Nachrufe über nicht-prominente Berliner

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Auch die Rücklichter bei den newslichtern sind meist bekannten Menschen gewidmet. Aber ist nicht jeder Mensch eines Nachrufs würdig? Seit ein paar Monaten bin in in dieser Hinsicht auf eine bemerkenswerte Rubrik beim Berliner Tagesspiegel gestoßen.

In diesen Nachrufen schreiben die Redakteure regelmäßig über nicht-prominente Berliner, die in jüngster Zeit verstorben sind. Und sie rufen auf: „Wenn Sie vom Ableben eines Menschen erfahren, über den wir einen Nachruf schreiben sollten, melden Sie sich bitte bei uns: nachrufe@tagesspiegel.de.“

So entstehen wundervolle Geschichten über Lebensgeschichten die mich berühren, welche die bunte Viefalt, das Wunder und die Tragik des Lebens und Sterbens in all seiner Vielfältigkeit zeigen. Nachfolgend zwei aktuelle Beispiele.

Nachruf auf Yaron Tausky Diese Angst, sich vollends zu verlieren

Der junge Israeli (geb. 1987) versuchte vieles: Therapien, Medikamente, sich selbst neu programmieren – er hat alles versucht. Doch die Leere blieb.

Zitat: Als sich die jüngere Schwester das Leben nahm, zog sich auch Yaron immer mehr in sich selbst zurück. War sein Gedanke ihr Gedanke gewesen, ihr Gedanke seiner: „My life a waste“? Das Leben vergeblich? Wie kann man etwas Schönes schaffen, ein einziges Mal im Leben, dem Namen Ehre machen, Yaron, was auf Hebräisch so viel heißt wie: Er wird sich freuen, er wird singen. Aber für wen? „I have to find a way.“

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Nachruf auf Dagmar Hartung von Doetinchem de Rande Die „Gräfin“

Und hier die pralle Lebensgeschichte einer Frau Jahrgang 1947, die 2021 letztendlich friedlich geht: „Sie wohnte in den Kommunen 1 und 2, wollte als Lehrerin die Revolution in die nächste Generation tragen – und wurde Hebamme. Der Nachruf auf eine große Frau.“

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Wie die Nachrufe entstehen

Seit 20 Jahren gibt es diese Rubrik. Der Redaktion ging am Anfang sämtliche Traueranzeigen durch. Sie riefen (und rufen zuweilen immer noch) Leute an, die unter den Namen der Verstorbenen stehen. Selbstverständlich erregen überraschende Anzeigen Aufmerksamkeit. Hin und wieder, leider viel zu selten, gibt es Tipps von Bestattern. Und schließlich bitten sie die LeserInnen um Hinweise. Das geschieht inzwischen oft, aber es waren noch nie so viele, dass eine Auswahl hätte getroffen werden müßen.

Dann lassen sich die Autoren Zeit mit den Angehörigen zu sprechen, nachzuforschen und auszuwählen. Schließlich soll eine nachvollziehbare Geschichte für die LeserInnen entstehen und nicht ein persönliche Trauerrede. Da muss abgewogen werden, was erzählt wird und was nicht.

Ich war bisher immer von dem Ergebnis beeindruckt, wenn ich auf einen Nachruf aufmerksam wurde. Und schön, wie der Prozess des Entstehens der Nachrufe und das Ringen, um eine vermeintliche Wahrheit hier so achtsam beschrieben wird.

Danke.

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6 Kommentare zu “Nachrufe über nicht-prominente Berliner
  1. Andrea sagt:

    Danke fürs Teilen. Schön, dass es dieses Format gibt. Es hat mich gefreut, davon zu erfahren.

  2. Anne sagt:

    Das berührt mich, so ein Rücklicht auf „ganz normale“ Menschen. Tolle Aktion!♥

  3. Wim Lauwers sagt:

    Schade, daß Yaron und Andere keinen anderen Ausweg sehen, als über zu gehen. Aber verstehen kann ich ihn. Und schön, daß ich so von ihm erfahren durfte. Danke Bettina.
    Mach das auch mal mit uns, die uns hier treffen. Wer sind WIR!?

  4. Gerry sagt:

    Kannte ihn jemand persönlich? Würde gerne darüber reden…

  5. Max sagt:

    Lieber Yaron, wir kannten uns zwar nur über einen wirklich kurzen, aber dafür intensiven Zeitraum und nicht besonders gut, aber es hat mich sehr gefreut, dich kennenzulernen, ich habe gerne mit dir Schach gespielt, Witze gemacht und mit dir gesprochen. Ich freue mich über den wirklich gelungenen Nachruf, als ich durch Zufall davon hörte, war ich sehr getroffen, weil du eine wirklich bemerkenswerte und liebenswürdige Persönlichkeit warst. Es ist bedrückend, nicht mehr darüber nachdenken zu können, sich vielleicht irgendwann nochmal mit dir auszutauschen. Ich wünsche der Familie viel Kraft.

  6. Max sagt:

    Ich möchte noch etwas hinzufügen, ohne zu viel Raum einnehmen zu wollen: Yaron und ich haben uns in verschiedenen Kontexten über unsere Ängste und Sorgen ausgetauscht, sein Satz „Es ist nicht so“ begleitet mich bis heute in positiver Weise, umso trauriger ist es, dass es keine Hilfe für ihn gab.

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