Sehnsucht

Villmarksjenta – Linéa Maria Grøntjernet. Ich glaube, viele Menschen sehnen sich wie ich nach etwas, von dem wir nicht genau wissen, was es ist. Vielleicht ist es ein tieferer Sinn, vielleicht ist es ein Gefühl der Zugehörigkeit. Der Rhythmus der modernen Gesellschaft ist nicht mehr im Einklang mit dem, was für den Menschen natürlich ist. Wir werden in einen tranceähnlichen Zustand versetzt, der im schlimmsten Fall das Gefühl auslöscht, wirklich lebendig zu sein.

Auf meiner ersten langen Wanderung durchquerte ich Norwegen in 50 Tagen. Es war eine Wanderung, die sich trotz ihrer 650 Kilometer auf einer inneren Ebene noch viel länger anfühlte. Durch die Natur lernte ich, mich selbst und die Welt mit anderen Augen zu sehen. Es war schön und schmerzhaft zugleich, und ich trage immer noch die Früchte dieser Erfahrung in mir.

Viele von uns haben nie eine tiefe Beziehung zur Natur erlebt, obwohl unsere Vorfahren mit ihr und in ihr gelebt haben. Stille und Zeit für sich selbst haben in der modernen Welt keinen Platz mehr, an ihre Stelle sind Ablenkungen und Unmengen von Eindrücken getreten. Wir sind so sehr an den hektischen Alltag gewöhnt, dass wir sein Tempo als vertraut und sicher empfinden. In den Momenten, in denen sich Stille einschleicht, greifen wir zum Telefon, legen einen Film ein oder gehen joggen. Wir trinken eine Flasche Wein, putzen das Haus oder treffen uns mit anderen, anstatt dem Raum zu geben, was in uns ist. Es gibt nicht mehr viel Raum, um über die Herausforderungen des Lebens nachzudenken, und die Art, wie viele von uns leben, ist eine Flucht vor sich selbst. Ein leerer Raum beginnt in uns zu wachsen. Je mehr wir wegrennen, desto größer wird er.

Wenn wir tief genug in die Verbindung mit der Natur gehen, können wir Erfahrungen machen, die unsere gesamte Wahrnehmung des Lebens erschüttern. Als ich als Sechzehnjährige auf meine lange Wanderung ging, kämpfte ich bereits seit einigen Jahren mit einem inneren Sturm. Normalerweise begegnete ich Schwierigkeiten, indem ich flüchtete oder kämpfte. Und ich wusste, dass ich auf nacktem Boden stand, als ich den ersten Schritt auf der langen Strecke machte, die ich vor mir hatte. Es war nicht mehr möglich, zu fliehen. Ich konnte nicht gegen mich selbst kämpfen, denn ich brauchte mich als Freund und Stütze. Ich war gezwungen, mich direkt mit meinen eigenen destruktiven Vermeidungstaktiken auseinanderzusetzen. Ich musste loslassen, was die Gesellschaft für mich so schön verpackt hatte. Die 50-tägige Reise war der Beginn einer persönlichen Reise, auf der ich mich selbst auf eine ganz andere Art und Weise kennenlernte. Ich lernte, mich selbst und das, was ich war, zu akzeptieren, und damit auch das innere Wetter, das ständig in Bewegung war und sich veränderte.

Jetzt, fast zehn Jahre später, ist die Natur immer noch mein Wegweiser im Leben. Sie hat mir die Möglichkeit gegeben, in ein chaotisches Spektrum von verschiedenen Aspekten meiner selbst einzutauchen. Manche hatte ich nicht kommen sehen, manche waren schwer zu akzeptieren, aber alle haben mein Leben reicher gemacht. Ich habe den Kontakt zur modernen Welt nie völlig abgebrochen, aber wenn alles zum Chaos wird, weiß ich, wohin ich gehen muss, um einen Weg hindurch zu finden. Die Natur ermöglicht es mir, die Tiefen meiner selbst zu erforschen. Im ruhigen Rhythmus der Natur zu sein, gibt mir die Erfahrung von Ganzheit und verbindet mich mit meinem Herzen. An keinem anderen Ort fühle ich mich lebendiger.

Auszug aus dem Buch Wildnesmädchen- Grenzerfahrung in der Wildnis

Dies ist das Tagebuch einer Wanderung quer durch Norwegen, unternommen von Maria Grøntjernet im Alter von 16 Jahren. Sie lässt uns durch ihre unverstellte Erzählweise und großartigen Fotos am Abenteuer ihres Lebens teilhaben, das sie in Norwegen berühmt machte: als »Vilmarksjenta«, Wildnismädchen.

Was wird aus einem gerade geborenen Mädchen, wenn der Großvater Skier zu ihm ans Bett stellt? Klar: Es will, sobald es laufen kann, hinaus. Hinaus in den Wald, ans Wasser, in den Schnee. Maria Grøntjernet hat das Glück, seit frühen Kindertagen die Wildnis erleben zu können. Schon mit 13 ist es ihr ein Bedürfnis, nachts draußen zu schlafen unter den Sternen. Sie will alles lernen und ausprobieren, was dazugehört, ganz in der Natur zu sein. Und mit 16 unternimmt sie ihr großes Abenteuer: Fünfzig Tage allein 650 km quer durch Norwegen zu wandern. Zu unserem Glück hat sie Ihre Foto- und Filmausrüstung dabei, und so gibt es nicht nur ihr Tour-Tagebuch mit zusätzlichen praktischen Tips, sondern auch grandiose Fotos: vom Sommerschnee in den Bergen, von Fjorden, Seen und Wasserfällen – und von ihren Lagern und dem, was in ihrer Pfanne brutzelt. Ihr Tagebuch lässt uns ihre Wanderung miterleben: die ersten Tage noch mit ihrem Vater, die Trennung und das Alleinsein; das Jauchzen, als sie in die Berge kommt; das Elend der Strapazen, der Blasen an den Füßen, der Erschöpfung. Sie schreibt für sich – und für uns, als wären wir ihre vertrauten Freunde. Und sie hat viel Zeit, Ihren Gedanken u?ber das Leben und die Welt und die Natur fließen zu lassen; auch daran lässt sie uns in aller Offenheit teilhaben. Und am Ende fragen wir uns: Ist nicht die Natur unserer größter Lehrer?

ISBN 978-3-89060-755-9
Klappenbroschur, 208 Seiten, 20 x 24 cm, mit mehr als 100 Farbfotos
Aus dem Norwegischen von Daniela Stilzebach
24,00 € (D)/24,70 € (A)

Zum Buch hier

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