Den eigenen Körper liebevoll annehmen

Foto: Dorothea Ristau

Von Dorothea Ristau. Es ist August und wie schön ist es, nach Feierabend zum See zu fahren und ein kühles Bad zu nehmen. Das kühle Nass erfrischt und im Wasser fühlt sich auf einmal so manche Sorge des Alltags sehr klein an. Doch auch wenn das Schwimmen im kühlen See sehr gut tut, so wirft die Zeit am Badestrand auch Fragen auf. Denn wer so leicht bekleidet am Ufer steht, ist auf einmal sehr mit der eigenen Figur konfrontiert.

Ich weiß nicht, wie es dir geht, aber ich kenne einige Menschen, die mit jeder näher rückenden Badesaison ein regelrechtes Ernährungs- und Fitnessprogramm auffahren, um den Körper auf die Zeit am Strand vorzubereiten. Dann heißt es: Pfunde verlieren, um im Bikini eine gute Figur zu machen.

Mich stimmen diese Geschichten traurig, denn es scheint mir ein Weg zu sein, der auf Dauer zu noch mehr Unzufriedenheit führt.

Geschichten über den Körper

Die Vorstellungen davon, wie der „richtige“ Körper auszusehen hat, sitzen sehr, sehr tief. Ich selbst beschäftige mich aufgrund meiner eigenen Geschichte mit Essstörungen, aber auch aufgrund meiner Arbeit seit fast 20 Jahren mit Themen rund um den Körper und die Figur. Und auch, wenn ich für mich schon vieles beleuchtet und erkannt haben, so stoße ich bis heute immer noch auf Glaubenssätze, die mir nicht gut tun und die ich loslassen möchte.

Und mit diesen Themen bin ich nicht alleine…

In einer meiner Ausbildungen durfte ich eine Erfahrung machen, die mich sehr bewegt hat: In einem geschützten Rahmen sind wir nacheinander auf eine Art Bühne gegangen, haben uns in unserer natürlichsten Form gezeigt und haben über unseren Körper gesprochen.

Dabei waren die Bilder und Geschichten sehr unterschiedlich: Manche der Ausbildungsteilnehmerinnen und -teilnehmer waren schon lange mit ihrem Körper in diesem Leben unterwegs, manche erst recht kurz. Manche Körper waren groß, andere klein, manche schmal und kantig, andere weich und kurvig. Es gab Körper, die täglich mitunter sehr viel kritische Aufmerksamkeit bekommen haben und Körper, die irgendwie nebenher liefen. Es gab Geschichten von Krankheiten und Operationen, aber auch von Schwangerschaften und anderen berührenden Erfahrungen.

Doch an einer Stelle ähnelten sich die Geschichten, denn es klang oftmals der Wunsch durch, anders auszusehen: anders geformt, schmaler, mit glatterer Haut, … Und manche haben sehr offen erzählt, dass sie exzessiv Sport treiben, Mahlzeiten auslassen oder erbrechen, um diese Ziele zu erreichen.

Mich hat diese Erfahrung sehr beschäftigt, da sie mir sehr deutlich vor Augen geführt hat, dass die Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper nicht nur ein Thema von Frauen mit Essstörungen ist, sondern dass es so viel mehr Menschen betrifft.

Den eigenen Körper annehmen lernen

Doch es sind weder die Menschen noch die Körper, die „falsch“ sind. Vielmehr hängen in vielen Köpfen Vorstellungen vom „richtigen“ Körper fest und diese Vorstellungen erzeugen das Leid, wenn die Realität nicht mit dem Ideal übereinstimmt.

Auf meinem eigenen Weg war es ein sehr spannender und sehr befreiender Prozess, mir diese Glaubenssätze anzuschauen und zu überdenken.

Und irgendwann stand für mich die Frage: Wie geht es denn anders? Was sind denn gesündere Vorstellungen vom eigenen Körper?

Die Antwort ist so schlicht und gleichzeitig so schwer anzunehmen: Es gibt nicht die richtige Vorstellung vom Körper. Denn es geht darum, jegliche Wertung rauszunehmen und den Körper so zu akzeptieren, wie er ist. Bedingungslos.

Dieser Weg zu mehr Körperakzeptanz ist kein kurzer. Denn wie schon geschrieben: Ich bin seit fast 20 Jahren unterwegs und auch wenn ich inzwischen ein hohes Maß an Selbstannahme genießen darf, bin ich noch immer nicht angekommen.

Aus eigener Erfahrung kann ich berichten, dass dieser Weg aus vielen, vielen, vielen kleinen Schritten besteht, die gegangen werden wollen. Wenn du deinen Körper ablehnst, dann ist es wohl eher unrealistisch, dass du innerhalb von zwei Monaten Frieden mit deinem Aussehen schließt. Diese Veränderungen brauchen Zeit.

Doch du kannst in kleinen Schritten deinen Fokus weg von der Ablehnung hin zur Akzeptanz zu lenken: Was magst du an deinem Körper? Vielleicht sind es deine Haare oder deine Augen oder dein kleiner Zeh. Es braucht wirklich nichts Großes sein, doch dieser Perspektivwechsel ist wichtig. Und mit diesem kleinen Körperteil beginnend, kannst du mit der Zeit die Akzeptanz weiter auf andere Bereiche deines Körpers ausweiten.

Denn dein Körper ist schön und wertvoll, so wie er ist. Von Anfang an ist er bei dir und bis zu deinem letzten Tag wird er bei dir sein und dir so viele Dinge ermöglichen. Er ist ein Ausdruck von Lebendigkeit und erzählt deine ganz persönliche Lebensgeschichte: Schwangerschaftsstreifen berichten davon, dass du einem Kind das Leben geschenkt hast. Kurven laden zum Anlehnen und Kuscheln ein. Narben von Operationen erinnern an schwere Zeiten, die du gemeistert hast und in denen du über dich selbst hinaus gewachsen bist. Und Lachfalten sind ein Ausdruck für Lebenserfahrung und Zufriedenheit.

Vielleicht hast ja auch du noch weitere Ideen, wie du Geschichten, die du dir über deinen Körper erzählst, verändern kannst, sodass du dir zukünftig Geschichten der Wertschätzung erzählst…

Praktische Übungen für dich und deinen Körper

Zum Abschluss möchte ich dir noch ein paar ganz praktische Übungen mitgeben, die dich dabei unterstützen mögen, jeden Tag etwas mehr mit deinem Körper in Kontakt zu treten:

  • Meditationen und Yoga können dir ermöglichen, deinen Körper von innen heraus wahrzunehmen und eine Verbindung zu ihm aufzubauen.
  • Massagen helfen dir dabei, deinen Körper durch die liebevolle Berührung besser zu spüren und einen wohlwollenden Blick auf ihn zu entwickeln.
  • Ein morgendliches Ritual, bei dem du dich mit einem duftenden Öl einreibst, ermöglicht dir, deinem Körper die wachsende Wertschätzung auf ganz praktische Weise zu zeigen.
  • Wenn du nackig durch deine Wohnung läufst, kannst du dich mit der ursprünglichen Natürlichkeit, die du als Kind vermutlich gespürt hattest und die mit der Zeit wahrscheinlich verloren gegangen ist, wieder verbinden.
  • Körperorientierte Erfahrungen wie Laufen, Fahrradfahren, Tanzen oder Schwimmen lassen dich die Lebendigkeit deines Körpers spüren.
  • Und wenn du deinen Blick dafür öffnest, wirst du am Badesee feststellen, wie unterschiedlich und doch wunderschön Körper sein können.

Mögest du und mögen immer mehr Menschen mit der Zeit immer mehr Frieden mit dem eigenen Aussehen und der eigenen Figur schließen, sodass Geschichten, bei denen sich mühevoll auf die Badesaison vorbereitet wird, irgendwann Geschichte sind.

Denn allein ein Abend am See ist schon wunderschön. Und wenn du diesen zusammen mit deinem wundervollen Körper, der dir für dieses Leben geschenkt wurde, genießen kannst, dann verdoppelt sich die Freude noch.

Dorothea Ristau

Zur Person: Als Selbsthilfe-Expertin begleitet Dorothea Ristau online wie auch offline Frauen, die auf ihrem Weg aus der Essstörung selbst aktiv werden und dabei nicht alleine sein wollen. Besonders setzt sie sich dafür ein, dass Betroffene auf ihrem Weg viele im wahrsten Sinne des Wortes berührende Momente erleben.

https://wege-aus-der-essstoerung.de

Ein Tag in der Sächsischen Schweiz [https://wege-aus-der-essstoerung.de/tag-in-der-saechsischen-schweiz] ermöglicht dir, deinen Körper auf andere und sehr intensive Weise kennen zu lernen. Außerdem ist unterwegs viel Zeit, um über Körperthemen und andere Fragen zu sprechen.

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7 Kommentare zu “Den eigenen Körper liebevoll annehmen
  1. Björn S. sagt:

    Vielen Dank

  2. Miriam sagt:

    Lieben Dank – so schön zu begreifen: diesen Weg dürfen wir alle gehen. Eine alte Erinnerung, die mir in Sinn kommt: eine Interrail-Reise Anfang der 80er Jahre, die auch an Frankreichs Mittelmeer- und Atlantikstrände führte. Und mein freudig staunendes Entdecken von französischen Frauen mittleren und höheren Alters, die voller Stolz und Selbstbewusstsein genau ihren, diesen einen einzigartigen Körper bewohnten. Sie wirkten so völlig zuhause in ihrem Lebensgefährt. Das fand ich ganz wundervoll und sehr inspirierend. Das warme Gefühl in mir und der freudige Gedanke: ach, so kann und mag das sein, sich zu mögen und froh zu sein im eigenen Körper!

  3. Dorothea Ristau sagt:

    Sooo gerne, lieber Björn. 🙂

  4. Oliver sagt:

    Lieben Dank für Deinen Beitrag.
    Während des Lesens bekam ich wässrige Augen. Anfangs wusste ich nicht gleich warum.
    Dann wusste ich warum, ich durfte meinen Körper auch vor 17 Jahren wieder lieben lernen, da dieser derzeit einen Rollstuhl benötigt, um sich fortzubewegen. Das war ein Prozess im Annehmen.

    • Dorothea Ristau sagt:

      Lieber Oliver,

      das klingt so, als ob du durch das Angewiesensein auf den Rollstuhl mit deinem Körper mehr in Kontakt gekommen bist.

      Alles Liebe für dich, Dorothea

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