Konflikte als Chance

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Von Jumana Mattukat. „Nein, nein, er hat das gar nicht so gemeint.“ Die längste Zeit meines Lebens habe ich versucht, dafür zu sorgen, Konflikte in meinem Umfeld zu vermeiden. Zunächst als Kind in meiner Ursprungsfamilie, dann unter meinen Freunden, später unter Kollegen und auch als Mutter bei meinen beiden Kindern. Bis ich in meinem aktuellem Job als Coach und Konfliktbegleiterin meine Einstellung zu Konflikten änderte. Inzwischen sehe ich sie als Chance – auf vielerlei Ebenen. Dazu später mehr. Zunächst zurück zum Anfang.

Seismograph für Missverständnisse

Vielleicht liegt es daran, dass ich mit meiner deutsch-libanesischen Herkunft zwei Völker in mir vereine oder daran, dass sowohl mein Sternzeichen als auch mein Aszendent Waage lauten, Fakt ist: seit ich denken kann, ist es mir ein starkes Bedürfnis, Missverständnisse aus dem Weg zu räumen und Harmonie in Beziehungen herzustellen.

So bin ich zu einem Seismographen für Missverständnisse geworden.

Mit sprachlichen Missverständnissen bin ich groß geworden. Mein Vater ist in den 60er Jahren als junger Mann aus dem Libanon auf Abenteuerreise nach Europa gegangen, hat hier meine Mutter kennengelernt und entschieden zu bleiben. Obwohl er sehr gut Deutsch spricht, war die ständige Gefahr von Missverständnissen mir immer präsent. Und auch welche Konflikte daraus entstehen können, die gar nicht notwendig sind. Da ich wohl auch ein großes Bedürfnis nach Harmonie mit in die Wiege gelegt bekommen habe, habe ich vielerlei Strategien entwickelt, diese Missverständnisse möglichst rasch zu klären, um möglichst keine Konflikte erleben zu müssen.

Diese Strategie, die mir als Kind diente, habe ich noch eine Weile weiter verfolgt.

Oftmals war sie für alle Beteiligten sehr hilfreich und verhinderte tatsächlich unnötige Konflikte. Eine Zeitlang wohnte ich beispielsweise in einer internationalen WG und mischte mich immer wieder ein wenn der tunesische Mitbewohner und die spanische Mitbewohnerin in der Küche kurz vor einem Streit standen, weil sie beide auf Deutsch aneinander vorbei redeten. „Sie meint es ganz anders und zwar…“ begannen viele meiner Sätze in dieser Zeit. „Ach so.“ war die Antwort und Entspannung folgte auf beiden Seiten.

Streit vermeiden um jeden Preis?

Dass mein Einmischen vielleicht nicht nur gut ist und sogar kontrollierend und übergriffig sein kann, lehrten mich später meine beiden Kinder. Streit, den sie untereinander hatten, wurde durch mein Eingreifen nicht besser, sondern oftmals sogar schlimmer. Ich hatte hier also ganz offensichtlich etwas zu lernen. Mit der Zeit merkte ich, wie wichtig es ist, dass ich sie ihre Dinge unter sich klären lasse.

Dieser Lernprozess war für mich langwierig und bedeutete viel innere Arbeit. Belohnt wurde ich für das „nicht eingreifen“ jedes Mal: ich sah wie schnell ein Streit wieder erledigt war wenn sie ihn ausleben durften. Meine Kinder und ich fanden Wege, um herauszufinden, wann sie meine Unterstützung brauchten und wann nicht.

Die Erfahrung mit den beiden war sicher der Anstoß zum Umdenken. Unsere Kinder halte ich ohnehin für unsere größten Lehrmeister. 😉

Konflikte als Chance

Inzwischen hat sich meine Einstellung zu Konflikten grundlegend verändert – durch meine eigenen Selbsterfahrungsprozesse und durch meine berufliche Erfahrung.
Ich sehe sie inzwischen als Chance.

Jedes Mal wenn es zu einem Konflikt kommt, haben wir die Chance auf Wachstum. Wenn wir einen inneren Konflikt zu einem Thema haben, dann können wir mehr über uns selbst herausfinden.
Wenn wir einen Konflikt mit einem Menschen haben, dann kann die Beziehung zu diesem Menschen wahrhaftiger werden.

Und wenn es einen Konflikt innerhalb der Familie bzw. in einem Team gibt, dann liegt auch hierin die Chance auf Weiterentwicklung.Konflikte legen den Finger in die Wunde, das kann schmerzhaft sein, aber sie zeigen auch bereits den Weg heraus, in dem sie an die Oberfläche spülen, was es anzuschauen gilt. Aus meiner Sicht sind Konflikte eine Einladung des Lebens zu mehr Wahrheit, zu mehr Liebe und auch zu mehr Freiheit.

Denn dort, wo wir dem Konflikt aus dem Weg gehen und wir womöglich sogar Unangenehmes unter den Teppich kehren, wird sich die Kraft dahinter einen anderen Weg suchen.

Die Wirkung ungelöster Konflikte

Bei einem inneren Konflikt kann sich das körperlich bemerkbar machen. Ich habe beispielsweise meinen Nacken als besten Indikator dafür, ob mir gerade etwas „im Nacken sitzt“, was ich mir nicht anschauen möchte.

Bei einem Konflikt mit einem anderen Menschen kann es vorkommen, dass ein Thema im Unausgesprochenen größer und größer wird und sich dann an einer Kleinigkeit vollkommen überdimensioniert „entlädt“. Und wie sehr eine unterschwellig „wabernde“ Angelegenheit die Stimmung in einem Team vergiften kann, hat sicher jeder schon einmal erlebt. Also, raus damit.

Ich selbst habe für mich irgendwann verstanden, dass das Ausleben von Konflikten sich durchaus mit meiner tief verankerten Sehnsucht nach Frieden vereinbaren lässt, sich vielmehr sogar bedingt. Echter Frieden ist nur möglich wenn wir unsere Themen bearbeiten: sei es in uns selbst, mit dem Gegenüber oder aber in einer Gruppe.

Gewaltfreie Kommunikation als „Universalübersetzer“

Glücklicherweise ist mir vor etwa 10 Jahren dazu ein hilfreiches Instrument begegnet, das für mich genau dies möglich machte. Ich nenne es den Universalübersetzer! Es ist zu einem meiner Lieblingsinstrumente im Coaching und in Konfliktbegleitungen geworden: die Gewaltfreie Kommunikation nach Marshall Rosenberg. Sie gilt als das am häufigsten eingesetzte Konfliktlösungsmodell weltweit.

Mit dieser Kommunikation erlebe ich wie Menschen plötzlich die Möglichkeit haben, die selbe Sprache zu sprechen. Eine Sprache, mit der man über eigene Bedürfnisse spricht statt dem anderen vorzuwerfen was er oder sie alles verkehrt macht. Mit Hilfe dieses Universalübersetzers können Menschen Missverständnisse und Konflikte überwinden und wieder miteinander in einen guten Kontakt finden. Dabei werden sie zwar nicht zwangsläufig die besten Freunde, aber zumindest das Zusammenleben oder die Zusammenarbeit können dadurch wieder leichter werden.

Meine persönlichen Erkenntnisprozesse und die GFK haben mir einen Weg gezeigt, wie ich meinen kindlichen Wunsch nach immerwährender Harmonie als erwachsene Frau
sinnvoll und realistisch für mich und andere nutzen kann.

Ich bin dankbar, damit einen kleinen Beitrag für ein wenig mehr Frieden in den Menschen und damit in der Welt leisten zu dürfen.

Jumana Mattukatt

Jumana Mattukat arbeitet als Konfliktbegleiterin und begleitet als Coach Menschen und Unternehmen bei ihren individuellen Transformationsprozessen. Sie ist Autorin des Buches „Mami, ist das vegan?“, in dem sie 2013 ihren Weg zur veganen Ernährung beschrieb. Ihre Sehnsucht nach Frieden, nach dem Schutz von Kindern, Tieren und der Umwelt treibt sie an, immer wieder neue Wege zu suchen und zu gehen. Aktuell ist sie unter dem Leitsatz „neues Leben- Neues leben“ gemeinsam mit ihrem Partner Matthias Jackel dabei einen Ort zu gestalten, an dem ein friedliches nachhaltiges Miteinander als Gemeinschaft gelebt werden kann. www.jumanamattukat.de

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2 Kommentare zu “Konflikte als Chance
  1. Johannes sagt:

    Sehr richtig, Danke. Das kompromittierende lauwarme Wischi-Waschi Rumgeeiere geht mir speziell als Mann bei mir selber gehörig auf den Sack: vermeidet es doch Klarheit, echte Begegnung & Kontakt – den Anderen so zu lassen wie er ist.

  2. Parvati sagt:

    Liebe Jumana,

    Danke für deinen aufschlussreichen Artikel zum Thema Konflikte! Als HSP und in Gesprächen mit anderen Hochsensiblen erlebe ich immer wieder kleinere und größere Widerstände, wenn es um innere und äußere Konflikte geht und darum, diese anzuerkennen.

    Ich bin wie du der Meinung, dass es im echten Kontakt mit anderen nicht möglich ist, immer konfliktfrei zu leben – auch wenn die Sehnsucht danach noch so groß ist! Ich sehe mich selbst als Mittlerin bzw. Dolmetscherin zwischen inneren Impulsen und der bewussten Wahrnehmung von ihnen, und darf durch Gespräche mit anderen Menschen erleben, wie heilsam es ist, seine Bedürfnisse nach Klärung auch in klarer Form mitzuteilen. So gesehen sind wir beide „Entwicklungshelfer“ für eine friedvollere Welt – und was kann es in der heutigen Zeit Sinnvolleres geben als das? Nur im wirklichen Kontakt, der Offenheit voraussetzt, gibt es auch ein Wir.

    Danke für dein Wirken! Mögen alle Lebewesen glücklich sein 🙂

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