Berührungen mit dem Lieblingsmenschen

Foto: Pixabay

Manchmal werden meine Kuschelkollegen und ich für das, was wir tun, belächelt. „Kuscheln kann doch jeder, dafür braucht es keinen extra Beruf“, ist ein häufiges Argument. Andere fragen sich, was am Kuscheln so spannend sein soll, wenn doch jegliche Erotik fehlt.

Dann denke ich an die Menschen, die einsam sind und denen der Körperkontakt zu anderen Menschen fehlt. Ich denke an innere Kinder, die mitgebracht werden, weil sie während ihrer Kindheit zu wenig Berührungen genießen durften und nun sehr berührungshungrig sind. Und ich denke an all die Momente, in denen ich Kuscheleinheiten empfangen durfte und nach denen ich noch Tage danach absolut ausgeglichen, beschwingt und voller Glückseligkeit war.

Sind diese sanften Berührungen jenseits von Lust und Erotik also tatsächlich so unbedeutend? Wenn du einen Partner oder eine Partnerin hast, der oder die dafür aufgeschlossen ist und ihr mögt, dann probiert es mal aus…

Anfassen ist nicht gleich berührt

Hast du schon mal beobachtet, wie oft du am Tag deinen Partner oder deine Partnerin berührst? Tust du es bewusst oder passiert es eher beiläufig? Nimmst du dir Zeit dafür? Und lasst ihr euch in der Berührung fallen und könnt sie genießen?

Nur, weil wir einen anderen Menschen anfassen, bedeutet es nicht automatisch, dass wir ihn berühren. Denn das Anfassen kann beiläufig passieren, ohne in dem Moment eine Verbundenheit zu spüren. Es kann aus einer bestimmten Erwartung heraus erfolgen – zum Beispiel dass die Berührung in einer sexuellen Begegnung enden möge. Oder es geschieht aus einer Bedürftigkeit heraus, da der Berührungshunger so unendlich groß ist und gerne gestillt werden möchte.

Wenn wir einander wirklich berühren, dann sind wir präsent. Wir spüren unser Gegenüber, wir spüren uns selbst und wir sind ganz im Hier und Jetzt, ohne etwas zu erwarten und ohne etwas verändern oder erreichen zu wollen. Bei dieser Art der Berührung agieren wir aus einer inneren Verbundenheit heraus und sind in der Lage, die Verbindung zum anderen zu spüren. Und dadurch erleben wir die Berührungen auf einmal intensiver und sie bekommen eine ganz besondere Qualität.

Ein guter Rahmen für neue Berührungserfahrungen

Doch wie lassen sich solche Momente der wirklichen Berührung und der Verbundenheit nun erleben?

Die erste und wichtigste Voraussetzung ist, dass ihr beide aufgeschlossen dafür seid, gemeinsam neue Möglichkeiten zu entdecken. Denn das Erleben neuer Berührungserfahrungen setzt auf beiden Seiten eine Offenheit dafür voraus.

Dann braucht es Zeit. Wenn ihr eine Berührung bewusst erleben wollt, dann heißt es, aus dem Kopf in den Körper zu kommen. Wenn ihr mit euren Körpern bereits gut in Kontakt seid, so kann dieser Wechsel aus dem Denken ins Spüren relativ schnell gehen. Wenn ihr noch nicht so geübt seid, dann plant mehr Zeit ein. So habt ihr keinen Druck und außerdem ist es wunderbar, diese schönen Momente wirklich in Ruhe genießen zu können.

Außerdem möchte ich anregen, einen Blick auf den Raum zu werfen. Wenn ihr einander berührt, dann sind das ganz besondere Momente. Seid es euch wert, dass ihr es euch miteinander schön macht! Räumt den Wäscheständer und den noch liegen gebliebenen Stapel an Arbeit aus dem Zimmer, zündet euch ein paar Kerzen an, füllt den Raum mit einem besonderen Duft und mit entspannender Musik und macht es euch auf dem Sofa, auf dem Bett oder einem anderen schönen Ort eurer Wahl gemütlich.

Und dann nehmt die Erwartungen aus der Begegnung heraus. Das ist vermutlich gar nicht so leicht, denn in vielen, vielen Köpfen ist verankert, dass Berührung automatisch Sex bedeutet. Doch ich möchte euch einladen, dies voneinander zu entkoppeln. Es geht nicht darum, ein bestimmtes Ziel zu erreichen, sondern es geht darum, ganz im Hier und Jetzt anzukommen und jede einzelne Berührung in diesem einzigartigen Moment zu genießen. Je mehr ihr euch davon frei macht, eine bestimmte Erwartung erfüllen oder ein bestimmtes Ziel erreichen zu müssen, desto mehr kommt ihr ins Spüren. Und dann nehmen die Intensität und die Qualität jeder einzelnen Berührung zu.

Ideen für berührende Begegnungen

Doch was für Berührungen jenseits von Lust und Erotik sind eigentlich möglich?

Um neue Berührungserfahrungen zu sammeln, kann es sinnvoll sein, dass der oder die eine in die gebende und der oder die andere in die nehmende Rolle geht. Auf diese Weise kann sich der Gebende auf das Berühren konzentrieren und der Empfangende aufs Berührt werden.

Diese kleine Auswahl an möglichen Berührungen soll euch unterstützen, neue Ideen zu entwickeln. Nehmt es als Anregung, variiert so, dass es sich für euch stimmig anfühlt und vertraut eurer Intuition.

  • Massieren eines Körperteils: Nimm als Gebender zum Beispiel die eine Hand deines Lieblingsmenschen und massiere sie 10 Minuten lang. Dabei kannst du die Handinnenseite, jeden einzelnen Finger wie auch die Handaußenseite berühren und massieren. Im Anschluss wende dich für 10 Minuten der anderen Hand zu. Genauso kannst du deinen Lieblingsmenschen auch mit einer Kopf-, Rücken-, Bauch- oder Fußmassage verwöhnen und du wirst staunen, wie filigran sich ein einzelner Bereich des Körpers berühren lässt.
  • Formen der Berührung: Probiere verschiedene Varianten der Berührung aus. Du kannst deinen Lieblingsmenschen streicheln, die Haut kneten, mit deinen Fingern zwirbeln oder rollen, mit der flachen Hand auf ihr entlang fahren, auf ihr klopfen. Es gibt so viele Möglichkeiten. Dabei kannst du auch den Druck variieren. Besonders gut eignen sich für solch eine Übung der Rücken oder die Unterschenkel deines Gegenübers.
  • Geschwindigkeit der Berührung: Experimentiert mit dem Tempo der Berührung. Dafür kannst du zum Beispiel mit einem Finger in unterschiedlicher Geschwindigkeit über den Arm deines Partners oder deiner Partnerin fahren und er oder sie spürt, wie es sich anfühlt. Je langsamer und bewusster eine Berührung gegeben wird, desto mehr geht sie in der Regel unter die Haut.
  • Berührung des gesamten Körpers: Besonders intensiv kann diese Berührung sein, denn dadurch fühlt sich der komplette Körper gesehen und gemeint. Lass dir gerne Rückmeldungen geben, wo und wie dein Gegenüber besonders gerne berührt werden mag, sodass du diese Berührung besonders ausbauen kannst.

Möge diese kleine Ideensammlung dir und deinem Lieblingsmenschen Lust machen, neue Möglichkeiten der Berührung zu entdecken. Und vielleicht geht es euch am Ende der Berührungserfahrung so wie uns Kuschlern mit unseren Bekuschelten und ihr liegt selig und zufrieden aneinander geschmiegt und genießt die Tiefe und Vertrautheit, die durch solch unscheinbare Berührungen entstehen kann.

Dieser Artikel erschien in leicht veränderter Form zuerst im Netzwerk Berührung e.V. Danke für die Freigabe zur Zweitveröffentlichung!

Dorothea Ristau

Zur Person: Dorothea Ristau begleitet online wie auch in Dresden Frauen, die auf ihrem Weg aus der Essstörung selbst aktiv werden und dabei nicht alleine sein wollen. Besonders setzt sie sich dafür ein, dass Betroffene auf ihrem Weg viele im wahrsten Sinne des Wortes berührende Momente erleben.

https://wege-aus-der-essstoerung.de

In Dresden arbeitet sie als nährende Kuschlerin für Berührungshungrige, bietet kontaktorientierte Körperarbeit zur Schulung der Körperwahrnehmung an und unterstützt über die Selbstermächtigungsmassage betroffene Frauen, die nach sexuellem Missbrauch auf Berührungsebene in die eigene Kraft kommen möchten.

Sharing is Caring 🧡
Posted in Lichtübung Verwendete Schlagwörter:
2 Kommentare zu “Berührungen mit dem Lieblingsmenschen
  1. Wim Lauwers sagt:

    Ja Dorothea, sehr wichtig. Leider ist meine Erfahrung mit Freundinnen, daß sie sich nicht auf Kuscheln einlassen, weil ich schon mit einer Freundin kuschele. Schade, daß manche die LIEBE nur mit einer Person erlauben. Meine LIEBE umfaßt Alle. Weil diese Haltung mich über Jahren schon sehr frustriert hat, beschäftige ich mich nicht mehr mit solchen Gedanken und spreche sie auch nicht mehr aus. Abwarten und T trinken. Wobei ich auch nicht mehr „warte“. Einfach SEIN. Danke für deinen Impuls. <3 <3

  2. Gudrun Schumann sagt:

    Liebe Dorothea,
    herzlichen Dank für diese wunderbare Beschreibung. Ich bin Physiotherapeutin im Pflegeheim und begegne den Menschen genau in der Weise manchmal bis zum Schluss. Ja, da fließt Liebe ohne Worte nicht nur mit meinem Lieblingsmenschen.
    Manchmal denke ich, ich kann nichts tun und doch spüre ich in meiner Präsenz das größte Geschenk auch für mich💕💕Gudrun 🌀

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

*

Dein Kommentar wird nach der Prüfung freigeschaltet. Bitte beachte, Einschätzungen und Meinungen in Ich-Form zu formulieren und die AutorInnen zu wertschätzen. Nicht identifizierbare Namen (Nicknames), Kommentare ohne erkennbaren Bezug auf den Inhalt des Artikels und Links zu nicht eindeutig verifizierbaren Seiten bzw. zur Eigenwerbung werden grundsätzlich nicht freigeschaltet.