Was ist wirklich wichtig?

Foto: Vera Bartholomay

Von Vera Bartholomay. Meine norwegische Hütte liegt an einem Küstenstreifen mit kleinen, pittoresken Dörfern, die für ihre weißgestrichenen, alten Holzhäuser in kleinen, verwinkelten Gassen, für Fischerboote und Möwengeschrei bekannt sind. Diese Orte sind beliebte Ferienziele für norwegische Großstädter und auch so manche ausländischen Touristen.

Das nächstgelegene dieser Dörfer ist nur eine überschaubare Fahrradstrecke entfernt. Und dennoch halte ich mich in den Sommermonaten meist fern. Zu groß der Trubel, zu anders das Leben dort. Wenn ich in meiner einsamer gelegenen Hütte bin, falle ich derart in eine andere Welt hinein, dass ich mir gar kein anderes Leben vorstellen kann. Was macht man eigentlich in einer Stadt? Außer gelegentlich ein paar Lebensmittel einkaufen oder Baumaterialien für die morsche Wand. So erreicht mich der Touristentrubel in der Regel so ganz und gar nicht.

Es gibt davon nur wenige Ausnahmen, und diese werden zelebriert. An mindestens einem Tag im Sommer mache ich mich auf den Weg ins Dörfchen, kauf mir ein Eis und setze mich in den Hafen. Dort schaue ich mich die Sommergäste an, die mit ihren Booten von den umliegenden Inseln ankommen. Fröhliche Kinder mit Schwimmwesten. Eltern, die „wir haben Zeit“ ausstrahlen. Ältere Menschen, die sich etwas langsamer in den Booten bewegen und erst recht Zeit haben. Ist der Makrele schon gekommen? Wie viele hast du schon geangelt? Wichtigere Fragen gibt es heute eigentlich nicht. Fernsehen? Was ist das? Uhren? Schaut doch zum Himmel, wo die Sonne gerade steht.

Zwischendrin aber auch ein paar Großstädtler (das heißt hier fast immer aus Oslo), die immer noch nicht verstanden haben, dass es hier nicht um Markenklamotten und schicke Sonnenbrillen geht. Die immer noch nicht aufgehört haben, nach „wichtigen“ Menschen Ausschau zu halten oder abzuklären, welches Restaurant hier das Angesagteste ist. Oder die im Hafen auf ihren teuren Yachten sitzen und so tun, als würden sie nicht auf die Blicke der Hafenbesucher achten. Die dennoch sehr wohl prüfen, ob ihre Yacht im Vergleich mit den anderen immer noch toll genug, teuer genug, immer noch größer ist als die nebenan liegenden? Menschen, die etwas darstellen wollen. Die in einem Land mit langen Wintern etwas kaufen, was sie nur wenige Wochen im Jahr wirklich nutzen können. Mit der ein längerer Ausflug schon an Benzinkosten so viel kostet, wie andere Menschen in einem ganzen Monat verdienen.

Gleich daneben liegt ein altes, aber liebevoll instandgehaltenes Holzboot. Ein Ergebnis unendlich vieler Stunden mit Schleifpapier und Lack. Heute finanziell aber kaum etwas wert, denn Holz ist nicht länger “in“ unter den Bootsbesitzern.

Und dennoch – rate mal, vor welchem Boot die Leute stehen bleiben? Wo sie einen sehnsuchtsvollen, nostalgischen Blick bekommen und sich vielleicht fragen, warum wir uns nicht lieber auf die Langsamkeit eines tuckernden alten Holzboots einlassen. Mit dem wir zwar eine sehr begrenzte Reichweite haben, unterwegs aber Dinge sehen, die von den hohen und schnellen Yachten aus nicht mehr wahrgenommen werden. In dem wir das Tuckern des alten Dieselmotors schon fast wie ein meditatives Mantra auf unser Gemüt wirken lassen können. In dem wir sofort in alte Kindheitserinnerungen von unendlichen Sommern eintauchen.

Und uns wieder einmal fragen dürfen: Was ist wirklich wichtig?

Vera Bartholomay Autorin, Seminarleiterin und Therapeutin
www.vera-bartholomay.com

 

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4 Kommentare zu “Was ist wirklich wichtig?
  1. Katja Erban-von Ah sagt:

    Liebe Vera,

    Innigsten Dank für diese wunderschönen und tiefgründigen Zeilen sowie das herrliche und zur Meditation anregende Bild.
    Herzlichst
    Katja

  2. Liebe Katja, ich freue mich, dass es dir gefallen hat! Du findest mehr von solchen Themen in meinem Blog, falls du reinschauen magst.
    Herzlichst, Vera

  3. danke für den inspirierenden Text liebe Vera der mir mein Herz weitet und einsgerichtet auf die Menschen sehen lässt, die so viel verloren haben, was sie nicht wissen…. da sie ihr wahres Wissen im Herzen nicht sehen können.
    Möge dieser Text den Menschen den Zugang wieder finden lassen. Namaste Claudia Janine

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