Elternbäume geben “Erinnerungen” an Nachwuchs weiter

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Von Beate Kittel. Bäume können sich im Lauf ihres Lebens nicht nur an neue Bedingungen anpassen, sondern diese “Erinnerung” an eine veränderte Umwelt sogar an die nächste Generation weitergeben. Diese erstaunliche Fähigkeit konnten Forschende der Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL nun erstmals nachweisen. Das Ergebnis lässt hoffen, dass sich Bäume besser als befürchtet auf den Klimawandel einstellen können.

Die aktuelle globale Erwärmung läuft zu schnell ab, als dass sich langlebige Organismen wie Bäume im Rahmen der Evolution genetisch an neuen Lebensbedingungen anpassen könnten. Dies ist ein Prozess, der viele Generationen benötigt. Doch zum Glück können Bäume – wie alle Pflanzen – sehr flexibel auf ihre Umwelt reagieren, etwa indem sie bei Trockenheit mehr Wurzeln und bei guten Bedingungen viele Blätter für starkes Wachstum bilden. Diese spezifischen Umweltanpassungen werden aber nicht an die Nachkommen vererbt; das weitergegebene Erbgut beinhaltet lediglich die Fähigkeit, dass sich ein Baum selbst anpasst.

Damit sind die Errungenschaften des Baumes für die nächste Generation verloren, war für lange Zeit die Lehrmeinung. Erst in den letzten Jahren wurden bei Tieren und auch Menschen Mechanismen entdeckt, mit denen Reaktionen auf Umwelteinflüsse an den Nachwuchs weitergegeben werden. Es handelt sich um kleine Moleküle, so genannte Methylgruppen, die an die DNA-Bausteine angehängt werden und beeinflussen, welche Gene mehr oder weniger stark zum Einsatz kommen. Dieses Muster von Molekülgruppen überträgt sich über Eizellen, Spermien oder Pollen an die Nachkommen.

“Vererbung” ohne Gene

Erstmals haben nun WSL-Forschende diese Fähigkeit auch bei Waldbäumen nachgewiesen – nicht direkt auf molekularer Ebene, sondern anhand der beobachteten Effekte. Dazu hat sich das Forschungsteam ein langjähriges Bewässerungsexperiment der WSL zunutze gemacht. Im Pfynwald im Wallis, wo Föhren unter extrem trockenen Bedingungen wachsen, bewässern die WSL-Wissenschaftler seit 2003 bestimmte Waldparzellen. Bei einem Teil davon wurde die Bewässerung nach 10 Jahren wieder gestoppt. Dieses langfristige Experiment bietet perfekte Bedingungen, um Anpassungen an trockene und feuchte Bedingungen zu untersuchen.

Das Team um den PostDoc Arun Bose sammelte die Zapfen von Mutterbäumen ein, entnahm diesen die Samen. Ein Teil davon wurde im Gewächshaus gesät, wo die Jungpflanzen unter unterschiedlichen Wasser-, Licht- und Temperaturbedingungen aufwuchsen, ein anderer im Pfynwald auf den unterschiedlich bewässerten Flächen. Das Resultat im Gewächshaus war deutlich: Nachkommen von an Trockenheit gewöhnten Elternbäumen gediehen mit wenig Wasser klar besser, da sie mehr Wurzelmasse bildeten. Bei genügender Wasserversorgung lag jedoch der Nachwuchs der Eltern von bewässerten Flächen vorn, da sie mehr Nadeln produziert hatten. Die Pflänzchen, deren Eltern einen Bewässerungsstopp erlebt hatten, lagen genau dazwischen.

“Das ist der erste Nachweis, dass Elternbäume Umweltinformationen an ihre Nachkommen weitergeben, die dadurch besser mit den Lebensbedingungen klarkommen”, sagt der Ökologe Arthur Gessler, der die Studie und die WSL-Gruppe Ökosystem-Ökologie leitet. “Die Nachkommen sind von Anfang an auf die zu erwartende Situation vorbereitet.” Andere Vorteile bestimmter Bäume, etwa durch grössere Energiereserven in den Samen, hatten die Forschenden ausgeschlossen: Alle Samen waren gleich schwer.

Training für das Genom

Den Prozess der DNA-Methylierung erklärt Gessler als “eine Art Training für das Genom”. Das genetische Potenzial ist bei allen Individuen gleich, aber dank der Methylierung “weiss” das Erbgut, welche Gene das Überleben steigern und von Anfang des Wachstums an voll zum Einsatz kommen sollten. Ob es sich bei Bäumen tatsächlich um diesen molekularen Mechanismus handelt, erkunden Forschende derzeit an anderen Institutionen.

Das Anpassungspotenzial hat allerdings auch seine Grenzen, wie der extrem trockene und heisse Sommer 2018 bewies, in dem die Feldversuche im Pfynwald stattfanden. Denn es gingen zahlreiche Jungpflanzen ein, egal von welchem Elternbaum sie stammten. “Die Föhren leben im Pfynwald am trockenen Rand ihres Verbreitungsgebiets”, sagt Gessler. Wird das Klima künftig also noch heisser und trockener, wird auch die clevere Methylierungs-Taktik das Föhrensterben im Wallis nicht langfristig aufhalten können.

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