Die Krise macht uns verrückter oder weiser

Edgar Morin https://de.wikipedia.org/wiki/Edgar_Morin

Edgar Morin ist in seinem 100ten Lebensjahr und teilt seine Gedanken dazu: “ Ich war von der Pandemie überrascht, aber in meinem Leben bin ich es gewohnt, dass das Unerwartete geschieht. Hitlers Siegeszug war für alle unerwartet. Der deutsch-sowjetische Pakt war unerwartet und unglaublich. Der Beginn des Algerien-Krieges war unerwartet.

Ich habe viel das Unerwartete und die Gewohnheit an Krisen erlebt. In diesem Sinne erlebe ich eine neue riesige Krise, die aber alle üblichen Merkmale der Krise hat. D.h. einerseits sorgt sie für kreative Vorstellungskraft und andererseits sorgt sie für Ängste und geistige Rückkehr. Wir alle suchen providentielle Erlösung, wissen aber nicht wie.

Man muss lernen, dass in der Geschichte das Unerwartete geschieht und wieder geschehen wird. Wir dachten, wir leben in Gewissheit, Statistiken, Prognosen und der Vorstellung, dass alles stabil sei, als alles bereits anfing, in die Krise zu kommen. Wir haben es nicht gemerkt. Wir müssen lernen, mit Unsicherheit zu leben, d.h. den Mut zu haben, sich zu stellen, bereit zu sein, den negativen Kräften zu widerstehen.

Die Krise macht uns verrückter und weiser. Eins und eins. Die meisten Menschen verlieren den Verstand und andere werden klarer. Die Krise fördert die gegenteiligsten Kräfte. Ich wünsche mir, dass es die kreativen Kräfte, die klaren Kräfte und diejenigen sind, die einen neuen Weg suchen, auch wenn sie noch sehr verstreut und schwach sind. Wir können uns zu Recht empören, dürfen uns aber nicht in Empörung zu erstarren.

Etwas, das wir vergessen haben: Vor zwanzig Jahren begann weltweit ein Prozess der Verschlechterung. Die Demokratiekrise besteht nicht nur in Lateinamerika, sondern auch in den europäischen Ländern. Die uneingeschränkte Profitkontrolle, die alles kontrolliert, ist in jedem Land. Auch die ökologische Krise. Der Geist muss diese Krisen bewältigen, um sie zu meistern und zu überwinden. Sonst sind wir seine Opfer.

Wir sehen heute, wie sich die Elemente des Totalitarismus niederlassen. Dieser hat nichts mehr mit dem des letzten Jahrhunderts zu tun. Aber wir haben alle Möglichkeiten, Drohnen, Handys, Gesichtserkennung zu überwachen. Es gibt alle Möglichkeiten, um einen Überwachungs-Totalitarismus hervorzubringen. Das Problem ist, diese Elemente davon abzuhalten, zusammenzukommen, um eine totalitäre und für uns unerträgliche Gesellschaft zu schaffen.

Am Vorabend meines 100 Geburtstages, was kann ich mir wünschen? Ich wünsche mir Kraft, Mut und Klarheit. Wir müssen in kleinen Oasen des Lebens und der Brüderlichkeit leben.

https://de.wikipedia.org/wiki/Edgar_Morin

Sharing is Caring 🧡
Posted in Menschen Verwendete Schlagwörter:
3 Kommentare zu “Die Krise macht uns verrückter oder weiser
  1. Petra aus Berlin sagt:

    Vielen lieben Dank für diesen Text. Er ist doch sehr hoffnungsvoll. Zumal von einem Menschen mit sooo viel mehr Lebenserfahrung als allen Leser*innen hier. Ja….es ist eine krise aber vergeichbar mit denen die es in der Weltgeschichte schon gab, auch wiederum gut aushaltbar. Danke Bettina & Team.

  2. Astrid Maria sagt:

    alles ❤ zum 100 jährigen Geburtstag wünsche ich Ihnen Astrid Maria

  3. Johannes sagt:

    Herzlichen Dank für das Teilen Ihrer Weisheit

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

*

Dein Kommentar wird nach der Prüfung freigeschaltet. Bitte beachte, Einschätzungen und Meinungen in Ich-Form zu formulieren und die AutorInnen zu wertschätzen. Nicht identifizierbare Namen (Nicknames), Kommentare ohne erkennbaren Bezug auf den Inhalt des Artikels und Links zu nicht eindeutig verifizierbaren Seiten bzw. zur Eigenwerbung werden grundsätzlich nicht freigeschaltet.