Von der Raupe Nimmersatt zum Schmetterling

Foto: www.unsplashed.com Melissa Chabot

Von Claudia Shkatov. Wir alle sind auf der Reise. Und es ist eine Reise der Veränderung und des Wachstums. Es ist ein Weg, der uns immer mehr ins Bewusstsein führt. Und es ist ein Weg zu uns selbst und zu dem Wesen, das wir ohnehin schon immer waren und immer sein werden.

Das zu erkennen und langsam aufzuwachen aus dem Raupen-Dasein, indem wir fressen, uns verpuppen und schließlich den Kokon verlassen, ist das Ziel.

Dann fühlen wir uns im Fluss mit dem Leben und eins mit allem was ist.

Ich liebe die Metapher von der Raupe Nimmersatt (die Heldin eines gleichnamigen Kinderbuches von Eric Carle), weil sie so herrlich bewusst macht, wie wir sind, solange wir uns anfüllen mit allem möglichen im Außen. Bis wir schließlich feststellen, dass es uns reicht, wir angefüllt sind mit Gegenständen und Erfahrungen und trotzdem nicht das gefunden haben, wonach wir uns sehnen: Liebe, Glück, Frieden, Nähe, Erfüllung,…

Und dann können wir uns nach Innen wenden. Es beginnt eine Zeit der inneren Einkehr, der Integration, der Meditation, der Ruhe und der Entschleunigung. Unser Rhythmus, unsere Wahrnehmung, unser Körperbewusstsein, womöglich auch unsere Ernährung und sogar unsere Beziehungen und unsere Arbeit können sich vollkommen verändern. Vermutlich suchen wir mehr das Alleinsein und den Kontakt mit der Natur. Wir stellen uns Fragen nach dem Sinn in allen Lebensbereichen. Unsere Orientierung geht immer mehr von „Was brauche ich?“ hin zu „Wie kann ich dienen!“ Unsere Kraft, unsere Kreativität, unsere Gesundheit, unsere Präsenz, unsere Verwurzelung mit der Erde und im Körper, die Qualität unserer Beziehungen, unsere Wirksamkeit und der Nutzen unseres Wirkens in allen Bereichen wächst.

Ich habe für mich festgestellt, dass es kein linearer Prozess ist. Vielmehr ist es ein Hin-und-Her-Pendeln zwischen den unterschiedlichen Stufen des Wachstums bis man sich schließlich für eine Weile auf einer Stufe einpendelt. Und dann geht es weiter. Auch kann sich der Stand von Lebensbereich zu Lebensbereich unterscheiden. So können wir beispielsweise im Beruf vollkommen in unserer Lebensaufgabe aufgehen und bereits als Schmetterling geschlüpft sein aber in unserer Liebesbeziehung noch im Kokon stecken.
Und das ist in Ordnung so. Jeder hat seine individuelle Schrittfolge und sein persönliches Tempo.

Meine Erfahrung ist, dass es auf diesem Weg ganz bestimmte Energien gibt, die uns besonders hilfreich in dieser Entwicklung sind. Ich fand hier für mich insbesondere:

– Wertlosigkeit
– Alleinsein
– Demütigung
– Kleinsein/Hilflosigkeit

Es mag zunächst verrückt klingen, dass gerade Energien, die die meisten von uns absolut nicht fühlen und erleben wollen – mein ‚Favorit’ waren immer Wertlosigkeit und Demütigung 😉 – unsere besten Lehrer und Wegweiser ins Erwachen sein sollen. Doch sieh selbst, in wieweit Du dies für Dich finden kannst.

Ich habe entdeckt, dass zum Beispiel das widerstandslose Fühlen der Energie der Wertlosigkeit als simple Sensation in meinem Körper zu einem Zustand innerer Balance und Weite führt, der über das Loslassen von Anhaftungen an materielle Werte und Beziehungen, von denen wir uns bislang Wert versprachen oder über die wir unseren Wert definierten, lehrt. Es entsteht ein innerer Zustand, in dem Wert keine Rolle mehr zu spielen scheint. Alles, was existiert, hat hier Wert. Und die Frage danach stellt sich nicht mehr. Wir landen bei dem, was manche Menschen unser göttliches Selbst nennen.

Ähnlich verhält es sich mit dem Alleinsein. Einmal ohne Widerstand und Urteil durchgefühlt, landest Du im Eins-Sein, in der Verbundenheit mit Dir selbst und mit allem, was ist. Die Energie der Demütigung führt Dich in die Demut, eine Mischung aus Mitgefühl und Respekt für jedes Lebewesen und in ein Verständnis der Hintergründe seines Verhaltens. Ein herrliches Gefühl! Die Energien des Kleinseins oder der Hilflosigkeit schließlich lehren uns die Hingabe an das Göttliche, das Vertrauen in die göttliche Führung. Sie öffnen uns für das Empfangen und für das Bewusstsein, das Hilfe immer da ist.

Wichtig ist zu verstehen, dass es nicht darum geht, die Situationen oder die Menschen, die in uns diese Energien auslösen, gut zu finden oder zu entschuldigen. Es mag sogar geboten sein, sich ganz klar aus bestimmten Situationen und Beziehungen zu entfernen. Dies gilt immer, wenn Missbrauch körperlicher oder emotionaler Art im Spiel ist. Dann hat Deine physische und seelische Sicherheit immer allererste Priorität! Allerdings entbindet uns das nicht von der Notwendigkeit, die ausgelösten Energien in uns zu fühlen, um sie als Sprungbrett auf die nächste Stufe unserer Entwicklung nutzen zu können.

Denn so sehr wir auch anhaften an den äußeren Umständen und Personen, die an diese Gefühle geknüpft sind, das was in uns ausgelöst wird, dient immer unserem Wachstum. Jeder Mensch und jede Situation in Deinem Leben sind Lehrer auf Deinem Weg. Daher stellt sich niemals die Frage: „Warum passiert mir das?“ Sondern die Frage, die den Unterschied macht zwischen Opfer und Schöpfer lautet: „Was lehrt mich dies? Oder „Was kann ich zur Lösung beitragen?“

Diese Frage bringt uns in unsere Selbstverantwortung, unseren Wert und unsere Kraft. Sie wählt eine Richtung, die uns voranbringt: Die der Offenheit, Neugierde und der Bereitschaft zu wachsen und sich zu verändern.

Wer lange genug auf der Suche war, Seminare besucht, Bücher gelesen, Therapien gemacht hat, und alles mögliche andere ausprobiert hat, um sein Glück, seinen Frieden, seine Gesundheit, seine Berufung, die große Liebe oder Erleuchtung zu finden, der stellt irgendwann fest, dass er genügend Raum in sich geschaffen hat, um die Vergangenheit hinter sich zu lassen und sich mit all seiner Kreativität fest verwurzelt in der Gegenwart um die Zukunft zu kümmern. Der Weg führt ab hier nur über den Körper und das Fühlen in friedlicher Zusammenarbeit mit dem Verstand. Gay Hendricks drückt es wie folgt aus: „To live without feelings broadcasts words but no music.“ Ein Leben ohne Gefühle sendet Worte aus aber keine Musik.

Wer noch gar nicht auf der Suche war jedoch feststellt, dass um ihn/sie herum der Lärm immer größer wird – der Partner will sich trennen oder redet nicht mehr, die Firma steuert in die Pleite, der Körper zeigt alle möglichen Symptome von latenten Dauerinfekten über Pfeifen im Ohr bis zu Schlaflosigkeit und totaler Erschöpfung – für den wird es Zeit, Zuhören zu lernen.

In erster Linie dem eigenen Körper und den eigenen Gefühlen. Das kann sich zunächst furchtbar schwierig anfühlen. Denn oft fühlen die Menschen nichts mehr. Ein lebendiger Kontakt zum Körper ist nicht mehr da. Und auch Menschen, häufig wir Frauen, die glauben, sie fühlten sehr viel, drücken dies manchmal so dramatisch und lautstark aus, das ein echter Kontakt zum Körper und zum Gefühl auch nicht stattfinden kann. Ich zum Beispiel war viele Jahre lang eine echte Dramaqueen.

Fühlen und (dem Körper und den eigenen Gedanken) Zuhören will gelernt und geübt sein wie Radfahren. Da reicht es nicht, ein paar Bücher zu lesen. Doch Menschen, die diese Mühe auf sich nehmen, werden reich belohnt: Lebenskraft, Klarheit, Authentizität, lebendigen Beziehungen und Kreativität. Sie entdecken, warum sie eigentlich hier sind und erschaffen sich zusammen mit anderen ein Leben, das sich in jeder Hinsicht lohnt, und welches die Bedürfnisse und Gefühle anderer Menschen, die es berührt, einbezieht.

Wer gelernt hat, auf diese Weise Verantwortung für sich selbst und sein Glück zu übernehmen, der ist auch tatsächlich in der Lage, Verantwortung für andere Menschen zu übernehmen. Solche Menschen werden überall gebraucht auf der Welt und in jedem Lebensbereich. Sie sind in der Lage, gemeinsam mit anderen Lösungen zu finden, für all die Themen in Wirtschaft, Umwelt, Politik und im Sozialen sowie in allen zwischenmenschlichen Bereichen die wir Menschen auf einer Bewusstseinsstufe erschaffen haben, auf der es für diese Themen keinen Ausweg gibt.

Das ist der wahre Grund, warum ein Sich-nach-Innen-wenden, die eigenen Bedürfnisse, Gefühle, Gedanken und Reaktionsmuster zu beobachten und zu erforschen, so wichtig ist. Wir haben uns geirrt, wenn wir dachten, spirituelle Entwicklung sei das private Vergnügen irgendwelcher esoterischer Einzelgänger, frustrierter Ehefrauen und indischer Gurus. Jeder Mensch bildet eine Einheit aus Körper, Seele und Geist. Und zum Erwachsen-Werden gehört die Entwicklung und Reifung in allen drei Bereichen.

Ein Mensch, der sich seiner selbst bewusst wird, der heilt Angst, Wut, Hass, Neid, Scham, Streit, Kampf, Krieg, Manipulation, Demütigung, Missbrauch, Sucht, Gier, Konkurrenz, Eifersucht, Krankheit, Verschmutzung, Rücksichtslosigkeit, Betrug,… zunächst in sich selbst. Dann ist er fähig nach Außen hin wirksam zu werden.

Wer da draußen kämpft, konkurriert, siegt, streitet, urteilt, sich zurückzieht, angreift, beschimpft, leidet, der ist aufgerufen nach Innen zu blicken. Ansonsten wird seine Wirksamkeit beschränkt bleiben, und mit der Zeit erschöpft er sich buchstäblich im eigenen destruktiven Handeln und Denken.

Doch das bringt uns nur langsam weiter.
Es ist Zeit aufzuräumen!

Frühjahrsputz!
Zunächst im eigenen Herzen.

Dann in den eigenen engsten Beziehungen.
Und dann in der Welt, die uns umgibt.

Claudia Shkatov ist Heilerin, Trainerin, Coach und Autorin. Sie unterstützt Menschen im privaten und beruflichen Kontext in ihrer Persönlichkeitsentwicklung. Schwerpunkte ihrer Arbeit sind Bewusstsein, Gefühle, Weiblichkeit & Männlichkeit, Kommunikation, Leadership und Partnerschaft.
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8 Kommentare zu “Von der Raupe Nimmersatt zum Schmetterling
  1. Naras sagt:

    Einfach SEIN, Claudia und Mein Körper, Geist und Seele heilen und pflegen. Dann komme ICH zur Quelle: der LIEBE. In der WIR 1 sind. <3 <3

  2. Björn S. sagt:

    Vielen Dank, Frau Shkatov. Ich habe das Lesen und damit zusammengehende Spüren durch den Text unheimlich genossen.

    Herzlichst!

  3. Bianca sagt:

    Vielen lieben Dank, Frau Shkatov einfach nur WoW so klar und autentisch von ganzem Herzen Danke …..

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