ausdruck. Ätnapark. Für mich sind es Wiesen, Bäume, Blumen, Kräuter, Schmetterlinge. Rauschen und Stille in eins. Ja, er ist mir ein Weltkulturerbe. Ein spiritueller Seelenort.
Heimat.
Ich liebe den Morgen! Wenn Eos-Aurora um die Welt streift und uns wieder das Licht bringt. Manchmal verschmelzen die ersten Strahlen und der leichte Rauch des Vulkans miteinander. Ein wundersames Morgenleuchten.

Eos
wandert um mein Haus
streckt die Morgenfinger aus
streichelt Himmel Erde Meer
schickt ein Lächeln zu mir her.

Fruchtbare Lavaerde am Südhang des aktivsten Vulkans Europas.

Ein magisches Fleckchen Land.
Feigen, Kirschen, Äpfel, Birnen, Pflaumen, Nüsse, Brombeeren, Gelsi, Mandelbäume, Ginestra, Kastanien, Eichen und die schönen Pini.

Ich habe ein Ritual: Immer umarme ich im Vorbeigehen „meinen Baum“, eine Eiche.
Aus einer Wurzel wachsen zwei Stämme.
Ich nenne ihn den Ying- und Yang-Baum. Spüre seine ausgleichende Kraft. Dualität vereint sich. Erde und Himmel in eins. Winter und Frühling begegnen sich in ihren Elementen! Ich spreche mit dem Baum:

Baum du
Ätnaeiche du
an deiner Rinde spüre ich die tief gefurchte Zeit und
vertraue deiner Umarmung.

Foto: Heidrun Bohmke

Foto: Heidrun Bomke

Vertrauen in den eigenen Weg.
Ich steige weiter bergan. Quer über bereits blühendes Land.
Schritt für Schritt gehen. Über alte Lavamauerreste ehemaliger Schafställe. Weideplätze. Ich gelange zur Wiese mit dem weiten Blick auf die Hügelkette um Centuripè. Wie eine Fata Morgana in der Morgenluft liegt diese alte Stadt. Oft sieht alles ganz blau aus.
Ein weites weites Atmen des Kosmos:

Nur der Atem des Windes und die Lavaschritte meines Hundes über dem blauen Land.
Ganz blau liegt es heute
liegt blau wie Himmel und Meer.

Ich lege mich auf diese Erde. Großmutter Erde. Breite die Arme aus. Spüre mir nach.
Atme tief in den Bauch. Meditation. Frieden in mir. Frieden mit allem.
Eine tiefe Freude am Sein. Das urplötzliche Gefühl:

Heimat ist da, wo meine Seele in Frieden ist.

Jetzt, wo der Frühling da ist und Proserpina wieder von Pluto zurückkommt. An den Hängen des Ätna hat der Gott der Unterwelt sie geraubt. Den Winter über ist sie im Dunkel. Nun streift sie wieder umher und ihre Mutter Cerere, Göttin der Erde und der Fruchtbarkeit, tut ihre Arbeit.
Mythologie umspielt mich. Hier wohnen uralte Geschichten.

Immer, wenn ich dieses Feuerhügeleiland betrachte staune ich über die starke Kraft der Elemente und die zyklische Wiederkehr eines unverwüstlichen Lebens.

Eigenwillig erscheint mir dieses grüne Sprießen aus der schwarzen harten Erde.

Foto: Heidrun Bomke

Foto: Heidrun Bomke

Auf dem grün sprießenden Lavaboden liegen
Lang hingestreckt
Feinen Regen im Gesicht und
ein Lächeln

So gehe ich weiter auf meinem Höhenweg. Fast kenne ich jeden Baum und Strauch. Linkerhand begleitet mich immer der Vulkan. Rechterhand die Ebene von Catania, die Vulkankrater der Monte Rossi, die Goethe 1787 bestiegen hat. Verwundert über diese Landschaft. Und Johann Gottfried Seume, der in seinen Reiseerinnerungen
„Spaziergang nach Syrakus“ im Jahre 1801 schrieb:

„Es ist vielleicht in ganz Europa keine Gegend mit so vielfältiger Schönheit als die Umgebung dieses Berges.“

Er marschierte vor 215 Jahren von Grimma durch ganz Europa. War Erde und Menschen sehr nahe.

Mir begegnet an diesem Morgen völlig unerwartet ein junger Mann. Dort, wo man noch die Reste einer Ansiedlung, eine Zisterne, ein Haus aus Lavasteinen sieht. Stein auf Stein und ohne Mörtel. Kein Regentropfen dringt ein. Natürlicher Schutz.
Ich unterhalte mich mit Marco, der auf dem Grundstück seines nonno, seines Großvaters die Stille genießt. Er erzählt mir von seinem Traum. Er möchte hier ein kleines Rifugio schaffen für Touristen, die die Elemente spüren wollen: die Verwandlungskraft des Feuers, die Festigkeit der Erde, die Weite des blauen Himmels und die reinigenden Wellen des Meeres. Weitab vom normalen Tourismus.
Ich ermuntere ihn. Menschen werden genau solche Orte brauchen zum Innehalten in Einfachheit und Natürlichkeit. Um sich selbst zu hören. Um die Poesie der Landschaft in ihre Seelen zu lassen. Um Kraft zu schöpfen für sich und ein frohes Leben. Ich freue mich und verspreche, seine künftigen Besucher auf Morgenspaziergänge zu führen. Poetische Meditationen für ihren Weg.
Mich führt mein Schritt nun weiter zum Spalier der leichten hohen Ginsterbäume, die ab Juni bis November gelb in der Morgensonne leuchten. Dort sehe ich das Lavahaus ohne Dach. Wieder und wieder Häuser ohne Dach. Häuser unter dem Vulkan.

Foto: Heidrun Bomke

Foto: Heidrun Bomke

Ein Lavahaus ohne Dach
vom Sturm verweht.
Wie unsicher unser Obdach.
Doch der Himmel macht seine Tore w e i t
und das Meer zum Greifen nah lädt ein
zum S e i n.

Einfach Da-Sein. Ich fühle mich leicht in dieser Landschaft. Und oft purzeln die Verse aus mir heraus wie im Herbst die Maroni von den Bäumen. Oder sie fallen in mich hinein. Das ist wohl richtiger. Ich denke an die Dichterin Hilde Domin, die mir hier im Traum erschien: Worte sind reife Granatäpfel.
Ja, ich habe erstmals Granatäpfel geerntet!

Es liegt ein großes Heilen in diesem Sein.
Ein Ernten und Säen zugleich.

Manche fragen mich: Hast du keine Angst, immer so alleine unterwegs am Ätna?
Mich verwundert diese Frage. Noch nie hatte ich dieses Gefühl. Wie oft springe, lache, spiele ich mit meinem Hund. Schreibe Tagebuch. Ein Tagebuch des Beginnens. Mit Naturbeobachtungen, Gedichten, Haikus:

1 Tiefes Durchströmen
2 ruhender Körper im Licht
3 Schönheit des Lebens.

Ein Morgenfreudentagebuch. Weil mir das Herz aufgeht!
Versuchen auch Sie es einmal. Man muss nicht unbedingt am Ätna sein. Man muss sich lediglich umschauen, die Erde und den Himmel sehen und in allem die göttliche Liebe.

Was soll mir hier passieren?

Foto: Heidrun Bomke

Foto: Heidrun Bomke

Ja, natürlich. Der Monte Ätna. Er spuckt sein Feuer in die Luft. Ich habe ihm oft zugeschaut. Voller Demut seine Urkraft gehört.
Erst gestern gegen 14.00 Uhr begann der Donner, das dumpfe tiefe Grollen, das dann bis zur Explosion anschwoll. Hier wohnt sehr sehr viel Energie. Vulcanus, der Gott des Feuers und der Schmiedekunst, der einzige Handwerker unter den Göttern, schmiedet am Fuße des Vulkans.
Ich war gerade mit dem Hund unterwegs und fotografierte. Es war wunderbar!
Ich sah traumhafte Gebilde von Rauch. Sah Feuer, das nach oben schleuderte. Sah die Lavaasche herabregnen. Sah, wie Rauch und Wolken verschwammen und spürte hautnah diese Urkraft, die seit Millionen Jahren dort wohnt.
Drei Stunden dauerte das Spettacolo. Dann lichtete sich alles und war wie nie geschehen. Jedenfalls auf dieser Seite des Ätna. Typisch sizilianisch. Si opure no. Ja oder nein.
Ein Dazwischen scheint nicht zu existieren.

Ich schrieb das Gedicht

Das Donnern des Vulkans oder ein Moment Ewigkeit

Ich sitze still.
Lausche schaurig schön dem Donnern des Vulkans.
Mein Herz klopft im Lavatakt.
Scheiben scheppern
Feuer im Himmel
Asche in der Luft treibt zum Meer.

In allen Fasern spüre ich das Leben.

Ginge es zu Ende
jetzt
ich wäre bereit zu Pluto zu gehen.
Er wohnt um die Ecke.

Doch draußen steht ein Stuhl am sonnigen Terrassentisch und erwartet mich.

Morgen schreibe ich ein Gedicht vom gestrigen Fauchen des Urfeuers.

Und so gehe ich auch heute weiter auf meinen Morgenweg und schaue ihm zu, dem Vulkan, wie er ganz lieblich verspielt daliegt. Ein solcher Verwandlungskünstler ist der Berg. Ein Lehrmeister.

Bist ein Zauberer mein Berg
spuckst Feuer und Asche
bläst leichte Wölkchen in die Luft …
die fliegen wie Luftballons in das Blau des Himmels.

Er lehrt die Verwandlung. Von allen Seiten sieht er anders aus. Das Spiel der Farben. Manchmal ganz schwarz, blau, grün-braun im Sommer, lustig beschneit im Winter mit getauten Feuerflecken. Oft schickt er Elstern zum Gruß. Falken mit Botschaften.

Dreimal rief der Falke mich
Heut im neuen Jahr
Dreimal küsste ich das Licht
Und der Engelschar.

Denn es ist ja Neujahr nach dem kosmischen Kalender!

Neujahr, wenn der Frühling da ist! Ein Fest der Fruchtbarkeit und des Wachsens. Auch die Osterhasen, die conigli, hüpfen mir über die Füße. Ich erinnere mich an den lustigen Brauch des Ostereiersuchens! Am Palmsonntag kann man mit den Palmblättern auch Eierschalen verbrennen. Doch das wirkliche Osterfeuer macht sowieso la montagna, „mein Berg“, der Ätna!

Ein neuer Lebenszyklus beginnt also.
So zwinkert mir „der Schwarze“ heute luftig zu:

Morgenherz

Foto: Heidrun Bomke

Leicht bewindet hebt sich das weiche Licht über dem schwarzen Berg.
Der Vulkan hat eine Zipfelmütze auf.
Weht nordwärts.
Mein Morgenherz atmet die stille Frühe des Ostens.

Mein Morgenherz.
Ein schönes Wortpaar. Es geht mit in dieser Natur und weitet sich.
In mir liegt ein Urvertrauen. Ich staune manchmal selbst über die Signora dell‘ Etna, wie mich ein sizilianisches Mädchen nennt. Ich spüre Weite. Gebe meiner Seele Raum.

Ich bin erfüllt von Liebe.
Eine Liebe, die aus der kosmischen Fülle schöpft und mir Fülle gibt.
Momente größter

Nähe

Im warmen Lächeln meiner Haut
atmet der Duft der Liebe.

Eine Liebe, die durch die Poesie des Augenblicks ausstrahlt. Freude gibt. Schöpferkraft!
Meine gelebte Spiritualität.

Ich sehe die schwarze fein bewachsene Erde.
Sehe die kahlen Äste grün schimmern, als ich vom Höhenweg wieder nach unten gehe. Vorbei an Lava, Lava, Lava. Noch unbewachsen. An den riesigen Kastanien entlang. Einzelne kleine Sommerhäuser am Weg.
Vorbei an dem nun grünen Grund, den die Einheimischen ob seiner Form „la nave“, das Schiff nennen. So fließen alle Elemente in eins. Osterwasser schöpfe ich aus der Zisterne.

Alles ist da. In mir. Für alle.

Mein Morgenweg – ein Hymnus

Nie werd ich dieses Morgengrün vergessen
es ruht in mir wie Seelensamt.
Die frühe Sonne streift die neue Erde
mit ihrem Weltenkamm.
Sie kämmt die kahlen Äste in dem Lavaland
Sie schickt das Blattgrün auf den Weg
Sie küsst die grauen Steine unterm frühen Nebel
als wisse sie vom Weltengang.

Foto: Heidrun Bomke

Foto: Heidrun Bomke

Zur Person: Heidrun Adriana Bomke, Contrada Monte Arso am Ätna Süd, Sicilia
Literarisches Leben unterwegs, www.heidrunbomke.de/news, info@heidrunbomke.de
0049-176/38091094; 0039-3382578603

Die Autorin lebt im Wendland und am Ätna. Dort bietet sie Spirituelle Spaziergänge auf alter Kulturerde an. Da, wo keine Touristen sind: Zwischen Ätna und Meer – Geh mit mir! Und man kann poetisch mit ihr nach Sizilien reisen: Zwischen Ätna und Meer – Flieg mit mir!, um die Poesie dieser Insel und des eigenen Weges zu er-leben. Sehr besonders, inspirierend und nur in kleinen Gruppen.

Ausstellung: 17. Mai bis 21. Juni 2015 im VERDO Hitzacker: WO DAS LICHT WOHNT – MEIN SIZILIEN – Fotografien und Poesien
Poesien in dem zweisprachigen Gedichtband
Wo das Licht wohnt / Dove abita la luce
Catania 2014

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