Verborgene Schönheit

Foto: Pixabay

Von Claudia Shkatov. Schönheit umgibt mich auf Schritt und Tritt. Alles, was mir nicht schön erscheint, erfüllt einen einzigen Zweck. Es ist da, damit ich unterscheiden und Schönheit überhaupt erkennen kann. Damit ich stets neue Horizonte entdecke und es wage, mich immer weiter auszudehnen, Grenzen zu überwinden und zu sprengen, mich immer wieder neu zu finden, besonders dann, wenn ich mich scheinbar verloren habe. Und damit enthülle ich die Schönheit, die sich im scheinbar Hässlichen verbirgt. Ich bin hier, um mich und dich genau daran zu erinnern.

Atmen

Die letzte Nacht habe ich in unserem Garten geschlafen. Ich wollte atmen. Mein Körper ist in diesen Tagen verspannt und mein Verstand ist laut. Ich schenke mir Zoom-Sessions bei einer der besten Kolleginnen in Australien. Und ich buche Massagen für meinen Nacken, meinen Rücken und meine Schultern. Da spüre ich die Einengungen, Verspannungen und das alte Festhalten am deutlichsten. Und ich spüre sie auch in meinen Gelenken. Besonders mein rechtes Knie schmerzt und mit ihm gefühlt alle beweglichen Teile meines Skelets. Ich will mich bewegen. Mich nicht mehr begrenzen oder einengen. Mich nicht mehr unterbrechen. Und mich nicht mehr unterbrechen lassen. In meinem Fluss.

Grenzenlosigkeit

Wenn ich versuche, Antworten und Lösungen auf Fragen zu erhalten, indem ich sie „durchdenke“, beginnt schon die Verspannung. Meine größte Ressource in dieser einmaligen Zeit des globalen Nicht-Wissens und all der scheinbaren äußeren Einschränkungen ist die Natur. Das Einschlafen unter unzähligen Sternen und einem grenzenlosen Himmelszelt, in den Schlaf gesungen vom Säuseln des Windes in den Blättern der zwei großen Ahornbäume, die unser Haus von rechts und links umarmen. Das Aufwachen noch vor Sonnenaufgang vom ersten Zwitschern der Vögel, die großen pinkfarbenen Flecken bestaunend, die die erwachende Sonne schon Momente später ins Morgengrauen malt.

Umarmt

Und ich ganz kuschelig warm eingehüllt in meinen Schlafsack mit Zwiebelschalen von Klamotten, zwei Paar Socken und einer tatsächlich immer noch wärmenden Wärmflasche an den Füssen – mmmh. So warm und sicher, umarmt, lebendig und frei. Auf meinem Gesicht die köstliche, kühle Morgenluft, die frische glitzernde Nässe des Taus überall um mich herum und immer noch die unendliche Weite des Alls über mir. Sterne, die sich langsam wieder meinem Blick entziehen.

Inneres Feuer

Das alles trägt mich heute in einen inneren Raum voller Kraft, Frieden und Klarheit hinein. Und noch bevor der Tag richtig begonnen hat, spüre ich ein Feuer im Becken und im Bauch, lebendig und erdig wie ein Lagerfeuer in der Nacht. Um mich herum Wasser, Weite und Frische, ein Gefühl, das ich beim Paddeln erlebe, ganz eins mit dem Gewässer unter und dem Himmel über mir. Oder in der südafrikanischen Karoo Wüste, wenn ich nackt in den Wasserfall oder einen seiner eiskalten Teiche hoch in den Felsen neben unserem Camp steige. An diesem inneren Ort gibt es keine Begrenzungen, keine Enge, kein Abschneiden meines Flusses. Weder durch jemand anders noch durch meine eigenen kritischen, angsteinflößenden oder hämischen Gedanken.

Der Wasserfall

Jetzt kann mein Tag kommen. Und ich spüre, dass ich in den folgenden Nächten ebenfalls draußen schlafen werde. Denn es gibt dort an diesem inneren Ort einen Punkt, an dem ich mich selbst treffe und etwas wiederfinde, was ich in diesem Leben noch nicht gelebt habe. Die Nacht, die Sterne, die Morgenröte, die vielen Tiere in unserem Garten, der Tau, die mächtigen Bäume, die Erde, der Wind, das bewusste Gleiten in die Nacht und in den Tag gemeinsam mit der Natur nähren mich. Und ich ahne, dass ich diesen Punkt jetzt erreichen kann. Ungeachtet der alten Muster. Entgegen aller Widerstände und Ängste. Ich spüre uralte Tränen, wenn ich an diesen Punkt denke. Er fühlt sich unaussprechlich an. Mir kommen Harry Potter und „der, dessen Namen nicht genannt werden darf“ in den Sinn. Und so undenkbar und geheim mir dieser Punkt auch gerade erscheint, so kraftvoll und real ist er auch. Beinah so, als würde ich sicher auf der oberen Kante eines Wasserfalls stehen, in vollkommenem Stand mit ausgebreiteten Armen und einem zufriedenen Lächeln, die Weite und die Tiefe ermessend. Bereit für den Sprung. Und es ist ein sehr sanfter Punkt. Einer, dessen Erinnerung sich tief in meine Seele geschrieben hat. Und die uralten Tränen geleiten mich sicher zu ihm zurück. Es ist ein Punkt, an dem ich mich selbst treffe. Ein Punkt an dem sich Erde und Himmel begegnen. Ein Punkt, an dem Träume wahr werden, von denen Du nicht einmal weißt, dass Du sie hast.

Und wenn ich mich da ganz oben an der Spitze des Wasserfalls stehen sehe, weiß ich, dass alles möglich ist.

Es gibt da draußen in der Welt nichts zu bekämpfen. Werde still. Und wage Dich in die Tiefe der Natur, der Nacht und Deiner selbst. Und dann werden wir sehen.

__

Claudia Shkatov
TELLING A NEW STORY

www.claudiashkatov.com
Transformational Coaching for Life & Business

Sharing is Caring 🧡
Posted in Kolumne Verwendete Schlagwörter:
4 Kommentare zu “Verborgene Schönheit
  1. Anja Hippen sagt:

    Hallo Claudia, wieder so ein wunderbarer Text von Dir, der mich sehr berührt und den ich gleichzeitig als sehr staerkend empfinde in diesen sehr bewegten Zeiten, in denen es fuer mich eine Herausforderung ist, bei mir zu bleiben, in meiner Mitte. Wenn ich dies lese, denke ich, es ist gar nicht schwer. Von Herzen danke. LG Anja

  2. sylvia sagt:

    liebe claudia, herzensdank für diese zeilen… heute morgen tanzend nach rio reiser hätte ich schreiben wollen. mein text wäre ganz anders aber doch mit einer ähnlichen aussage geworden. du bist eine zauberin der heilsamen worte.
    und danke fürs veröffentlichen auf dieser seite, die mir kraft und liebe schenkt tag für tag. dankbarer morgengruss sylvia

  3. Miriam sagt:

    Danke Claudia! So schön dein Hineinatmen ins Dasein. Noch nie war mir ein AMEN so wunderbar: „Und dann werden wir sehen.“ Die Liebe schwingt und schwingt: Im bei-mir-Sein. Herzgrüße aus meinem Anker setzen. Jeden Moment neu.

  4. Viola sagt:

    Danke liebe Claudia fürs Erinnern…
    Deine in Worte u. Sätze gerahmten – wie Mut machenden Texte, erinnern mich was möglich sein kann, und holen mich oft aus meiner Traumtrance heraus.
    Alles Liebe dir
    Viola

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

*

Dein Kommentar wird nach der Prüfung freigeschaltet. Bitte beachte, Einschätzungen und Meinungen in Ich-Form zu formulieren und die AutorInnen zu wertschätzen. Nicht identifizierbare Namen (Nicknames), Kommentare ohne erkennbaren Bezug auf den Inhalt des Artikels und Links zu nicht eindeutig verifizierbaren Seiten bzw. zur Eigenwerbung werden grundsätzlich nicht freigeschaltet.