Warum es uns schwer fällt, Zeit fürs Alleinsein zu nehmen

Foto: Elske Margraf

Von Leo Babauta Wie oft nimmst du dir die Zeit, für einen stundenlangen Spaziergang? Um einfach draussen in der Natur zu sitzen und nichts zu tun, als nachzudenken und die Stille zu genießen?

Ich bin sicher, dass es einige unter euch gibt, die diesen Luxus regelmässig genießen, doch die meisten von uns nehmen sich keine Zeit für tägliche Einsamkeit.

Für einige ist es ein unerreichbarer Luxus: Der tägliche Überlebenskampf spielt sich zu nah am Überlebensmodus ab, um nur schon über eine Stunde allein in der Natur nachzudenken.

Doch für viele von uns ist es so, dass unser Verstand scheinbar gute Gründe findet, geschäftig zu bleiben. Ungewissheit begleitet uns tagein, tagaus und treibt uns dazu noch mehr zu tun – um alles kontrollieren zu können, um noch mehr in unsere Leben zu stopfen, um in Abhängigkeit von Technologie und Ablenkung zu verharren.

Die Hauptursache für unsere Geschäftigkeit und Ablenkung ist Ungewissheit

Jede Stunde unseres Lebens ist von Ungewissheit durchzogen. Wir sind unsicher, was wir tun sollen, wer wir sind, ob wir gut genug sind, was geschehen wird, wie es um die Welt steht und wie wir mit diesem überwältigenden Leben umgehen können. Wir geben das nicht oft zu, doch wir fühlen die Ungewissheit den ganzen Tag lang.

Um mit diesem Gefühl von Unsicherheit umgehen zu können – mit dieser Bodenlosigkeit, dass wir in unseren Leben keine Stabilität haben –, klammern wir uns an Annehmlichkeiten und Ablenkungen, wir schieben Dinge für später auf und lassen gute Gewohnheiten schleifen, wir sind unaufhörlich geschäftig, mailen Textnachrichten und finden immer neue Beschäftigungen. Und wenn mal eine kurze Pause entsteht, nehmen wir das Handy zur Hand oder starten das nächste Video, um irgend etwas zu tun, irgend etwas zu schauen.

Der Gedanke, allein zu sein, Stille in unser Leben einzuladen und Zeit zum Nachdenken zu haben, mag vielen von uns attraktiv erscheinen. Doch wenn die Zeit kommt, um es tatsächlich zu tun, treibt uns das Gefühl der Ungewissheit dazu, uns an die Geschäftigkeit zu klammern. »Ich kann jetzt nicht, ich habe zu viel zu tun.« »Nur noch eine E-Mail. Nur noch ein Video.« Und doch laugt uns diese beständige Geschäftigkeit und Ablenkung aus. Wir sind immer »on«, immer in Verbindung, immer stimuliert, wir brauchen allzeit Energie.

Wie wäre es, jeden einzelnen Tag für eine Stunde die Verbindung zu kappen? Uns vom Fernseher, von Büchern, von Geräten zu entfernen und einfach für einen Spaziergang raus zu gehen? Nicht produktiv, sondern verbunden mit der Natur.

Wir könnten die Auszeit nutzen. Wir könnten die Zeit nutzen, um aufzutanken und in der Natur neue Kräfte zu sammeln. Wir könnten die Bewegung und die Stille nutzen, die unserem Geist die Gelegenheit bieten, zur Ruhe zu kommen – Raum für Besinnung und Nichtstun.

Um dies zu tun, müssen wir die Ungewissheit daran hindern, unsere Leben zu beherrschen. Sie kann bei uns sein, eine beständige Weggefährtin, und wir können lernen, uns in ihrer Gegenwart wohl zu fühlen und sie so zu lieben, wie sie ist. Doch sie soll uns nicht treiben!

Dieser Wandel wird eingeleitet, indem wir Raum für das Alleinsein schaffen, und wenn es nur für eine halbe Stunde ist – so wird es möglich. Achte darauf, wie dein Geist gleich beginnt, dir scheinbar gute Gründe zu nennen, warum wir das nicht tun sollten oder wie du den Drang verspürst, das Alleinsein noch ein klein wenig länger zu vermeiden.

Dann gib diesem Drang nicht nach und gehe stattdessen in die Einsamkeit und verweile mit deinen drängenden Bedürfnissen, deinen Scheinargumenten, deinem Stress.

Schau was passiert, wenn du diesen Dingen etwas Raum gibst. Sie kommen zur Ruhe. Und du wirst getragen vom Raum und von dem Leben, das dich umgibt.

Dieser Artikel stammt von Leo Babauta, er wurde erstmals auf seiner Website zenhabits.net unter dem Titel Why We Struggle to Make Time for Solitude veröffentlicht. Übersetzung und deutsche Erstveröffentlichung bei Dirk Henn 52wege.de

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