Der Wert von Schwellenzeiten in unserem Leben

Foto: Alexandra Stehle

Wenn das Alte nicht mehr trägt und das Neue noch nicht da ist – Von Sabrina Gundert. In unserem Leben gibt es immer wieder Zeiten, wo wir spüren, dass etwas nicht mehr stimmt. Wir nehmen ein Knarzen wahr, eine innere Leere, dieses Gefühl, dass unser Leben irgendwie unrund läuft. Wir spüren: Das Alte trägt nicht mehr und das Neue ist noch nicht da.

Es ist ein Gefühl, dass keiner von uns gerne hat. Es fühlt sich so nach „dazwischen hängen“ an, danach, das eigene Leben nicht mehr unter Kontrolle zu haben (was wir in diesem Sinne vielleicht auch nie hatten, nur wird es uns jetzt schmerzlich bewusst). Einstige Pläne funktionieren in solchen Zeiten nicht mehr, was uns jahrelang (vielleicht Jahrzehnte lang) erfüllt hat, tut es nicht mehr.

Vielleicht meinen wir, es hinge mit dem Wetter zusammen, mit der Kollegin, die heute wieder schlecht drauf war, mit dem Partner, der am Morgen so nervig war oder mit uns, die vermeintlich nie zufrieden sein können.

Dabei hat das Phänomen einen Namen: Schwellenzeit. Zwischenzeit. Jene Zeit, in der wir auf der Schwelle stehen. Wo wir wissen, dass die alten Lösungen nichts mehr nützen und wir zugleich keine Ahnung haben, in welche Richtung unser Weg weitergehen will.

Ein inneres Aufbrechen

Diese Zwischenzeiten sind nicht besonders populär in unser Gesellschaft. Denn es scheint klar zu sein, in welche Richtung unser Weg zu gehen hat: immer vorwärts, Richtung Erfolg und nächstem Ziel. Meist fehlt uns das Bewusstsein dafür, dass es so etwas wie Schwellenzeiten überhaupt gibt. Und darüber, welcher Wert in ihnen steckt.

Für mich sind es Zeiten, in denen etwas aufbricht, sich innerlich wandeln und reifen darf, um dann mit neuer Kraft nach außen zu treten. Das ist auch die Krux an den Schwellenzeiten: Sie sind meist nicht äußerlich sichtbar. Niemand außer uns spürt, was in uns vorgeht.

Zeiten der Wandlung

Bei einer Schwangeren, da sehen wir, dass sie sich in solch einer Zeit der Wandlung befindet. Da ist ein Kind in ihr, dass heranreift, Form annimmt und schließlich geboren wird. Zugleich wird die Frau durch diese Wandlung, diesen Geburtsprozess, als Mutter geboren. Auch vom Frühling kennen wir diesen Wandlungsprozess, wenn sich in den Pflanzen – für uns oft unsichtbar – alles bereit macht für einen neuen Zyklus, für einen nächsten Lebensabschnitt.

In jenen Zwischenzeiten sind das Ahnen, das Lauschen und nach innen Gehen groß, wohingegen es im Außen meist wenig gibt, was wir aktiv tun können. Vielleicht fällt es uns gerade deshalb auch so schwer, die Schwellenzeiten als solche zu erkennen und anzunehmen. Weil wir gewohnt sind zu tun und jene Zwischenzeiten uns zwangsweise zum Innehalten bringen.

Was will kommen?

Auf meinem eigenen Weg sind sie mir oft begegnet und begegnen mir immer wieder, jene Zwischenzeiten. Da war etwa die Zeit nach der Trennung von meinem Verlobten. Als Hochzeitspläne, bereits rausgesuchte Kleider und Hochzeitsorte plötzlich an Bedeutung verloren hatten. Ebenso wie unsere gemeinsame Wohnung, der damalige Wohnort und unsere Familienpläne. Damals stand ich gefühlt vor dem Nichts und der großen Frage: Was will kommen? Was jetzt? Das Alte, das so fest, so sicher und solide wirkte, gab es nicht mehr, Neues war noch nicht in Sicht.

Damals fühlte ich mich oft unglaublich verloren, bodenlos. Was mir half waren klare Rituale, Zeiten, die ich mir mit mir selbst nahm, Wanderungen, die ich in der Natur unternahm und Bücher wie Menschen, von denen ich mich stärkend begleiten ließ – sowohl privat durch Freundinnen als auch professionell durch Beratungen und Coachings. Es war eine unglaublich herausfordernde Zeit, die mir sehr gezeigt hat, was mich trägt, wenn alles, an was ich bislang geglaubt hatte, zusammenbricht. Wenn kein Stein mehr auf dem anderen steht und alle Pläne über das, was kommen soll, fehlen.

Innehalten und lauschen

Was sie mir jedoch auch gezeigt hat, ist, wie wertvoll es ist, in dieser Zeit auszuharren. Zu lauschen, zu warten, keine vorschnellen Entscheidungen zu treffen. Damals ging es für mich vor allem um die Wohnortfrage. Ich wusste, ich wollte nicht im Norden Deutschlands bleiben, wo wir anderthalb Jahre zuvor hingezogen waren. Hier hatte ich keinen Freundeskreis und es fiel mir unglaublich schwer mit meiner Selbständigkeit Fuß zu fassen. Doch wo sollte ich hin? Ich hatte keinen Anhaltspunkt, irgendwie schien alles möglich und nichts.

Ich suchte nach Mehrgenerationenhäusern und Wohngemeinschaften, da mich beides faszinierte. Doch wo ich auch anrief oder hinschrieb – entweder waren sie voll oder wurden gerade gebaut. Damals schrieb ich auf, wie ich gerne wohnen würde: an einem See, mit Alpensicht, Menschen für einen nährenden Austausch in meiner Nähe, einer Möglichkeit, selbständig tätig zu sein, gutem ÖPNV-Anschluss (da ich ohne Auto unterwegs bin) und Einkaufsmöglichkeiten in der Nähe. Ich dachte dabei an den Chiemgau und den Chiemsee, wo ich mich zuvor auf einer Reise sehr wohlgefühlt hatte.

Anders als gedacht

Doch wieder: Nichts tat sich, nichts entstand. Bis ich einer Teilnehmerin meiner Onlineseminare nebenbei erzählte, dass ich gerade auf der Wohnungssuche war. Sie sagte: „Du, ich hätte da was am Bodensee. Ein Zimmer in einer Frauen-Hausgemeinschaft mit See- und Alpenblick.“ Das Zimmer wurde genau zu dem Zeitpunkt frei, zu dem ich im Norden meinen Teil der Wohnung bereits gekündigt hatte.

Aber ich konnte doch nicht einfach in den Süden ziehen! Über 1.000 Kilometer weg, an einen Ort, den ich erst einmal online auf der Karte suchen musste, um überhaupt zu wissen, wo er lag. Doch dann fand ich den Zettel wieder, auf dem ich aufgeschrieben hatte, wie ich gerne wohnen würde. Und ich stellte fest, dass die Beschreibung eins zu eins auf das Angebot vom Bodensee zutraf. Nur dass es eben der Boden- statt der Chiemsee war.

Vertrauen in den Fluss des Lebens

So fuhr ich zwei Wochen später in den Süden, schaute mir das Zimmer an und zog sechs Wochen später um. Noch heute staune ich, wie sich damals alles gefügt hat, ob privat, mit meiner Selbständigkeit oder dem neuen Wohnort.

In all dieser Zeit hat mich persönlich ein Herzens- und Kraftlied, das vom Vertrauen in den Fluss des Lebens singt, begleitet, dass ich wieder und wieder gesungen habe. Wann immer es mir schlecht ging, wann immer ich Zweifel hatte, sang ich es. Es wurde zu meinem kraftvollen Begleiter und half mich, zurück ins Vertrauen zu finden und auf der Schwelle stehen zu bleiben, solange nötig.

Nichtwissen zulassen

Im Rückblick sehe ich, wie wertvoll es war, mir diese Zeit zu nehmen. Mir zu erlauben, in diesem Raum des Nichtwissens zu stehen und genau das zuzugeben. Zuzugeben, dass ich keine Ahnung hatte, wie und wo es weitergehen sollte. Zuzugeben, dass ich Angst hatte, das ich neugierig war und manchmal alleine nicht weiterwusste. Mir Schatzkisten mit Büchern, Texten und Postkarten zu packen, die mich bestärkten. Mit Düften, die mich aus Löchern und Gedankenspiralen holten und wieder im Moment ankommen ließen. Mir Unterstützung und Hilfe zu holen, wenn ich merkte, dass mir der Berg vor mir zu groß wurde und ich mir jemanden an meiner Seite wünschte.

Vor allem auch: mich mit Menschen (Freunden, Frauenkreisen, professionellen Beratern und Coaches) auszutauschen, die um den Wert jener Schwellenzeiten wussten. Die wussten, dass sie existieren, sie selbst kannten und mir immer wieder den Wert gezeigt haben, den ich in solch einer Wandlungszeit finden kann.

Wertvolle Ernte

Was heute weggefallen ist, ist meine Angst vor der nächsten Schwellenzeit. Weil ich wieder und wieder erfahren haben, was Wertvolles entsteht, gebe ich diesen Zwischenzeiten Raum. Wie sehr ich aus der tiefsten Dunkelheit wieder ins Licht emporsteigen kann, bin ich wirklich bereit, alles gehen zu lassen, was mir und dem Leben nicht länger dient – ja, was das Leben ohnehin in solch einer Schwellenzeit von mir nimmt. Ebenso habe ich erkannt, dass jene Schwellenzeiten unweigerlich zum Leben dazugehören. Dass sie die Zeiten sind, durch die wir wieder lebendig werden können, haben wir uns festgefahren. Und dass es die Zeiten sind, durch die der größte Wandel in uns überhaupt erst möglich wird – die uns schleifen und mit neuem Glanz weitergehen lassen, wagen wir es, bewusst durch sie hindurchzugehen und ihnen zu begegnen.

Zur Person: Sabrina Gundert begleitet Frauen mit ihren Coachings, Seminaren und Büchern auf dem Weg zurück zu sich selbst, in ihre Kraft und zu ihrer Essenz. Und damit zu dem, was ihnen wirklich, wirklich wichtig ist. Mit ihrem Angebot der Schwellenzeit lädt sie ein, jenen Zwischenzeiten im eigenen Leben bewusst Raum zu geben, mit kraftvoller Begleitung durch sie hindurchzugehen und gestärkt aus ihnen herauszukommen. Im Irdana-Verlag sind von ihr die beiden Bücher „Auf dem Herzensweg – Lebensgeschichten spiritueller Frauen“ und „Hab Mut und geh – Das Herzensweg-Praxisbuch“ erschienen. www.sabrinagundert.de

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3 Kommentare zu “Der Wert von Schwellenzeiten in unserem Leben
  1. Ralf S. sagt:

    Schöner Beitrag liebe Sabrina. Danke Dir dafür!
    Mich beschäftigen sowohl die persönlichen als auch die gesellschaftlichen Schwellenzeiten in denen wir doch gerade mitten drin stecken.

  2. Naras sagt:

    Danke Sabrina fürs persönliche Teilen. Dafür das „Wir“ und „Uns“ war Mir zu unpersönlich. Leider hat Ralfs übernommen. <3 <3 IchSelbst genieße die Zeiten, wo es Mir klar wird, was Mir noch fehlt zu Meinem Glück. Dazu hatte Ich 1 Anzeiger aufgegeben. Die abgelehnt wurde. Jetzt habe Ich "Es" in Unseren Topf aufm Tisch geworfen. Und überlasse es erst X wieder "Meine Ewigkeit". <3 <3

  3. Karoline sagt:

    Liebe Sabrina, danke für diesen Bericht. Es tut gut, sich in den Worten anderer Menschen wiederzufinden. Jedoch, was mich seit Beginn meiner jetzigen Schwellenzeit beschäftigt: Wie schaffe ich es mit Familie, mit meinem Kind, das ich versorgen muss, und ohne jetzt sichtbaren Rückhalt das Alte loszulassen? Im alten Leben passt nichts mehr, aber ich kann nicht einfach wegziehen und meinen Job aufgeben. Ich kann mich vielleicht selbst einschränken, fallen lassen. Aber was ist mit denen, die ich im Moment trage und noch viele Jahre tragen werden? …

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