Die mutigen Frauen von Loheland

Foto youtube: Eine neue Generation Weib – Die mutigen Frauen aus Loheland ©Loheland-Stiftung, Archiv

1919 gründeten die Gymnastiklehrerinnen Hedwig von Rohden (1890–1987) und Louise Langgaard (1883–1974) in der Nähe von Fulda die einzigartige Frauensiedlung Loheland. Die Loheländerinnen befreiten sich von alten Zwängen für Frauen und wurden berühmt – mit ihren Tänzen, ihrem modernem Kunsthandwerk und ihrer Doggenzucht.

100 Jahre später: Dokumentarfilm und Aussstellung

Die Geschichte drohte fast in Vergessenheit zu geraten, bis Elisabeth Mollenhauer-Klüber, die Leiterin des Loheland-Archivs mit Akribie und Hingabe das wertvolle Erbe der Frauensiedlung wiederentdeckte. Mit begrenzten Mitteln und hohem persönlichen Einsatz dokumentierte sie die einzigartige Geschichte dieser Siedlung in den 20er und 30er Jahren. So kam es 2019/2020 zur Aussstellung „Loheland 100 Gelebte Visionen für eine neue Welt“.

Dabei lag der Fokus auf der erfolgreichen Wirkungszeit von 1919 bis 1933. Das Archiv der Loheland-Stiftung mit tausender originaler Kunstwerke, Designobjekten, Werkstatt- und Alltagsgegenständen, Fotos, Filme und Dokumente machten alle Facetten Lohelands erlebbar. Dazu gehören auch wissenschaftlich fundierte Beiträge zu verschiedenen Themenfeldern von der Körperbildung bis zum ökologischen Landbau und die Siedlung mit bedeutenden architektonischen Einzelobjekten.

Die Journalistin Dörte Schipper erstellte davon inspiriert den Dokumentarfilm „Eine neue Generation Weib – Die mutigen Frauen aus Loheland“, indem sich letzte Zeitzeuginnen in der Siedlung an  eine schillernde Zeit, die bis heute nachwirkt, erinnern. Hier anschauen

Rückblick

©Loheland-Stiftung, Archiv

Die Institution, die als „Loheland“ gegründet wird, existiert bereits 7 Jahre an verschiedenen Orten unter dem Namen „Seminar für Klassische Gymnastik“. Geburtstsätte des Seminars war Kassel, wo Prof. Dr. K. F. Zimmer, Begründer verschiedener Frauenbildungsstätten, es für wichtig erachtete, für seine Töchterheime Gymnastiklehrerinnen auszubilden. Dazu berief er 1911 Hedwig von Rohden und wenig später, 1912 trat auf Wunsch Hedwig von Rohdens Louise Langgaard hinzu. Die Geschichte des Ortes Loheland beginnt 1919 mit dem Erwerb eines „nackten“ Grundstückes  (ohne Wasser und ohne Strom)– 175 Morgen – auf dem Herzberg in den Vorbergen der Rhön 10 km entfernt von Fulda.

Loheländerinnen bei der Heuernte, um 1925 ©Loheland-Stiftung, Archiv

Die „Lohelandschule für Gymnastik, Landbau und Handwerk“ nahm den Seminarbetriebes im September 1919 mit 80 Seminaristinnen auf. Ausgehend von dem Grundsatz „Leben ist Bewegung – Bewegung lebendige Form“ gestalteten die Frauen einen Ort, an dem Lernen, Arbeiten und Leben Hand in Hand gingen. Die Loheländerinnen integrierten Gymnastik, Garten- und Ackerbau, Handwerk und Kunst in ihrem Konzept.

1921/22 gingen die Tänzerinnen aus Loheland auf eine vielumjubelte Tournee in viele deutsche Städte.

Stiftung Loheland ©Loheland-Stiftung, Archiv

Als 1923 die Holzbaracke mit den Tanz-Kostümen abbrannte, kamen Hedwig von Rohden und Louise Langgaard zu dem Entschluß, den Tanz aufzugeben und sich stattdessen mehr dem Kunsthandwerk zuzuwenden. 1927 entsteht Waggonia – aus alten Eisenbahnwaggons werden Foto und Lederwerkstatt (diese Wägen werden aktuell aufwendig restauriert).

Lernen, Arbeiten und das soziale Leben in der Gemeinschaft – etwa 24 Lehrkräfte lebten in den 1920er-Jahren in Loheland – verbanden sich im Siedlungskonzept. Die 20 Bauten unterschieden sich stark vom parallel wirkenden Bauhaus. Sie zitierten mit Schrägdächern, Holzverkleidungen, Natursteinwänden und Fachwerk traditionelle Heimatschutzarchitektur.

„L. Langgaard und H.v.Rohden haben bewußt auf alle staatliche Einbindung und Unterstützung verzichtet, um die volle Freiheit für eigene Vorstellungen und Gestaltungsmöglichkeiten zu behalten“.

Zur Lösung der immerwährenden finanziellen Nöte wird eine Doggenzucht durch H.v.Rohden aufgenommen. Auf der ersten Welt-Hundeausstellung, 26.-28. April 1935 in Frankfurt/Main, besiegte die Gruppe der drei gelben deutschen Doggen aus dem Zwinger von „Loheland“ (Züchter und Besitzer H. von Rohden) sämtliche Zuchtgruppen aller Rassen und Länder im „Internationalen Zuchtgruppenwettstreit“ und gewinnt den ersten Preis. Mit dem Verkauf konnten weitere Häuser in Loheland gebaut und erhalten werden.

Drei gelben deutschen Doggen aus dem Zwinger von „Loheland“ (Züchter und Besitzer H. von Rohden) ©Loheland-Stiftung, Archiv

Fast wir durch ein Wunder, aber auch von einigen schwierigen Kompromissen gezeichnet, die auch zu einem Zerwürfnis zwischen den GründerInnen führte, konnte sich Loheland auch in der Nazi-Zeit erhalten und blieb der Zufluchtsort für viele Menschen. Gleich nach dem Krieg wurde 1945 der Seminarbetrieb wieder aufgenommen. (mehr hier)

Anfang der 1960er Jahre lebten 350 bis 400 Frauen, Männer und Kinder in der Loheland-Gemeinschaft.

2022

Heute befinden sich auf dem weitläufigen Gelände der Siedlung Loheland sich ein Waldorfkindergarten, die Rudolf-Steiner-Schule Loheland, Demeter-Landwirtschaft, eine Berufsfachschule für Sozialassistenz, das Archiv der Siedlung, eine Schreinerei, ein Tagungshotel, ein Café mit Laden und Wohnhäuser. Webseite hier.

Aktuell hat Dörte Schipper einen Roman über das Leben und Wirken dieser Frauen veröffentlicht. „Das Dorf der Frauen“ ist nicht nur ein bewegender historischer Roman, er bringt den Leserinnen den außergewöhnliche Ort Loheland nahe: Eine Frauensiedlung, so alt wie das Bauhaus und gleichzeitig so etwas wie sein feministischer Gegenentwurf.

Rezension bei den newslichtern folgt 🙂

Zwei Persönliche Anmerkungen

Erstens ein Dank an Sabine, die mich auf die Geschichte von Loheland aufmerksam gemacht hat – newslichter-LeserInnen sind immer noch die besten FinderInnen von guten Nachrichten.

Zweitens finde ich es wieder einmal bemerkenswert, dass zwei Menschen aus meinem Umfeld auf Loheland gelebt haben (in der 1980er Jahren), aber beide nichts von den GründerInnen bzw. der Ursprungsgeschichte zu teilen wussten. Ein Beleg dafür, wie wohl noch so manch großartige Geschichte gerade von Frauen in Vergessenheit gerät. Wie schön, dass es jetzt wieder ein paar mehr Menschen davon erfahren und sich inspirieren lassen können!

Weiterführende Quellen:
Info3: Frauensiedlung Loheland: Selbstbestimmt in Bewegung

Spiegel Artikel von Dörte Schipper: Frauensiedlung Loheland

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7 Kommentare zu “Die mutigen Frauen von Loheland
  1. Renate Barbara sagt:

    Wie wertvoll, dass alles jetzt wieder das Licht der Welt erblickt und uns heute
    Inspirationen schenkt, mit denen wir weitergehen/tanzen dürfen.
    Herzlichen Dank an die FinderInnen und liebe Grüße,
    Renate Barbara

  2. hannerose sagt:

    na das ist ja eine erstaunl. geschichte. vielen dank für’s finden und teilen. ich werd mich gleich mal hinein vertiefen.

  3. Sabine Lehmann sagt:

    Danke Bettina für Deine Newslichter! Ohne Dich kämen solche Nachrichten nicht so schnell in die Welt.

  4. Danke für diese wundervolle Rezension.
    Ja, ich jenne Loheland auch.
    Insgesamt 19 Jahre gingen drei meiner Kinder dort in Kindergarten und Schule, machten ihr Abi und sind kreative, selbstbewusste Menschen. Inzwischen geht mein Enkelmädchen in Loheland in die Kita.
    Die Oma meines Mannes hat dort vor dem zweiten Weltkrieg als Dienstmagd gearbeitet.
    Gut, dass Menschen diese Geschichten weitersagen, darüber recherchieren, Bücher schreiben und es weitererzählt wird.
    Auch der private Friedhof ist erwähnens- und sehenswert.

    Danke den weisen, offenen Köpfen der Newslichter.

  5. Margitta sagt:

    Danke für diesen faszinierenden Bericht von Loheland – ich durfte dort während meiner Fastenleiterausbildung für einige Zeit die Athmosphäre erspüren. Ich erlebe gerade eine tiefe Herzensberührung mit diesen mutigen Frauen des weiblichen Aufbruchs. Meine Erden-Zeit begann 1944.

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